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Jahresrückblick 2020 Hessen

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Kundgebung vor dem OLG Frankfurt, wo der versuchte Mord an Ahmed I. verhandelt wird. (Quelle: MBT Hessen)

In Hessen war, trotz der Beschränkungen wegen Covid-19, leider sehr viel los im Bereich extreme Rechte. Das umfasste viele Bereiche und Strukturen. Leider gingen die Bedrohungen durch die Morddrohungen des „NSU 2.0“ und der damit einhergehende hessische Polizeiskandal in die zweite Runde. Das schreckliche rassistische Attentat in Hanau am 19. Februar 2021 erschütterte uns zutiefst. Die extreme Rechte und die Demos und Kundgebungen der „Corona-Gegner*innen“ beschäftigte uns vielerorts und parallel fand der Prozess gegen Stephan E. und Markus H. wegen des Mordes am ehemaligen Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke und des versuchten Mordes an Ahmed I. am Oberlandesgericht in Frankfurt statt.

 

Der rassistische Anschlag in Hanau, 19. Februar 2020

Bei einem rassistischen Terroranschlag in Hanau wurden am 19. Februar 10 Menschen ermordet. Der Täter erschoss 9 Menschen bei und in einer Shisha-Bar in der Hanauer Innenstadt und einem Kiosk im Stadtteil Kesselstadt. Anschließend erschoss der Täter in seiner Wohnung seine Mutter und sich selbst. Auf einer eigenen Webseite hinterließ der mutmaßliche Täter ein Manifest und mehrere Videos. Diese Quellen verweisen auf sein rassistisches, antisemitisches und von Verschwörungstheorien geprägtes Weltbild. Am 20. Februar fanden in Hanau und in zahlreichen anderen Städten Mahnwachen in Gedenken an die Opfer des Anschlags statt.

In der medialen Berichterstattung wird von einer psychischen Erkrankung bei dem mutmaßlichen Täter ausgegangen. In einem Interview mit der taz meinte die forensische Psychiaterin Dr. Nahlah Saimeh, es gäbe „Hinweise auf eine schwere psychotische Erkrankung, wahrscheinlich eine paranoid-halluzinatorische Schizophrenie“. Allerdings sei seine Persönlichkeitsstörung mit einem klar rechtsextremen Narrativ verknüpft gewesen. Saimah warnte dabei auch vor einer Pathologisierung von Terrorist*innen.

Der Bundesanwaltschaft lagen keine Erkenntnisse vor, dass der Täter vor seiner Tat in seinem Umfeld darüber gesprochen hatte und vorher bei Polizei oder Verfassungsschutz bekannt gewesen sei. Er verfügte über zwei Waffenbesitzkarten und war Mitglied in zwei Schützenvereinen. Seit 2012 war er Mitglied von „SV Diana Bergen-Enkheim“, zudem war er Mitglied in einem Schützenverein in München. Die Generalbundesanwaltschaft bestätigte am 20. Februar, dass der Täter bei ihr im November 2019 Strafanzeige gegen eine unbekannte geheimdienstliche Organisation gestellt hatte (vgl. Die ZEIT).

Der Attentäter nahm 2019 mindestens zweimal an Gefechtstrainings einer privaten Sicherheitsfirma in der Slowakei teil. Als Ausbilder hätten ehemalige Militärs- und Spezialeinsatzkräfte fungiert. Darüber hinaus hatte er sich am 7. Februar bei einem Hanauer Waffenhändler eine Waffe der Marke „Czeska“ geliehen. Eine Czeska wurde auch bei den Mordanschlägen des NSU verwendet. Laut Frankfurter Rundschau ist der Täter vor dem An­schlag von Hanau mehrmals aufgefallen. Bereits 2000 soll er während einer Feier in Hanau mit einem Gast, einem Schwarzen Menschen, gestritten und ihn schließlich mit einer Pistole bedroht haben. Zudem verdich­ten sich Hinweise, dass es sich bei dem vermummten Mann, der 2018 in Schutzkleidung und mit Sturmgewehr bewaffnet, Jugendliche in der Nähe des JUZ im Stadtteil Kesselstadt bedrohte, um ihn handeln könnte. Einer der bedrohten Jugendlichen hatte Bundeswehr­erfahrung und konnte bezeugen, dass das Gewehr definitiv echt war. In der Nähe des JUZ war zudem die Adresse der Webseite des Täters auf den Bo­den gesprüht (vgl. Frankfurter Rundschau). In der Nacht vom 10. auf den 11. April 2020 wurden die Scheiben des „Arena Bar & Café“ in Hanau-Kesselstadt von Unbekannten mit Pflastersteinen eingeworfen. Das Lokal am Kurt-Schumacher-Platz war der zweite Tatort während des rassistischen Terroranschlags am 19. Februar und ist heute auch ein Gedenkort.

Der AfD-Landtagsabgeordnete Rainer Rahn wurde für Aussagen kritisiert, die er im Zusammenhang mit dem Anschlag von Hanau tätigte. Er hatte gegenüber der FAZ am 21. Februar gesagt: „Shisha-Bars sind Orte, die vielen missfallen, mir übrigens auch. Wenn jemand permanent von so einer Einrichtung gestört wird, könnte das irgendwie auch zu einer solchen Tat beitragen“. Laut Bericht der Offenbacher Post inszenierte der Ex-AfD-Landesvorsitzende von Sachsen-Anhalt André Poggenburg am 26. Februar ein Foto an einem der Tatorte in Hanau. Auf dem Foto waren auch der ehemalige Vorsitzende der extrem rechten Partei „PRO NRW“ Markus Beisicht sowie der ehemalige Thügida-Anführer Alexander Kurth zu erkennen. Am 27. Februar erhielt die Hanauer Moschee ein Drohschreiben, in dem der Anschlag gerechtfertigt und die Opfer verhöhnt werden. Der Brief wurde handschriftlich in großen Druckbuchstaben verfasst und anonym versendet. An den Zentralrat der Muslime wurde ebenfalls ein Drohschreiben adressiert. Der Verfasser bezieht sich darin auf Hanau und gibt an, dass er bereits seit mehreren Jahren die Idee verfolge, einen Anschlag auf Muslime zu verüben.

Wie Spiegel Online am 15. Dezember 2020 mit Bezug auf Ermittlungsakten veröffentlicht hat, steht der Vater des Täters dem verschwörungstheoretischen und rassistischen Weltbild seines Sohnes sehr nahe. Er fordert nicht nur die Mordwaffen zurück, sondern will auch das Traktat seines Sohnes mit dessen rassistischen Vernichtungsphantasien wieder online ins Internet stellen.  Des Weiteren stellte er Strafanzeigen wegen „Volksverhetzung“ bezüglich der Gedenkstätten und macht die Opfer zu Tätern. Und nicht zuletzt: er droht in den Schreiben mit weiteren Opfern!

In Hanau hat sich die Initiative „19. Februar“ gegründet, die dafür kämpft, dass die Namen der Opfer nicht vergessen werden, um der Solidarität und den Forderungen nach Aufklärung und politischen Konsequenzen einen dauerhaften Ort zu geben. Mit dem gewaltsamen Tod ihres Sohnes muss sich auch Serpil Tamiz Unvar, die Mutter von Ferhat Unvar, eins der Opfer aus Hanau, auseinandersetzen. Sie hat einen Verein ins Leben gerufen, der als Anlaufstelle für Mütter und deren Kinder dienen soll, die von rassistischer Diskriminierung betroffen sind.

 

Hessischer Polizeiskandal – „NSU 2.0“

Die Serie begann ursprünglich im August 2018 mit einem Fax an die Frankfurter NSU-Nebenklageanwältin Seda Başay-Yıldız, in der ihre im Melderegister gesperrte Privatanschrift und Namen von Angehörigen genannt werden (vgl. Antifaschistisches Infoblatt). Diese Daten sollen von dem Account einer Polizistin im 1. Frankfurter Polizeirevier abgerufen worden sein, in dem an diesem Tag 14 Personen arbeiteten. Die Analyse ihres Handys „brachte eine Chatgruppe zutage, in der Polizisten aus dem Revier sowie ein Beamter aus Alsfeld und eine Privatperson rassistische und NS-verherrlichende Nachrichten ausgetauscht hatten.“

Im Zusammenhang mit dem Verdacht extrem rechter Umtriebe in der hessischen Polizei wurden am 7. Februar 2020 die Wohnungen und Diensträume von drei Frankfurter Polizisten durchsucht (vgl. FAZ). Die Beamten befinden sich inzwischen nicht mehr im Dienst. Bei den Verdächtigen handelt es sich teilweise um Beamte, die schon im Jahr 2019 im Fokus der Ermittler*innen standen. Laut eines Berichts von Radio Berlin Brandenburg wurde am 7. Februar auch eine Hausdurchsuchung bei einem Berliner Polizisten durchgeführt, der erst kürzlich aus Hessen nach Berlin gewechselt sei. Dem Tatverdächtigen sei „unverzüglich ein Verbot der Führung der Dienstgeschäfte“ ausgesprochen worden.

Laut Bundesamt für Verfassungsschutz sind in den hessischen Sicherheitsbehörden in den vergangenen Jahren offenbar besonders viele rechtsextreme Verdachtsfälle gemeldet worden. Demnach gab es in den Sicherheitsbehörden in Deutschland von Januar 2017 bis März 2020 insgesamt 350 laufende oder abgeschlossene Disziplinarverfahren wegen Rechtsextremismus bei Mitarbeiter*innen, jedes siebte davon in Hessen. Insgesamt haben hessische Ermittler*innen Informationen über 99 rechtsextreme Drohschreiben, die mit dem Kürzel „NSU 2.0“ versendet wurden. Diese richteten sich an 28 Personen und Institutionen in acht Bundesländern. Davon ordnen die Ermittler*innen 17 Schreiben Trittbrettfahrer*innen zu. Auffällig bei der Auswahl der Betroffenen war, dass es sich überwiegend um Frauen handelte. Die Drohschreiben hatten auch vermehrt frauenfeindliche Inhalte.

Der hessische Innen­minister Peter Beuth und Landespolizeichef Udo Münch gaben am 4. Juni den Stand der Ermittlungen und Disziplinarverfahren zu extrem rechten Verdachtsfällen in der hessischen Polizei bekannt. Seit 2015 wurden mehr als 70 Bedienstete der hessischen Polizei verdächtigt. In 30 Fäl­len prüfe die Staatsanwaltschaft noch, ob Anklage erhoben werde. Laut Münch gebe es kein extremes rechtes Netzwerk in der hessischen Polizei. So erhielt beispielsweise die Fraktionsvorsitzende von „Die Linke“ im hessischen Landtag Janine Wissler im Februar 2020 zwei rechte Drohmails, die mit „NSU 2.0“ unterzeichnet waren. In der Mail wurden Nazi-Grußformeln verwendet. Auch persönliche Daten von Wissler wurden verwendet. In den Schreiben an die Landtagsabgeordnete erweckte der*die Täter*in den Eindruck, dass er*sie dem Polizeiapparat angehöre. Drohbriefe in ähnlicher Form wurden Ende 2018 an die Frankfurter Anwältin Seda Başay-Yıldız verschickt. Die persönlichen Daten von Wissler wurden im Februar auf einem Dienstcomputer der Polizei in Wiesbaden abgerufen und sie erhielt zwischen dem 4. und 8. Juli zwei weitere Drohschreiben. Auch zahlreiche weitere Politiker*innen sowie andere Prominente erhielten Drohschreiben, die mit „NSU 2.0“ unterzeichnet waren. Ein Teil der Drohschreiben enthielt persönliche, nicht öffentlich bekannte Informationen. In diesen „NSU 2.0“-Drohschreiben wurde auch wiederholt Bezug auf Berichte zu Ermittlungsmaßnahmen gegen Polizist*innen im Rahmen der Drohserie genommen. Von den Absender*innen wurden diese Ermittlungen immer wieder kritisiert. Auch die Frankfurter Kabarettistin İdil Baydar erhielt seit Monaten rechte Drohschreiben, die mit „SS-Obersturmbannführer“ unterzeichnet sind. Auch ihre persönlichen Daten wurden von einem Computer in einem Revier der Polizei in Wiesbaden abgerufen.

Nach Bericht der Hessenschau vom 16. Juli ist ein weiteres „NSU 2.0“-Drohschreiben aufgetaucht. Es richtet sich gegen die ZDF-Moderatorin Maybrit Illner und die taz-Journalistin Hengameh Yaghoobifarah. Der Verfasser deutet an, selbst Polizist zu sein, schon mehrere rechtsextreme Mails verschickt zu haben und kündigt weitere Drohschreiben an. Der Absender nimmt am Ende seines Briefs auch Bezug auf die „Kameraden des Staatsstreichorchesters“. 2019 wurden bundesweit Drohschreiben verschickt, die mit „Staatsstreichorchester“ unterzeichnet waren. Der Duktus der Drohschreiben sei ähnlich wie in den bisherigen „NSU 2.0“-Schreiben, was darauf schließen lässt, dass es sich um denselben Verfasser handelt. Laut Meldung von Radio Bonn erhielt auch der Siegburger Anwalt Mehmet Daimagüler, der im NSU-Prozess Angehörige der NSU-Opfer vertrat, ein Drohschreiben das mit „NSU 2.0“ unterzeichnet war.

Laut Die Welt gingen am 17. Juli zwei neue „NSU-2.0”-Drohschreiben an insgesamt 15 Empfänger. Zu den Empfängern gehörten neben Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) erneut die Landtagsabgeordnete Janine Wissler und die Kabarettistin Idil Baydar. In den neuen Schreiben wurde auch der Welt-Journalist Deniz Yücel bedroht. Auch die Frankfurter „ÖkoLinX“-Stadtverordnete Jutta Ditfurth erhielt ein Schreiben, das mit „NSU 2.0“ unterzeichnet wurde. In dem Brief sei auch die Privatadresse von Ditfurth genannt worden. In der Nacht vom 20. auf den 21. Juli wurden weitere „NSU 2.0”-Drohschreiben verschickt. Bei den Ermittlungen zu den Drohmails wird der Frage nachgegangen, ob es innerhalb der Polizei ein rechtes Netzwerk gibt, das am Versand der Mails und der Abfrage von persönlichen Informationen beteiligt ist. Laut Hessenschau sagte der hessische Innenminister Peter Beuth am 9. Juli in Wiesbaden, dass Sonderermittler eingesetzt werden sollen, die wegen der Vorgänge bei der hessischen Polizei im Zusammenhang mit den „NSU 2.0”-Drohmails ermitteln sollen. Die Sonderermittler sollen ebenfalls dem Verdacht nach einem rechten Netzwerk innerhalb der hessischen Polizei nachgehen.

Im Laufe der Ermittlungen stellte sich heraus, dass die Datenabfragen im Zusammenhang mit den Drohmails von mehreren Personen durchgeführt worden sein mussten. Ob diese als Netzwerk zusammenarbeiten oder lediglich dieselbe Vorgehensweise nutzen, ist noch unklar. Laut Frankfurter Rundschau vom 23. Juli fand die Datenabfrage im Zusammenhang mit den „NSU 2.0”-Drohbriefen zu unterschiedlichen Zeitpunkten an drei Polizeirevieren statt: vom 1. Revier in Frankfurt, sowie vom 3. und 4. Revier in Wiesbaden. Dabei gab es anscheinend keine personellen Überschneidungen zwischen diesen Revieren zu den jeweiligen Zeitpunkten.

Die Betroffenen kritisierten die Ermittlungen der Sonderermittlung, dass die bei der illegalen Datenabfrage eingeloggten Beamt*innen lediglich als Zeug*innen und nicht als Beschuldigte eingestuft wurden. Interne Dokumente des LKA zeigten, dass auch Ermittler*innen dort diese Entscheidung kritisch sahen. Diese Einstufung war nach Angaben der Ermittler*innen der Grund, warum Handys und Datenträger nicht als Beweismittel herangezogen werden konnten. Die Staatsanwaltschaft begründete ihre Entscheidung damit, dass allein der Umstand des Einloggens zu einem Anfangsverdacht für diese Einstufung nicht ausreiche. Je nach Bundesland unterscheiden sich die Kontrollmechanismen sowie die Verfolgungsbefugnisse. Müssten Beamte in Baden-Württemberg jede 50. Abfrage begründen, fordert Hessen das nur bei der 200. Abfrage – und das auch erst seit 2019.

Laut taz haben die Täter*innen, die hinter den „NSU 2.0“-Drohmails stecken, erneut private Daten der bedrohten Anwältin Seda Başay-Yıldız erlangt. In einer mit „NSU 2.0 Der Führer“ unterzeichneten Mail von Ende Juni wird ihre aktuelle, öffentlich nicht bekannte Wohnanschrift in Frankfurt genannt. Es steht der Verdacht im Raum, dass erneut persönliche Daten in einem Polizeisystem abgefragt wurden. Ebenfalls die taz berichtete, dass bereits im August 2018 telefonisch versucht wurde, an private Daten von Autor*in Hengameh Yaghoobifarah zu kommen. Es meldete sich eine Person damals telefonisch in der Redaktion, gab sich als Polizist aus und äußerte eine Drohung. In zwei späteren „NSU 2.0“-Schreiben wird präzise auf diesen Anruf Bezug genommen. Die Nachrichten, in denen das Telefonat erwähnt wird, wurden im Oktober 2019 beziehungsweise Juni 2020 von der Adresse verschickt, die die Ermittler*innen dem „NSU 2.0“ zuordnen.

Im September sind sechs weitere mit dem Kürzel „NSU 2.0“ unterzeichnete Drohschreiben verschickt worden (vgl. Die ZEIT). Ein Polizist des Frankfurter 1. Polizeireviers soll im Fokus der Ermittlungen zu den „NSU 2.0.“-Drohmails stehen, der bereits seit 2019 unter Verdacht stand. Damals gab es gegen den Polizisten eine Hausdurchsuchung in seinem Haus in Kirtorf. Der erneute Verdacht liegt unter anderem an Drohschreiben, die bei der taz in Berlin eingegangen sind.

Ein Kriminalkommissar des Frankfurter Polizeipräsidiums soll ebenfalls illegal Informationen aus Polizeidatenbanken abgerufen haben (vgl. Frankfurter Rundschau). Zudem soll er nebenberuflich für die Sicherheitsfirma „Asgaard“ gearbeitet haben, ohne diese Nebentätigkeit von seinem Dienstherrn genehmigen zu lassen. Laut einer Recherche der ARD-Sendung Kontraste und vom Spiegel fielen Mitarbeiter*innen von „Asgaard“ immer wieder durch rechte Äußerungen auf. Gegen den Beamten, der im Landkreis Germersheim in Rheinland-Pfalz lebt, wird wegen Bestechlichkeit und die Verletzung von Dienstgeheimnissen ermittelt. Laut Innenminister Peter Beuth gebe es bislang keine Hinweise auf eine rechtsextreme Betätigung des Kriminalkommissars.

 

Reaktionen aus der rechten Szene auf die Corona-Krise

Im Jahr 2020 fanden in vielen hessi­schen Städten, wie in der ganzen Bundesre­publik, sogenannte „Hygiene-Demos“ statt, die sich gegen die Maßnahmen zur Eindäm­mung des Corona-Virus richteten. Zahlrei­che Teilnehmer*innen und Organisator*innen dieser Demonstration waren Anhänger*innen von Verschwörungsideologien. Auffällig war dabei auch die Präsenz von Anhänger*innen des aus den USA stammenden QAnon-Ver­schwörungsmythos. Zudem nutzten extrem rechte Organisationen und Parteien die De­mos, um ihre Propaganda zu verbreiten. Bei vielen „Hygiene-Demos“ tauchte antisemitische Symbolik auf. Fast überall nehmen Menschen teil, die Plakate mit verschwörungsideologischen und/oder antisemitischen Inhalten dabeihatten und hochhielten.

Die antifaschistische Zeitschrift Lotta schreibt dazu: „Auch Naturheilpraktiker*innen und Impfgegner*innen initiierten Aktionen, beispielsweise in Bensheim und Kassel. Einige lokale Proteste sind enger mit der „KDW“ oder der „Querdenken711“-Initiative verbunden, die am 2. Mai bis zu 5.000 Menschen in Stuttgart versammelte. So beispielsweise die Gruppe „Querdenken615“ aus Darmstadt, deren regelmäßige Kundgebungen bis Ende Juni meist eine dreistellige Zahl an Teilnehmenden anzogen. Dies stellt derzeit in Hessen die größte und nachhaltigste Mobilisierungen dar. Zuletzt soll es aus dem Umfeld der Gruppe zu Bedrohungen des Darmstädter Oberbürgermeisters gekommen sein. Auch anderorts wurde politischen Gegner*innen gedroht. Nicht nur in der Mainzer Telegram-Gruppe „Querdenken“ wurde eine Anti-Antifa-Liste gepostet. In Münster schrieb ein Mitglied einer entsprechenden Telegram-Gruppe, man solle mit dem Auto in „Black Lives Matter“-Demos fahren.“

Besonders besorgniserregend ist in Hessen, wie auch in den anderen Bundesländern, die Zusammensetzung der Teilnehmenden. Meistens erscheinen zutiefst verunsicherte Leute zusammen mit Anhänger*innen verschiedener spiritueller Zusammenhänge, Verschwörungserzähler*innen, Esotheriker*innen, Impfgegner*innen, zusammen mit Neonazis aus Organisationen, Parteien und Gruppierungen und rechten Parteien. Distanzierungen zur extremen Rechten finden so gut wie gar nicht statt. Vielmehr findet sich spektrenübergreifend eine Querfront in den Verschwörungsideologien und im Antisemitismus.

Während der Corona-Krise kam es zu einer Reihe von rassistischen Vorfällen gegen Personen, denen „asiatisches Aussehen“ zugeschrieben wurde (vgl. Belltower.News). Beispielsweise würde eine aus Korea stammende Person in einer Straßenbahn in Frankfurt 15 Minuten lang rassistisch beleidigt (vgl. Twitter). Zudem soll sich der Täter später positiv auf Hitler bezogen haben.

„Hygienedemo“ im Mai 2020 auf dem Opernplatz in Frankfurt.

Die Reaktionen der rechten Szene auf die Corona-Krise fielen in Hessen unterschiedlich aus. Die Kundgebungen fanden auch in diversen Orten in Hessen regelmäßig mit Beteiligung der extremen Rechten statt. In Frankfurt beispielsweise demonstrierte der rechte YouTuber Henryk S. mit einigen Anhänger*innen gegen die Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus. Die Teilnehmer*innenzahlen waren sehr gering. Laut Bericht des Rechercheportals Blick nach rechts beteiligte sich auch Inge S. von den Wiesbadener Gelbwesten an den Kundgebungen. Auch die ehemalige Fragida-Veranstalterin Heidi M. nahm an den Demonstrationen teil.

In Kassel sind zwei Spektren organisatorisch vertreten: Während eine kleine Gruppe mit 10 bis 20 Personen regelmäßig im öffentlichen Raum gegen die Coronamaßnahmen meditierte, versteht sich ein anderer Personenkreis als Ortsgruppe von „Querdenken“. Bereits bei einer der ersten Kundgebungen im April trat am offenen Mikrofon auch ein Vorstandsmitglied der AfD, Manfred Mattis, auf, der zu Einigkeit aufrief. In Kassel legt die AfD, laut der antifaschistischen Rechercheplattform task, einen großen Fokus auf die lokalen „Coronaproteste“. Aber auch in Frankfurt beteiligte sich die AfD und deren Umfeld am Thema. Am 6. Juni beispielsweise fand auf dem Roßmarkt in Frankfurt eine Kundgebung mit dem Motto „Corona und der Einschnitt in un­sere Grundrechte“ statt, die von Anhänger*in­nen des Buchautors Zahid Khan organisiert wurde (vgl. Frankfurter Rundschau). Die Veranstaltung wurde von 10-30 Teilnehmer*innen besucht. Neben Zahid Khan selbst hielt auch seine Tochter Mary Kahn, Mitglied im Bundesvorstand der „Jungen Alternative“ (JA), eine Rede. Ange­kündigt waren auch Reden der thüringischen AfD-Landtagsabgeordneten Corinna Herold, des AfD-Bundestagsabgeordneten Thomas Seitz aus Baden-Württemberg und der bran­denburgischen AfD-Landtagsabgeordneten Birgit Bessin. Seitz wird zum offiziell aufge­lösten völkischen „Flügel“ seiner Partei ge­rechnet. An einer Gegenkundgebung nahmen etwa 600 Menschen teil.

Zu einiger Bekanntheit gelangte „Jana aus Kassel“, die sich bei einer Kundgebung in Hannover mit Sophie Scholl verglich, weil sie am Tag zuvor eine eigene Demo in Kassel angemeldet hatte, aber wie die Bewegung insgesamt, war auch hier kaum ernsthaft politisches Engagement mit politischen Forderungen zu beobachten. Extrem rechte Akteure tauchten in Kassel kaum auf, zu den großen Protesten nach Berlin, zu denen in der Szene mobilisiert worden war, fuhren aber stadtbekannte Neonazis. Einzelne Versuche, in nordhessischen Kreisstädten Kundgebungen zu etablieren scheiterten mehr oder minder kläglich an mangelnder Beteiligung oder blieben auf ökologisch-verschwörungstheoretische Kreise ohne großen Zulauf beschränkt.

Die extrem rechte Kleinpartei „Der III. Weg“ nutzte die Corona-Krise für ihre Propaganda und stellte sich als Helferin dar. Am 29. März veröffentlichte die Partei auf ihrer Webseite ein Hilfsangebot für „deutsche Spargelbauer(n)“ und bot an, in Südhessen bei der Ernte zu helfen. Am 3. April veröffentlichte sie ein Angebot zur „Nachbarschaftshilfe“ im Taunus. Anfang Mai be­teiligten sich vielerorts Personen aus der rechten Szene an den „Hygiene-Demos“. In Süd- und Osthessen beteiligten und/oder kündigten sich NPD-Funktionäre an, in Fulda gab es beispielsweise eine Kund­gebung mit offiziell 20 Teilnehmer*innen. Auf dem Platz, auf dem gleichzeitig auch eine Gegenkundgebung von „Fulda stellt sich quer“ stattfand, waren insgesamt ungefähr 100 Menschen. Die antifaschistische Orga­nisation „Fulda stellt sich quer“ meinte, dass sich unter die „Hygiene-Demo“ Personen aus der NPD, von den Reichsbürger*innen, sowie Verschwörungsideolog*innen untergemischt hätten. Am 23. Mai gab es eine Kundgebung unter dem Motto „Deutschland gegen den Corona-Wahnsinn“ neben der Willi-Zinnkann-Halle in Büdingen. Die knapp zwei Dutzend Teilnehmer*innen waren fast ausschließlich Parteimitglieder oder Sympathisant*innen der NPD. Ange­meldet wurde die Kundgebung von Stefan Jagsch, stellvertretender Vorsitzender der NPD Hessen. Reden wurden von Daniel Lach­mann, NPD-Landesvorsitzender, und Ingo Hel­ge, stellvertretender Landesvorsitzender der NPD, gehalten. Vielerorts (zum Beispiel in: Seligenstadt, Wiesbaden, Darmstadt, Gießen) beteiligten sich lokale Akteur*innen, die bereits in den letzten Jahren durch rassistische Demos und Kundgebungen gegen Geflüchtete aufgefallen waren, bekannt durch das mitorganisieren von Pegida oder „HoGeSa“.

Auf den Demonstrationen gegen die Maßnahmen gegen das Corona-Virus in Hessen ist seit März 2020 immer wieder Symbole der sogenannten QAnon-Bewegung zu sehen. Auf Demonstrationen und Kundgebungen zeigen Anhänger*innen sich mit dem Buchstaben „Q“ auf der Kleidung oder auf Schildern. Die aus den USA stammende Verschwörungsideologie findet auch zunehmend Anhänger*innen in Hessen. Immer wieder tauchen auch Flugblätter und verschwörungstheoretische Pamphlete von QAnon-Anhänger*innen auf. In Wiesbaden wurden beispielsweise am 30. Juli QAnon-Flyer verbreitet. Der Rechercheblog Rewiu berichtet in einen Hintergrundbericht über die Corona-Demos in Wiesbaden auch über eine Zunahme von Flyern und Schmierereien mit Bezug zu QAnon im Wiesbadener Stadtbild. Neben dem Buchstaben „Q“ findet sich häufig auch die QAnon-Parole „WWG1WGA“ („where we go one, we go all“). Auffällig ist auch die häufige Vermischung der QAnon-Verschwörungsideologie mit der Reichsbürger-Ideologie. So soll beispielsweise eine Teilnehmerin einer Kundgebung in Wiesbaden am 15. Juni ein Schild mit dem Spruch „Erwacht, Qanon, BRD-GmbH“ gehalten haben. „BRD-GmbH“ ist ein Begriff, der häufig in Zusammenhang mit der Reichsbürger*innen-Ideologie anzutreffen ist. In Fulda wurden am 15. Mai sowohl QAnon-Flyer als auch Reichsflaggen gefunden.

 

Prozess gegen Stephan E. und Markus H. am OLG Frankfurt

Seit dem 16. Juni 2020 wird am Oberlandesgericht Frankfurt gegen Stephan Ernst und Markus H. verhandelt. In der Anklageschrift der Bundesanwaltschaft, wird Ernst der Mord an Walter Lübcke und der versuchte Mord an Ahmed I. vorgeworfen. Markus H. soll ihn ideologisch unterstützt und ihm Zugang zu Waffen ermöglicht haben. Es gab drei Einlassungen des Hauptangeklagten zum Mord an Walter Lübcke, allerdings mit massiven Lücken in Bezug auf seine ideologische und strukturelle Einbindung in die extrem rechte Szene. In der ersten Version legte er ein umfassendes Geständnis ab, in der zweiten Version beschuldigte er Markus H., versehentlich einen Schuss auf Walter Lübcke abgegeben zu haben, in der dritten Version gab er an, selbst geschossen zu haben, aber mit Markus H. gemeinsam vor Ort gewesen zu sein. Die zweite Tat, der rassistische Mordversuch an Ahmed I. in Lohfelden (Kassel) am 6.01.2016, streitet Stephan Ernst bis zum Ende der Beweisaufnahme ab. Ermittler*innen hatten bei einer Hausdurchsuchung ein Klappmesser gefunden, auf dessen Klinge eine geringe Menge DNA gefunden wurde, die ein geladener Sachverständiger als einen erheblichen Beleg wertete, dass das Blut des Nebenklägers Ahmed I. gewesen war.

Während des Prozesses wurde offengelegt, dass die Polizei nach dem Mordversuch am Nebenkläger bereits bei Stephan Ernst war und sich die Fahrräder anschauten, da der Täter auf einem Fahrrad unterwegs war. Dass Ernst damals schon zwei Voraussetzungen erfüllte, nämlich als Straftäter PMK Rechts, als auch als verurteilter Messertäter bei den Behörden geführt wurde, führte damals weder zu weiteren Ermittlungen, noch zu einer Hausdurchsuchung bei ihm. Erst nachdem sich Ahmed I., nach dem Mord an Walter Lübcke, gemeinsam mit der Betroffenenberatung „response“ mittels eines Briefs erneut an die Behörden wendete und gleichzeitig Ernst bei seinem Geständnis Aussagen machte, die ihn als Täter dieser Nacht infrage kommen ließen, wurden die Ermittlungen wiederaufgenommen und eine Hausdurchsuchung bei Ernst veranlasst. In einem Statement auf einer Pressekonferenz anlässlich seiner Zeugenaussage berichtete Ahmed I. von den Ermittlungen, die auf den Angriff gegen ihn folgten: „Hier müsste auch die Polizei auf der Anklagebank sitzen.“

Sonja Brasch von NSU-watch Hessen schreibt dazu: „Beide Taten, die Stephan Ernst und zum Teil Markus Hartmann vorgeworfen werden, hängen eng zusammen und stehen im Kontext der rassistischen Mobilisierungen der letzten Jahre. An ihnen lässt sich gut analysieren, wie Rassismus als Klammer von der (extremen) Rechten bis weit in die Mitte der Gesellschaft wirkt und wie die rassistische Mobilisierung in den Parlamenten, Medien und den sozialen Netzwerken sich in die Tat umsetzt. Beide Opfer sind ausgewählt worden, weil sie die als ‚Willkommenskultur‘ bezeichnete Offenheit der Gesellschaft, Menschen aufzunehmen, repräsentieren. Der eine als Entscheidungsträger, der andere als konkreter geflohener Mensch.“ Während des Prozesses wurde deutlich, dass beide Angeklagte in die rechte Szene eingebunden waren, viele rechte Demos und Kundgebungen besuchten sowie in mehreren rechtsmotivierten Strafverfahren verwickelt waren. Beide absolvierten gemeinsam zum Teil illegale Schießtrainings und waren ideologisch geschult, beispielsweise in das Konzept des „führerlosen Widerstands“. In den letzten Jahren nahmen beide an lokalen AfD-Stammtischen teil und fuhren auf von der AfD organisierte Demos und Kundgebungen.

Erschreckend ist auch, wie darüber hinaus Ernst, wie er stets behauptete, sich nicht von der Ideenwelt der extremen Rechten abwandte, sondern wie selbstverständlich er dies sowohl im „Schützenverein Sandershausen“, in dem er Mitglied war, als auch auf seiner Kasseler Arbeitsstelle, der Firma Hübner, in seiner Radikalität äußern konnte, offenbar ohne einen Widerspruch zu ernten. Simon Tolvej von Lotta, schreibt beispielsweise dazu: „Dort [auf seiner Arbeitsstelle, Anm. der Red.] teilten etliche Kollegen seine politischen Ansichten, vor allem die über Angela Merkel und deren Flüchtlingspolitik. Ernst empfahl ihnen, die Alternative für Deutschland (AfD) zu wählen und rechte Zeitschriften wie Compact-Magazin und Junge Freiheit zu lesen. Habil A. war ein Arbeitskollege und Freund. Er erzählte, dass er, Ernst und weitere Kollegen 2016 an einer Kundgebung des Kasseler Pegida-Ablegers „KAGIDA“ (Kassel gegen die Islamisierung des Abendlandes) teilgenommen hatten. Ein anderer Kollege berichtete, Ernst habe in Arbeitspausen getönt, dass man ‚Volksverräter an die Wand‘ stellen müsse und dass man Geflüchtete in ein Flugzeug setzen und über dem Mittelmeer abwerfen solle. Ein Streit zwischen den Anwesenden ob dieser Mordgedanken ist nicht überliefert. Die einen hörten weg und spielten an ihren Handys, die anderen pflichteten ihm bei und bestärkten sich gegenseitig im Glauben an einen bevorstehenden Umsturz und die Machtübernahme der AfD. Und Einzelne verstiegen sich in Fantasien von einem Bürgerkrieg, für den man sich rüsten müsse.“

Das hessische Parlament beschloss, einen Untersuchungsausschuss einzurichten. Die konstituierende Sitzung hat am 30. Juni 2020 stattgefunden. Aufgrund der besonderen Umstände wegen Covid-19 haben die darauffolgenden Sitzungen bisher unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden. Ende Dezember, nach dem Ende der Beweisaufnahme hatte das Oberlandesgericht schließlich die Akten freigegeben und voraussichtlich im zweiten Quartal 2021, nach der Sichtung der Akten, wird der Ausschuss anfangen, erste Sachverständige anzuhören. Wir hoffen, dass auch „die Umstände der Taten und das Handeln der Geheimdienste“ beleuchtet werden. „Klar ist aber auch, dass es bei beiden institutionellen Vorgängen um die direkte Schuld und Verstrickung der beiden Angeklagten geht, nicht aber darum die neonazistische Szene in Kassel zu durchleuchten, die die rechtsterroristischen Taten ermöglicht.“

 

Combat 18“-Verbot

Ein wichtiges Ereignis geschah direkt am Anfang des Jahres: Das Verbot der Neonaziorganisation „Combat 18“, am 23. Januar 2020. Zugleich fanden in Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Thüringen Hausdurchsuchungen statt. Die Gruppierung, auch „C18“ genannt, ist eine terroristische Vereinigung, die sich 1992 in England formiert hat. Ihren Ursprung hatte 1992 sie als bewaffneten Arm und Schutztruppe der rechtsextremen Organisation „Blood&Honour“, die seit 2000 verboten ist. Combat, auf Deutsch Kampf, deutet auf einen Krieg hin – ein sogenannter Rassenkrieg. Die Zahl 18 beschreibt die jeweiligen Buchstaben und stehen für Adolf Hitler, ein beliebter Zahlencode in der Naziszene. Die Anhänger*innen verstehen sich als militante Kampftruppe Adolf Hitlers. Das ideologische Fundament bildet fremdenfeindliches, antisemitisches und rechtsextremes Gedankengut. Es gibt Divisionen in ganz Europa, den USA und Kanada, die sich untereinander als Bruderschaften verstehen. In Deutschland sind die Mitglieder zwar bundesweit verstreut, wobei Nordhessen, unter anderem, als Mittelpunkt gesehen werden kann. Die Organisationsstrukturen werden, laut der Rechercheplattform EXIF, durch regelmäßige Treffen, die Zahlung von Vereinsbeiträgen und ähnlichen Mitgliedspflichten belegt. Von den Geldern wurden Vereinskleidung, anlaufende Rechnungen und Materialkosten bezahlt. Die Gefahr dieser Organisation geht besonders durch die Bewaffnung und der hohen Kampfbereitschaft aus. Zudem fördert die internationale Vernetzung der Gruppierungen die Reichweite der extrem rechten Inhalte und einen länderübergreifenden Erfahrungsaustausch. Über Bandauftritte und Treffen mit anderen Divisionen im Ausland können Mitglieder verdeckt weitere Verbindungen knüpfen.
Combat 18 Deutschland hat, laut EXIF, 2012 die Erlaubnis bekommen sich formieren zu dürfen. Eine zentrale Schlüsselfigur der Division in Deutschland ist Stanley Röske, ein Nazi aus Kassel, der schon seit Jahren in der Naziszene in Nordhessen aktiv ist. Er betreute das Vereinskonto und nahm eine führende Person in der Organisation ein, die bundesweit ca. 50 Mitglieder hat. Es wird vermutet, dass es eine Verbindung zwischen der Terrororganisation und den Morden an Walter Lübcke und an dem NSU-Opfer Halit Yozgat besteht. Hessenschau bestätigt, dass sich Stephan Ernst, der zur Zeit wegen des Mordes am ehemaligen Regierungspräsidenten Walter Lübcke vor Gericht steht, und Stanley Röske gekannt haben. Nach den rechtsmotivierten Attentaten in Hanau und Halle, dem Mord an Walter Lübcke und den NSU 2.0 Drohungen wurde im Januar 2020 „Combat 18“ vom Bundesinnenministerium verboten. Trotzdem kommt es weiterhin zu Treffen zwischen „Blood&Honour“- und „C18“-Mitgliedern im Ausland. Deswegen, und weil das Verbot trotz häufiger Thematisierung so spät kommt, geht von den ehemaligen Anhängern, nach wie vor, eine große Gefahr aus (vgl. Deutschlandfunk).

 

Aktivitäten der „Identitären Bewegung“

Anfang des Jahres kam es in der Nähe von Marburg unter der Leitung des Hessischen Regionalleiters Heinrich M. zu einem Aktivisten-Treffen der „Identitären Bewegung“. Das Treffen hat in Paul-Berg Hütte in Plettburg im Sauerland zur Kampfvorbereitung für den „Tag X“ stattgefunden. Der „Tag X“ beschreibt die Gelegenheit dem Staat bei Kontrollverlust die Macht zu nehmen und einen rechten Umsturz zu erwirken. Dazu haben die Besucher*innen des Treffens Wehrübungen praktiziert.

Weiterhin gibt es in Fulda Annäherungen zwischen den Identitären und der AfD. Dem Onlinemagazin move36 zufolge befindet sich auf der Facebook-Seite „Osthessen gegen Rassismus“ ein Foto, worauf der AfD Fraktionsvorsitzende Marc Haber bei einem IB-Treffen zu sehen ist. Schon seit einigen Jahren gilt Fulda als Hochburg der Identitären und Haber ist nach Jens Mierdel der zweite AfD-Abgeordnete des Fuldaer Kreistags, der eine Verbindung zur rechtsextremen Gruppierung hat.

Des Weiteren versucht die Identitäre Bewegung weiterhin auch in Hessen die Zahl ihrer Anhänger*innen zu steigern. Dies tut sie in Form von Infoständen unter der Kampagne „Straßenbüros“ bundesweit. Da die Kanäle der Bewegung auf den Social-Media-Plattformen gelöscht wurden, meldete das Netzwerk hessenweit Infostände an. Nachdem in einigen Orten Flyer verteilt werden konnten, haben sich, nachdem die Anmeldung der Infostände die Öffentlichkeit erreicht hatte, Gegenproteste angekündigt. Daraufhin wurde die Kampagne in Hessen eingestellt. Trotzdem versucht die Gruppierung weiterhin Aufmerksamkeit auf sich zu lenken und weiter Mitglieder anzuwerben. Dies tut sie über Sticker, die vermehrt an Universitäten, wie z.B. an der Goethe-Universität in Frankfurt zu finden sind. Die Sticker tragen die Aufschrift „Junge Bewegung“, in Anlehnung an eine „Tatort“-Folge, welche die „Identitäre Bewegung“ als Thema aufgegriffen hat. Noch dazu sind sie im Kontext von Corona-Demonstrationen aufgetreten. Bei den dortigen „Hygienedemonstrationen“ haben sie Transparente hochgehalten, um damit wieder in die Öffentlichkeit treten zu können. Laut des Rechercheblogs drai.noblogs.org soll Felix S. aus Frankfurt der Leiter der „Jungen Bewegung Hessen“ sein.

Daneben gab es einen Konflikt in der hessischen AfD-Fraktion. In einem E-Mail-Austausch hat der hessische AfD-Abgeordnete Walter Wissenbach seinen Parteikollegen Andreas Lichert als „stolzes Mitglied der Identitären Bewegung“ bezeichnet. In einer folgenden Aussage behauptet er zwar, nicht Mitglied der Organisation zu sein, jedoch halte er die Bewegung für nicht rechtsextrem. Noch dazu wurde offengelegt, dass Lichert eine rechte Projektwerkstatt betrieben hat und dort auch ein Zusammentreff der IB stattfinden konnte. Laut der Wetterauer Zeitung forderte der FDP-Landtagsvizepräsident Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn Lichert auf, sich aus der Politik zurückzuziehen und als Kreisbeigeordneter das Mandat abzulegen. Dem ist er nicht nachgegangen und befindet sich weiterhin in seinen Funktionen/Positionen.

 

Aktivitäten der hessischen NPD

Im Hinblick auf die Hessischen Kommunalwahlen im März hat die NPD Treffen veranstaltet, die gezielt die Steigerung der Wahlstimmen thematisiert. Eine Veranstaltung dazu war eine kommunalpolitische Schulung im Wetteraukreis Mitte des Jahres 2020 gewesen. Diese wurde von Daniel Lachmann geleitet. Daniel Lachmann ist in Büdingen zur Bürgermeisterwahl angetreten und ist Oktober zum Hessischen Landesvorsitzenden der NPD gewählt worden. Die Schulung konzentrierte sich auf das Wahlprogramm und die Wege zu einer Steigerung der Wählerstimmen, um so einen Einzug ins Parlament zu erreichen. Die kommunale Ebene sei für die NPD so wichtig, da sie die Bürger*innen direkt erreichen könne.

Eine Maßnahme, welche die rechtsextreme Partei schon 2019 genutzt hat, ist die „Schutzzonenkampagne“. Dabei setzen sich die Parteimitglieder als Bürgerwehr dar und tragen beschriftete rote Schutzwesten. So auch in Offenbach im Stadtteil Bieber. Die Aktion hat lediglich die Funktion Bilder und Videos zur Darstellung auf den sozialen Kanälen. Noch dazu hat die NPD in Wetterau eine Müllaktion ins Leben gerufen, wo ihre rechtsextreme Ideologie verschleiert werden soll. Durch den Slogan „Dreck muss weg“ und das vermeintliche Image als Partei, die vor Ort hilft und Verantwortung übernimmt, gibt sich die Partei personennah und sozial. Eine ähnliche Kampagne ist die „Schuelersprecher.info“-Aktion. Damit versucht die NPD-Jugendorganisation JN die jüngere Generation anzuwerben. Sie ist eine Tarnkampagne, da erst auf der Internetseite die rechtsextremen, antisemitischen und antidemokratischen Inhalte deutlich werden. Laut move36 hat die JN in Fulda die Räumlichkeiten der antifaschistischen Initiative „Fulda stellt sich quer“ mit Plakaten beklebt. Beliebte Slogans, die die JN verwendet, sind „Kampfsport statt Kiffen“ oder „Jugend ohne Migrationshintergrund“. Zur Erweiterung ihrer rechtsextremen Kompetenzen hat die JN an einer Schulung teilgenommen, die von einschlägigen Nazis besucht wurde. Ein Referent war Meinolf Schönborn, der Herausgeber des Neonazi-Magazins „Recht und Wahrheit“ zum Thema „Schutz vor Verfassungsschutz.“ Ein weiterer Referent war Sebastian Schmidtke zum Thema „Rechtsschulung für Aktivisten“. Sebastian Schmidtke war Berliner Landesvorsitzender der NPD, ist 2014 wegen Volksverhetzung verurteilt wurden und bekannte sich, vor dem Eintritt bei der NPD, zu gewaltbereiten Autonomen Nationalisten. Die Veranstaltung soll im Raum Mittelhessen stattgefunden haben. Somit wird klar, dass die Partei nicht unterschätzt werden darf und weiterhin antidemokratische, fremdenfeindliches und rechtsextremes Gedankengut verbreitet. Mit den Veranstaltungen, Schulungen und Kampagne machte die Partei ihre Bestrebung nach Professionalität und einer größeren Reichweite sichtbar.

 

Rassistischer Messerangriff Kassel

Am 21. Juni wurde ein Minicar-Fahrer in der Knutzenstraße/Fraunhoferstraße in der Kasseler Nordstadt von einem unbekannten Täter in den Hals gesto­chen. Der 47-Jährige nahm den Täter als Fahrgast etwa gegen 4.30 Uhr in Höhe eines Clubs in der Friedrich-Ebert-Straße, Ecke Westendstraße, auf. Die Kriminalpolizei Kassel befasst sich mit den weiteren Ermittlungen we­gen des Verdachts eines versuchten Tötungsdelikts und gefährlicher Körperverletzung. Laut Bericht des Kasseler Online-Magazins dezen­trale beschimpfte der Täter das Opfer rassistisch, als er zustach.

 

Prozess gegen Brandstifter

Ein 47-jährige Frankfurter, Joachim S., dem Sachbeschädigung und Brandstiftung in 16 Fällen vorgeworfen wird, soll aus politisch rechts zuzuordnenden Motiven gehandelt und u. a. der hessischen AfD zweimal Geld gespendet haben. Er wird verdächtigt, für eine Reihe von Brandanschlägen auf alternative Wohnprojekte und linke Kulturzentren im Rhein-Main-Gebiet Ende 2018 verantwortlich zu sein. Den Brandanschlägen vorausgegangen sind aktenkundige Denunziationen von Joachim S. gegen linke Projekte, unter andrem auch gegen das Lila Luftschloss, und Chatverläufe auf seinem sichergestellten Smartphone, in denen er sich unter anderem verächtlich gegenüber linke Projekte und Lebensweisen äußert.

 

Anastasia-Bewegung

Am 12. Februar veröffentlichte Lotta einen Hintergrundbericht zu der rechts-esoterischen „Anastasia-Bewegung“ in Hessen. Die ursprünglich aus Russland kommende „Anastasia-Bewegung“ ist ein esoterisches Siedlerprojekt mit einem antidemokratischen, rassistischen und antisemitischen Weltbild. In Hessen soll es zwei Siedlungen, sogenannte „Familien-Landsitze“, geben: In Jesberg-Densberg im Schwalm-Eder-Kreis gründeten Cornelia und Andreas K. 2013 einen „Familienlandsitz“, den Familien-Lebensgarten am Quellenwald. Das zweite Projekt befindet sich in Nentershausen-Bauhaus. Seit 2006 baut der 53-jährige Konstantin K. einen „Familienlandsitz“ auf, ein zweiteiliges Projekt, das aus dem Wohngebäude „WaldGärtnerHaus“ und dem Gartenprojekt „Waldgartendorf“ besteht.

Die Hauptgrundlage für diesen Jahresrückblick lieferten uns die Monitoringberichte von achtsegel.org, die im Auftrag des beratungsNetzwerk hessen erstellt werden, des Weiteren bedanken wir uns Lotta, bei NSU-watch Hessen und Bund, dem Antifaschistischen Info Blatt Berlin, der Rechercheplattform exif-recherche.org und dem Monitoring der Kasseler antifaschistischen Gruppe task.

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