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Jahresrückblick 2019 – NRW Bürgerwehren, Bruderschaften – aber Pro NRW ist Geschichte

Eine der Demonstrationen der "Steeler Jungs" in Essen 2019.

Es war eine vergleichsweise kleine Schar von Aktivist*innen, die sich am 17. November 2019 vor dem Duisburger Hauptbahnhof versammelt hatte, um gegen „Terror und Gewalt“ zu demonstrieren. Rund 270 Personen waren dem Aufruf  von PEGIDA NRW gefolgt – zweifellos eine enttäuschende Resonanz für die Veranstalter*innen, denen es erklärtermaßen um nichts geringeres als den „Fortbestand unseres Volkes“ ging, die sich nun aber mit einer vielfachen Überzahl an Gegendemonstrant*innen, lautstarken Protesten und mehreren Sitzblockaden konfrontiert sahen. Obgleich die Veranstaltung, die großspurig mit dem Anspruch beworben worden war, „Leuchtfeuer“ setzen zu wollen schließlich mit nur noch 60 Teilnehmenden im schummrigen Licht eines düsteren Parks ihr Ende fand, der Nachwelt wohl kaum in dauerhafter Erinnerung bleiben wird, vermittelt der Blick auf die in Duisburg versammelten Akteur*innen doch einen Eindruck von den im Jahr 2019 maßgeblichen Protagonist*innen, Netzwerken und Strukturen der extremen Rechten in Nordrhein-Westfalen.

Der Aufruf zur Demonstration am „Volkstrauertag“ war von rund 20 mehr oder weniger existenten Gruppierungen und Initiativen unterstützt worden. Das Spektrum reichte dabei von selbsternannten „Bürgerwehren“ und „Bruderschaften“, deren Angehörige sich mehrheitlich aus extrem rechten Rocker-, Türsteher- und Hooliganszenen rekrutieren, über weitere Zusammenschlüsse des organisierten Wutbürgertums wie etwa NRW stellt sich quer  bis hin zur neonazistischen Gruppierung Volksgemeinschaft Niederrhein und der seit Jahren im bevölkerungsreichsten Bundesland dahinsiechenden NPD. Als Versammlungsleiter firmierte der ehemalige stellvertretende Pro NRW-Vorsitzende und vormalige Hogesa-Aktivist Dominik Roeseler, der nunmehr seine extrem rechte Agenda unter dem Label des Vereins Mönchengladbach steht auf e.V. weiter verfolgt.

Extrem rechte „Bürgerwehren“

Diese spektrenübergreifende Mobilisierung kennzeichnete somit nicht nur die Veranstaltung in Duisburg, sondern auch zahlreiche weitere Aufrufe zu extrem rechten Versammlungen in NRW, die nicht selten als vermeintlich „unpolitische“ „Mahnwachen“ oder „Spaziergänge“ deklariert, tatsächlich dazu dienen sollten, unverhohlen rassistische und demokratiefeindliche Botschaften zu postulieren und zumindest temporär ein Klima der Einschüchterung zu schaffen. Eine zentrale Rolle nahmen in diesem Kontext verschiedene gewaltaffine Zusammenschlüsse und Gruppierungen ein, die sich selbst als lokal verankerte „Bürgerwehren“ zu inszenieren versuchen und trotz vordergründiger Distanzierungen von „jedem Extremismus“ ihre extrem rechte Ausrichtung kaum verbergen.

„Bedrohlich und gewaltvoll“ – Die „Steeler Jungs“

Besondere Aufmerksamkeit erregten im zurückliegenden Jahr etwa die Steeler Jungs. Die Gruppierung formierte sich bereits im Jahr 2017 im Essener Stadtteil Steele. Ihre meist männlichen Mitglieder rekrutieren sich überwiegend aus der Hooliganszene im Umfeld des Fußballregionalligisten Rot-Weiss Essen sowie der Türsteher- und Rockerszene. Als Treffpunkt der „Steeler Jungs“ firmiert eine Sportbar, die von einem führenden Kopf der Bottroper „Bandidos“ betrieben wird. Seit mittlerweile zwei Jahren wiederholt sich wöchentlich ein jeweils ähnliches Geschehen. Auf einem zentral gelegenen Platz versammeln sich zwischen 50 und 200 martialisch wirkende (meist männliche) Personen, um anschließend schweigend, aber mit unverkennbar gewaltaffinem Habitus durch den Stadtteil zu marschieren. Obgleich von Beginn an zahlreiche Hinweise auf die extrem rechte Orientierung der „Steeler Jungs“ vorlagen – dokumentiert etwa durch die antifaschistische Initiative Essen stellt sich quer, aber auch durch andere zivilgesellschaftliche Beobachter*innen, beurteilten die Sicherheitsbehörden, die Akteur*innen und deren zunächst nicht als Versammlungen angemeldete „Spaziergänge“ als weitgehend unpolitisch.

Diese Einschätzung hat sich jedoch seit einiger Zeit gewandelt. Regelmäßig kommt es am Rande der Aufmärsche von Seiten der „Steeler Jungs“ zu subtilen oder manifesten Drohungen gegenüber Gegendemonstrant*innen oder Menschen, die in der Sichtweise der selbsternannten „Bürgerwehr“ als „Feinde“ markiert sind. Im Februar 2019 waren die „Steeler Jungs“ auf dem Karnevalsumzug im Stadteil als „Steeler Jecken“ mit einem eigenen Karnevalswagen vertreten, auf dem die unzweideutige Botschaft prangte: „Schützt euch vor den Zecken – Helau… Die Steeler Jecken“. In einer Rückschau auf das Jahr 2019 konstatiert die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus im Regierungsbezirk Düsseldorf im Hinblick die Entwicklungen in Essen-Steele, dass die „Steeler Jungs“ trotz mittlerweile größerer Polizeipräsenz und zivilgesellschaftlichen Protesten nach wie vor eine „bedrohliche und gewaltvolle Stimmung verbreiten“. Deren Versuche, „sich als besorgte Bürger*innen zu gerieren“, würden nicht zuletzt aus diesem Grund „kläglich untergehen“.

Hooligans und „besorgte Bürger*innen“ in Herne

Gleichzeitig waren im zurückliegenden Jahr Versuche der „Steeler Jungs“ zu beobachten, ihren Aktionsradius auf angrenzende Stadtteile auszudehnen oder auch bei ähnlichen Versammlungen in anderen Städten Präsenz zu zeigen. So beispielsweise in der nördlich von Essen gelegenen Stadt Herne, wo seit August 2019 zunächst wöchentlich, mittlerweile zweiwöchentlich sich als „besorgte Bürger*innen“ ausgebende extrem rechte, vorwiegend der Hooligan- und Neonaziszene entstammende Aktivist*innen zu so genannten ‚Spaziergängen‘ zusammenkommen, für die wiederum die Aufmärsche der „Steeler Jungs“ unverkennbar als Vorbild firmieren. Auch in Herne kam es, beispielsweise am Rande eines Aufmarsches Anfang Oktober, zu Bedrohungen und einem Übergriff auf antifaschistische Gegendemonstrant*innen. Das Infoportal Antifaschistischer Gruppen aus Bochum kommt in einer im November 2019 veröffentlichten Analyse zu dem Schluss, dass viele der an den „Spaziergängen“ in Herne Teilnehmenden, „dem gewalttätigen Hooliganmilieu der lokalen Fußball- und Eishockeyclubs“ – Westfalia Herne zuzuordnen seien. Darüber hinaus dokumentiert der Beitrag die engen Beziehungen für die Organisation der Veranstaltungen maßgeblichen vermeintlich „besorgten Bürger*innen“ zur organisierten militanten extremen Rechten, nahmen doch mehrere ihrer Protagonist*innen im Sommer 2019 am neonazistischen „Schild- und-Schwert“-Festival im sächsischen Ostritz teil.

Rassistische Glaubensbekenntnisse im Rheinland

Regionale Verbindungen existieren aber nicht nur zu den „Steeler Jungs“, sondern auch zu den sich ebenfalls als „Bürgerwehren“ gerierenden Gruppierungen Bruderschaft Deutschland (Düsseldorf) und Mönchengladbach steht auf e.V., die ebenfalls stark von Angehörigen extrem rechter Hooliganszenen geprägt sind. Die „Bruderschaft Deutschland“ (BD) formierte sich mutmaßlich im Sommer 2016 in Düsseldorf-Gerath und ist seither, wie die antifaschistische Zeitung Lotta berichtet,  mehrfach mit so genannten „Streifzügen“ oder „Spaziergängen“ in Düsseldorf und dem Düsseldorfer Umland in Erscheinung getreten. Dabei knüpft die Gruppe in ihrem Auftreten, wie die Lotta konstatiert, „vom Style und Habitus an die Rocker-Szene“ an. NS-Bezüge und rassistische Glaubensbekenntnisse einiger ihrer führenden Mitglieder seien unverkennbar. Ebenso dokumentiert ist die Teilnahme von BD-Aktivisten an Veranstaltungen der offen neonazistischen Parteien Die Rechte und Der III. Weg. Die ursprünglich als reine Männerorganisation gegründete „Bruderschaft Deutschland“, zu der seit nunmehr einigen Wochen auch eine „Schwesternschaft Deutschland“ zählt unterhält darüber hinaus enge Kontakte zu den „Steeler Jungs“ und zu „Mönchengladbach steht auf“.

Unter diesem Label marschierten, angeführt von Dominik Roesler, im zurückliegenden Jahr wiederholt mehrere Dutzend vorwiegend männliche Teilnehmer, durch die Stadt am Niederrhein. Die größte Resonanz erzielte dabei eine Demonstration am 8. September 2019, an der sich unter dem Motto „Stoppt die Gewalt!“ (zunächst: „Fremde Täter. Einheimische Opfer. Stoppt die Gewalt!“) rund 700 Personen beteiligten – die Hälfte war dem extrem rechten Hooliganspektrum zuzuordnen. Ebenfalls zugegen waren, neben Protagonist*innen der militanten Neonaziszene, Anhänger*innen von „Wutbürger*innen“-Gruppen wie Mütter gegen Gewalt, Patrioten NRW oder PEGIDA-NRW. Vordergründigen Anlass bot die tödlich endende Tat eines psychisch kranken Mannes im Frankfurter Hauptbahnhof Ende Juli 2019, der eine Frau und deren Kind vor einen einfahrenden Zug gestoßen hatte. Der Vorfall, bei dem das Kind ums Leben gekommen war, wurde nach den hinlänglich bekannten Mustern in den Filterblasen und in der Agitation extrem rechter Netzwerke (aber nicht nur dort!) in ethnisierender und rassistischer Weise systematisch ausgeschlachtet.

In den Tagen und Wochen nach dem Unglück fanden in NRW nicht nur in Mönchengladbach, sondern auch an anderen Orten zwischen Rhein und Ruhr entsprechende „Mahnwachen“, Kundgebungen und „Spaziergänge“ statt, zu denen Kleinstgruppierungen wie etwa „NRW schaut nicht weg“ aufgerufen hatten. So etwa in Aachen, Düsseldorf, Duisburg und Siegen. Dort fanden sich meist allerdings nur einige Dutzend Teilnehmer*innen ein.

„Gewaltdrohungen und Gebrüll“ in Köln

In Köln hatte wiederum für den 2. August 2019 eine Gruppe Schützt unsere Kinder Köln rund 200 Personen zu einer Kundgebung vor den Kölner Dom mobilisiert, um vorgeblich um den getöteten Jungen zu „trauern“. Davon konnte freilich nicht die Rede sein. Gekommen war ganz überwiegend das übliche Spektrum extrem rechter eifernder Wutbürger*innen, die sich, flankiert von Angehörigen der Hooligan- und Türsteherszene, so bilanzierte Belltower News in einem Bericht über die Veranstaltung, durch „Gewaltdrohungen und Gebrüll“ Gehör zu verschaffen versuchten. Der Verlauf der Kundgebung, die von Gegenprotesten begleitet wurde, vermag nicht zuletzt deshalb kaum verwundern, da deren unter dem Namen „Schützt unsere Kinder“ firmierenden Veranstalter*innen sich wesentlich aus dem Milieu des Begleitschutz Köln bzw. der Internationalen Kölschen Mitte rekrutierten –  eine Gruppierung, die ebenfalls mit dem Gestus einer „Bürgerwehr“ auftritt und vor allem im Jahr 2018 in Köln mit extrem rechts orientierten und teilweise offen gewaltaffinen Versammlungen in Erscheinung getreten war.

Ob in Essen-Steele, Herne, Düsseldorf, Mönchengladbach, Köln oder an anderen Orten, an denen sich selbsternannte „Bürgerwehren“ zu inszenieren versuchen: Gemeinsam ist den eng vernetzten Gruppen und deren Protagonist*innen, dass sie unter dem Vorwand ein vermeintlich „unpolitisches“ und gesellschaftlich konsensuales Anliegen zu vertreten – nämlich sich gegen „Gewalt“ zu positionieren, genau das Gegenteil dessen betreiben, was sie vorgeben zu tun: Tatsächlich schüren die „Bürgerwehren“ räumlich und temporär ein Klima der Angst und der Einschüchterung. Zum einen durch ihren gewaltvollen martialisch-aggressiven hypermännlichen Habitus, zum anderen durch die systematische Ethnisierung gesellschaftlicher Probleme (wie etwa sexuelle Gewalt). Rassismus bildet somit den Dreh- und Angelpunkt des Selbstverständnisses der „Bürgerwehren“ und ihrer Anhänger*innen (nicht nur) in NRW. Daran knüpft sich eine weitere, freilich wenig überraschende Beobachtung. Die aus diesem Spektrum organisierten „Mahnwachen“ und „Spaziergänge“ avancierten von Beginn an zu einem Tummelplatz für Mitglieder klassischer neonazistischer Gruppierungen, wie „Die Rechte“, „Der III. Weg“ oder die NPD. Letztere ist in NRW zu eigenständigen Aktionen ohnehin kaum mehr in der Lage.

„Die Rechte“ – Straßenpolitik mit beschränkter Reichweite

Die Rechte hingegen betrieb mit zahlreichen, Aufmärschen und Kundgebungen auch im Jahr 2019 eine umfangreiche Straßen- und Demonstrationspolitik, wobei die Teilnehmer*innenzahlen bei den Veranstaltungen wie schon in den vergangenen Jahren stagnierten. Deutlich wurde zudem, dass „Die Rechte“ trotz ihres permanenten Aktivismus über ihr eigenes Szeneumfeld hinaus kaum mobilisierungsfähig ist. Der Großraum Dortmund bildete weiterhin das Zentrum der Aktivitäten, wenngleich „Die Rechte“ auch in anderen Regionen, etwa im Rhein-Erft-Kreis mit Kundgebungen oder Flugblattaktionen wahrnehmbar war. Von einer flächendeckenden Präsenz in NRW kann jedoch nicht ansatzweise die Rede sein.

In den ersten Monaten des Jahres widmete sich die Partei dem Wahlkampf für die im Mai 2019 stattfindenden Wahlen zum Europäischen Parlament. Für „Die Rechte“ lieferte dieses Ereignis freilich nur einen Vorwand, um ihre völkische, unverhohlen antisemitische Propaganda unter dem Schutz des Parteiengesetzes zu verbreiten. Als Spitzenkandidatin hatte die Partei die notorische Nationalsozialistin und wegen Holocaustleugnung in der JVA Bielefeld einsitzende Ursula Haverbeck nominiert. Im Vorfeld der Europawahl führte „Die Rechte“ zahlreiche Infostände und Minikundgebungen durch – teilweise allerdings nur mit einer Handvoll Aktivist*innen. Den Abschluss der Kampagne bildete eine Demonstration in Dortmund-Hörde am 25. Mai 2019, an der sich trotz monatelanger Mobilisierung allerdings lediglich 180 Personen beteiligten, darunter jedoch Neonazis aus Bulgarien, Tschechien, Ungarn und Frankreich. Die Botschaften der Redebeiträge und skandierten Parolen waren indessen unzweitdeutig. „Alles für Volk, Rasse und Nation“ lautete beispielsweise einer der ständig proklamierten Slogans.

Das Wahlergebnis für „Die Rechte“ in NRW fiel erwartungsgemäß mit 0,1 Prozent mager aus. Gleichwohl erscheint es im Hinblick auf die absoluten Zahlen bemerkenswert, dass knapp 5.000 Wähler*innen bei einer offen nationalsozialistischen und antisemitischen Partei ihr Kreuz machten. Auch im Jahr 2020 wird „Die Rechte“ an Wahlen teilnehmen, so etwa an den Kommunalwahlen in NRW im September 2020. Für die Wahl zum sich erstmals konstituierenden Ruhrparlament verkündeten „Die Rechte“ und die schwächelnde NPD im Oktober 2019 mit einer gemeinsamen Liste, dem „Nationalen Bündnis Ruhrgebiet – Die Ruhralternative“ antreten zu wollen. Ob das Bündnis das für ein Mandat notwendige Prozent erreichen wird, ist indessen fraglich.

Rückschläge und Strafverfahren

In der zweiten Jahreshälfte mussten „Die Rechte“ und ihr Umfeld einige Rückschläge hinnehmen, die auch durch fortgesetzten Aktivismus und großspurigen Verbalradikalismus kaum zu kompensieren waren. Nachdem im August 2019 ein lange Zeit unbehelligt gebliebenes meterhohes Graffito mit dem Slogan „Nazi-Kiez“ in Dortmund-Dorstfeld unter Polizeischutz übermalt worden war, kündigten die Neonazis im September wöchentliche Demonstrationen „Gegen Polizeischikane“ durch die Dortmunder Nordstadt an, die bis Weihnachten jeweils montags durchgeführt werden sollten. Die Teilnehmendenzahl sank allerdings rasch unter 60 Personen. Offenkundig wurde hier, dass „Die Rechte“ hier nicht in der Lage war, über ihren eigenen „harten Kern“ hinaus zu mobilisieren. Schließlich wurde das Vorhaben, bis zum Ende des Jahres zu demonstrieren, abgeblasen.

Hatte die Übermalung des Graffitos in Dorstfeld vor allem symbolische Wirkung, bedeutete die Schließung des „Nationalen Zentrums“ in Hamm für „Die Rechte“ und die gesamte westfälische Neonaziszene einen schweren Schlag. Die Hinterhof-Räumlichkeiten im Kentroper Weg 18 firmierten für Neonazis aus der ganzen Region als Vernetzungs- und Rückzugsraum. Seit 2012 hatten dort regelmäßig Schulungen, Partys und Konzerte stattgefunden, häufig mit Szenegrößen aus dem In- und Ausland. Zuletzt im August 2019 als im Rahmen eines „Sommerfests“ ein Konzert mit den Bands Sturmwehr, Blutlinie und Snöfried (Schweden) unter den Augen von Polizei und Ordnungsamt stattfand, die indessen, trotz einer vorliegenden städtischen Verbotsverfügung, angeblich aufgrund fehlender rechtlicher Handhabe, nicht einschritten. Die amtliche Untätigkeit rief teilweise massive Proteste zivilgesellschaftlicher Gruppen, aber auch Kritik in den Medien hervor. Im Oktober 2019 wurde das „Nationale Zentrum“ dann nach jahrelangem Lavieren aus bau- und feuerpolizeilichen Gründen behördlich geschlossen. Ebenfalls im Oktober musste ein erst im August 2019 eröffneter Thor Steinar-Laden in der Dortmund Innenstadt schließen, da die Räumlichkeiten nicht für eine Nutzung als Bekleidungsgeschäft ausgewiesen waren. Die örtliche Neonaziszene hatte sich mit dem Betreiber solidarisiert und regelmäßig vor dem Ladengeschäft, gegen das sehr schnell antifaschistische Proteste laut geworden waren, Präsenz gezeigt – vergeblich.

Für zukünftige Aktivitäten wenig förderlich dürften auch die bereits vollzogenen oder bevorstehenden Haftantritte von Führungskadern der Partei „Die Rechte“ sein. Christoph Drewer, Mitglied des Bundesvorstands und seit einigen Jahren einer der umtriebigsten Neonazis im östlichen Ruhrgebiet, trat im November 2019 eine dreizehnmonatige Haftstrafe aufgrund einer volksverhetzenden Rede aus dem Jahr 2015 an. Auch sein Bruder Matthias Drewer, zeitweise Vorsitzender des „Die Rechte“-Kreisverbandes Hamm, sitzt aktuell wegen Verstoßes gegen eine Bewährungsauflage in Haft. Im Dezember 2019 verurteilte ihn das Amtsgericht Dortmund wegen gefährlicher Körperverletzung und antisemitischer Beleidigung zu zwei Jahren Haft ohne Bewährung. Sascha Krolzig, Bundesvorsitzender von „Die Rechte“ und das Dortmunder Neonaziurgestein Siegfried Borchardt wurden in anderen Verfahren ebenfalls zu mehrmonatigen, allerdings noch nicht rechtskräftigen Freiheitsstrafen verurteilt. Krolzig drohen zudem weitere Verfahren aufgrund von Veröffentlichungen in der Zeitschrift N.S. heute.

Zu diesen Widrigkeiten gesellten sich in den vergangenen Wochen weitere Rückschläge für die Neonazis von „Die Rechte“. Eine über Monate hinweg beworbene Solidaritätsdemonstration für Ursula Haverbeck in Bielefeld, ausgerechnet am 9. November entpuppte sich als Flop. Lediglich 230 Neonazis versammelten sich in der ostwestfälischen Stadt zu einem „eher peinlichen Auftritt“, wie Jennifer Marken in einem Bericht für Belltower.News resümierte. Zudem sah sich die „braune Restetruppe“ mit rund 15.000 Gegendemonstrant*innen konfrontiert.

Völkische Agitation im Sauerland – Der III. Weg

Trotz der verschiedenen Rückschläge, die „Die Rechte“ im zurückliegenden Jahr hinnehmen musste, bleibt sie in NRW die dominante Kraft im neonazistischen Spektrum. Daran änderten auch die zunehmenden Aktivitäten der Kleinstpartei Der III. Weg vorwiegend im Sieger- und Sauerland wenig. Dort allerdings zeigte die offen neonazistische Organisation trotz ihrer äußerst geringen Mitgliederzahl wahrnehmbare Präsenz. Seit Dezember 2015 verfügt „Der III. Weg“ im Sauerland über einen „Stützpunkt“, konzentrierte seither seine Aktivitäten aber im Wesentlichen auf den Kreis Olpe. Im Jahr 2019 traten der Ableger der Partei und dessen „Stützpunktleiter“ Julian Bender allerdings verstärkt auch im Siegerland und in der Großstadt Siegen in Erscheinung. „Der III. Weg“ führte in Siegen und in Kreuztal wiederholt Kundgebungen durch. Auch im Umfeld des Fußball-Regionalligisten Sportfreunde Siegen wurde die Partei aktiv. Im Herbst 2019 waren Parteikader an einem Übergriff im Rahmen einer Feier anlässlich des 120-jährigen Vereinsjubiläums beteiligt. Existierte in Siegen noch bis vor einigen Jahren eine aktive Neonaziszene, scheinen die gegenwärtigen Aktivitäten des „III. Weg“ darauf abzuzielen, diese brachliegenden Strukturen wieder zu beleben und für die Parteiarbeit nutzbar zu machen.

Ein reger Austausch besteht darüber hinaus mit Neonazis aus dem Westerwald (Rheinland-Pfalz), die im zurückliegenden Jahr verstärkt Präsenz im Siegerland zeigten. Zum „Tag der Heimattreue“, der im Juni 2019 in Olpe stattfand, konnte Bender rund 60 Aktivist*innen mobilisieren. Auf einem abgelegenen Parkplatz redeten neben Bender unter anderem auch der Bundesvorsitzende Klaus Armstroff und der rheinland-pfälzische Führungskader Mario Matthes. Im März 2019 gründete „Der III. Weg“ in Leverkusen mit dem „Stützpunkt Rheinland“ einen weiteren Ableger in NRW, der allerdings in der Folgezeit weniger sichtbar in Erscheinung als das Pendant im Sauerland. Für größeres Aufsehen sorgte jedoch ein Aufmarsch von 60 Aktivist*innen des „III. Weg“ in Mettmann am 16. März 2019, der ordnungsgemäß angemeldet worden war, über den aber weder die Polizei als Versammlungsbehörde, noch der Bürgermeister die Öffentlichkeit informiert hatten.

Rechtsrock und Familienfreizeit – „Volksgemeinschaft Niederrhein“

Neben „Die Rechte“ und „Der III. Weg“ entwickelte mit der Volksgemeinschaft Niederrhein (VGN) eine weitere, wenngleich nicht parteiförmige neonazistische Gruppierung auf regionaler Ebene (vor allem im Raum Kamp-Lintfort) wahrnehmbare Aktivitäten. Als führender Kopf fungiert der im Spektrum der extremen Rechten schon einschlägig bekannte Kevin Guiliani. Die VGN versucht momentan, sich vor allem durch die Organisation von Jugend- und Familienfreizeit-Angeboten sowie durch Partys und Konzerte in vorpolitischen und subkulturellen Bereichen zu profilieren. Im März 2019 veranstaltete sie etwa im Kreis Wesel einen Liederabend mit Villain 051. Im Juni folgte in Kamp-Lintfort ein Konzert mit Michael Regener („Lunikoff“). Eine Kooperation zwischen VGN und „Die Rechte“ besteht indessen nicht. Im Gegenteil: Mitglieder der Partei beschuldigen Guiliani, mit dem Verfassungsschutz kooperiert zu haben und rufen dazu auf, dessen Aktivitäten zu boykottieren.

Das Ende einer selbsternannten „Bürgerbewegung“

Eine Gruppierung in den Jahresberichten aus NRW in der Vergangenheit regelmäßig Erwähnung fand, fehlt in diesem Jahr. Die Bürgerbewegung Pro NRW, die rund zwölf Jahre lang mit rassistischer und islamfeindlicher Propaganda das Spektrum der extremen Rechten in Nordrhein-Westfalen wesentlich mitgeprägt und auf kommunaler Ebene einige Mandate errungen hatte, löste sich im März 2019 als Partei sang- und klanglos auf. Man strebe, hieß im für Pro NRW typischen Pathos als nunmehr „überparteilicher Verein im vorpolitischen Raum […] einen kraftvollen Neustart unter einem unbelasteten Namen an“. Der Niedergang von Pro NRW, nicht zuletzt bedingt durch endlose interne Querelen war seit Jahren offenkundig gewesen. Bereits zur Landtagswahl im Mai 2017 war die Partei nicht mehr angetreten, mit dem Hinweis, der aufstrebenden AfD keine Konkurrenz machen zu wollen.

Machtkämpfe in der AfD

Die AfD stellt zweifellos die bedeutendste Kraft im Rechtsaußen Spektrum in NRW dar. Erzielte sie bei den Landtagswahlen im Mai 2017 7,4 Prozent, hält sie sich seitdem in Meinungsumfragen stabil auf diesem Niveau. Bei den Europawahlen im Mai 2019 kam die AfD in NRW auf 8,5 Prozent und konnte mit Guido Reil und Gunnar Günter Beck zwei Abgeordnete ins Europäische Parlament entsenden. In Gelsenkirchen kam die Partei sogar auf 16,4 Prozent. In weiteren Ruhrgebietsstädten, etwa Herne, Bottrop oder Oberhausen erzielte die AfD ähnlich gute Ergebnisse.  In der medialen Berichterstattung wird der nordrhein-westfälische Landesverband und dessen Landtagsfraktion im bundesweiten Vergleich irriger Weise als eher gemäßigt und „bürgerlich“ beschrieben. So distanzierte sich etwa der stellvertretende Fraktionsvorsitzende und zwischenzeitliche (2017-2019) Landessprecher Helmut Seifen vom Auftreten seines Thüringer Parteikollegen Björn Höcke, das er mit den propagandistischen (Selbst)Inszenierungen von Adolf Hitler und Joseph Goebbels verglich. Sein Fraktionskollege und bis Oktober 2019 ebenfalls als Landessprecher amtierende Thomas Röckemann ist hingegen dem völkischen „Flügel“ um Björn Höcke zuzurechnen, ebenso wie der aus dem Kreis Warendorf stammende Landtagsabgeordnete Christian Blex, der sich mit der Organisation von „Flügel“-Veranstaltungen in NRW zu profilieren versuchte. Tatsächlich war das Jahr 2019 von Auseinandersetzungen innerhalb der nordrhein-westfälischen AfD geprägt, die so urteilt der Fachjournalist Rainer Roeser, weniger als weltanschaulicher Richtungskampf, denn als parteiinterner Machtkampf verstanden werden können, bei dem es kaum um die grundsätzliche Marginalisierung völkischer und anderer extrem rechter Positionen geht. Distanzierungen von den Protagonist*innen des „Flügels“ beziehen sich, auch in NRW mehr auf den politischen Stil, denn auf die inhaltlichen Aussagen.

Im Frühjahr 2019 wurden Whatsapp-Chats bekannt, in denen AfD-Mitglieder und –Funktionär*innen teilweise unverhohlen NS-verherrlichende und demokratieferne Botschaften austauschten und sich in Aufstandsphantasien ergingen. Im Sommer 2019 übernahmen im Verlauf eines chaotischen Landesparteitags in Warburg nach dem Rücktritt von neun der zwölf Mitglieder des Landesvorstandes die „Flügel“-Anhänger Röckemann, Blex sowie Jürgen Spenrath die Führung der Partei in NRW. Bei einem weiteren Landesparteitag im Oktober 2019 in Kalkar konnten sich bei den Wahlen zur Neubesetzung des Landesvorstandes die dezidierten Vertreter*innen des „Flügels“ nicht durchsetzen. Zum neuen Landessprecher der AfD in NRW wurde der Bundestagsabgeordnete Rüdiger Lucassen gewählt, der in den Medien vielfach als „gemäßigt“ beschrieben wurde. Dieser betonte bereits in seiner Bewerbungsrede, dass „der sogenannte Flügel nicht das Problem“ sei, warnte jedoch vor dem Versuch den Osten zu kopieren. Eine klare inhaltliche Distanzierung vom „Flügel“ war dies freilich nicht.

Als einer der Stellvertreter von Lucassen wurde das Münsteraner Ratsmitglied Martin Schiller gewählt, der sich im November 2019 vor dem Amtsgericht Münster wegen Körperverletzung verantworten musste. Am Rande einer AfD-Veranstaltung mit dem neurechten Publizisten Karlheinz Weissmann im Jahr 2018 in der Stadtbibliothek war Schiller gewaltsam gegen einen Besucher der Bücherei vorgegangen. Der Ratsherr wurde schließlich zu einer Geldstrafe von 2.100 Euro verurteilt. Auch im Düsseldorfer Landtag hat die AfD mit Mäßigung offenkundig ihre Probleme. Seit 2017 kassierte die kleinste Fraktion im Parlament die mit Abstand meisten Rügen (47) sowie zwei Ordnungsrufe.

Nächstes Ziel der AfD in NRW ist die Kommunalwahl im September 2020, bei der sich die Partei nunmehr flächendeckend in Räten, Bezirksvertretungen und Kreistagen etablieren möchte – die Aussicht erscheint nicht unrealistisch. Indessen formieren sich auf Seiten der Zivilgesellschaft seit einiger Zeit zahlreiche neue Initiativen und Bündnisse, die dem gesellschaftlichen Rechtsruck im Allgemeinen, der AfD, dem „Dritten Weg“, der Partei „Die Rechte“ , selbsternannten Bürgerwehren und organsiertem Wutbürger*innentum etwas entgegensetzen möchten. Erfreulich war in der Rückschau auf das vergangene Jahr, dass in den meisten Fällen, extrem rechte Aufmärsche oder „Spaziergänge“ von breiten zivilgesellschaftlichen und antifaschistischen Protesten begleitet wurden. Bemerkenswert ist aber auch, dass sich viele Bündnissen und Initiativen nicht nur an den Provokationen der extremen Rechten abarbeiten wollen, sondern auch versuchen eigene, demokratische und menschenrechtsorientierte Positionen und Narrative in die Öffentlichkeit zu tragen.

Die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus NRW:

https://www.mobile-beratung-nrw.de/

Jahresrückblicke 2019 aus den einzelnen Bundesländern

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AfD in Schleswig-Holstein Von rechts ohne Konkurrenz

Bei der AfD kriselt es seit Beginn des Wahljahres. Neben dem Führungsstreit um Frauke Petry und dem schwachen Ergebnis bei der Landtagswahl im Saarland, geht der Trend zur Bundestagswahl ebenfalls nach unten. In Umfragen kommt die Partei noch auf 9 Prozent – im Oktober 2016 waren es noch 15 . Auch in Schleswig-Holstein, wo am 7. Mai gewählt wird, bangt die Partei um den Einzug in den Landtag. Konkurrenz von rechts gibt es diesmal nicht.

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