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Jahresrückblick 2020 Saarland

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Bei einer Demonstration von Corona-Kritiker*innen in St. Wendel (Quelle: Kai Schwerdt)

 

2020 war auch im Saarland ein von der Corona-Pandemie geprägtes Jahr. In allen Bereichen des öffentlichen und gesellschaftlichen Lebens bezogen sich zumeist auch die rechtsextremen und -populistischen Akteur:innen in ihren politischen Inhalten auf die Zusammenhänge zwischen Staat und Pandemie.

Während bundesweit die in Teilen etablierten rechtspopulistischen Strukturen Anfang dieses Jahres ihren politischen Anker vorübergehend verloren, entstanden parallel auch im Saarland zunächst kleine Gruppen und Initiativen, die sich auf die Suche nach einem Ventil für ihre Sorgen und Befürchtungen rund um die Corona-Politik des Landes und des Bundes begaben.

In der Landeshauptstadt Saarbrücken und in der Kreisstadt St. Wendel schlossen sich Einzelpersonen im Frühjahr 2020 zusammen, organisierten sich in unverbindlichen Strukturen, gaben sich Gruppennamen wie „Corona- Rebellen“ und „IG Demo St. Wendel“ u.a. und mobilisierten über ihre Telegram-Kanäle zu Demonstrationen oder Kundgebungsveranstaltungen. In weiteren Landkreisen fanden zwar thematisch ähnliche Versuche durch einzelne Akteur:innen statt, es konnten allerdings keine Strukturen aufgebaut werden.

Was zunächst als ein Zusammenschluss von Menschen mit existentieller Angst als eine Art Austauschfläche gedacht war, öffnete sich in wenigen Wochen zu einem Konglomerat aus pandemieleugnenden und verschwörungserzählenden Personen, die unter dem Deckmantel von Meinungsfreiheit und Demokratie vermehrt grenzwertige Inhalte auf ihren Veranstaltungen an den Wochenenden in Saarbrücken und in St. Wendel ermöglichten und zuließen. Dies geschah weitestgehend unkommentiert, ohne dass die Organisatoren den Bedarf sahen, sich von grenzwertigen Äußerungen zu distanzieren.

Antisemitische Narrative fanden schnell den Weg auf die Bühnen der Kundgebungen. Auf die Hinweise und Gegenrede der demokratisch liberalen Zivilgesellschaft, Politik oder auch der Presse wurde zumeist aggressiv reagiert.

Nach kurzer Zeit wurden auf den Veranstaltungen auch bekannte saarländische Akteur:innen des rechtsextremen Spektrums sichtbar und die Veranstaltenden reagierten mit einer gewissen tolerierenden Akzeptanz auf deren Anwesenheit.

In den Sommermonaten beteiligten sich die maßgeblichen Gruppen aus Saarbrücken und St. Wendel an den bundesweiten Protesten in Berlin und organisierten Busreisen in die Bundeshauptstadt. Spätestens seit den Großdemonstrationen in anderen Bundesländern, aber vor allem durch den „Sturm“ auf den Reichstag im August dieses Jahres wurde ein Schulterschluss dieser Bewegung mit rechten und rechtsextremen Gruppen mehr als deutlich. Zu dieser Zeit benannte sich die Interessengemeinschaft aus dem saarländischen St. Wendel in „Querdenken 685“ und die Saarbrücker in „Querdenken 681“ um, fusionierten also mit den bundesweiten Akteur:innen der „Querdenken“- Bewegung. Somit rückten sie enger mit diesen zusammen, statt sich von den bedenklichen Kooperationen mit rechtsextremen und verschwörungsideologischen Personen und Gruppen zu distanzieren.

In den Telegram-Kanälen fanden immer wieder vereinzelt NS- und Holocaust relativierende Postings statt, die seitens der Administrator:innen aber wenig bis gar nicht kommentiert oder geahndet wurden. Ähnlich konnte dieses Verhalten auch auf den Veranstaltungen der Querdenker immer wieder wahrgenommen werden. Durch Plakate, Kleidung und Redebeiträge wurden mehrfach wiederholt der Nationalsozialismus und der Holocaust relativiert, in dem Vergleiche gezogen wurden zwischen der Corona-Politik der Bundesregierung und der NS-Zeit. Unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit wurde gegen eine vermeintliche Corona-Diktatur aufbegehrt.

Seit dem „Lockdown light“ organisieren sich die Querdenker im Landkreis St. Wendel in einer Art konspirativen Gestaltung. So organisieren sie sich durch Rätsel im Telegram-Kanal zu ständig wechselnden Treffpunkten in der Öffentlichkeit, um so den Ordnungs- und Sicherheitsbehörden einerseits keine Veranstaltungen anmelden zu müssen und sich andererseits – und andererseits deren Überwachung entgehen zu können.

Die Gruppe der Gegner der Corona-Maßnahmen und Corona-Leugner:innen in Saarbrücken hat Akteure und Gedankengut der saarländischen Reichsbürgerszene in ihrer Mitte aufgenommen. Sie leugnen die Existenz bzw. die Rechtmäßigkeit der Bundesregierung mit der Behauptung, Friedensverträge mit den Alliierten seien nie geschlossen worden und das Deutsche Reich sei noch existent, das Saarland weiterhin ein souveräner Staat. Aus diesem Grund beruft die Gruppe sich nicht mehr auf das Grundgesetz und kritisiert die bundesweite „Querdenken“-Bewegung dafür, zu zahm und regierungsnah zu sein. Auch die Demokratie als solche wird von mehreren Beteiligten in Frage gestellt und als gescheiterte Staatsform angesehen. Infolge dieser ideologischen Entwicklungen sind offenbar auch die anfangs noch bestehenden Vorbehalte abgeklungen, Rechtsextreme in die eigenen Reihen aufzunehmen.

Beeindruckend für die Entwicklungen dieser Szene im Jahr 2020 ist die intensive Dynamik des Radikalisierungsprozesses in den Reihen der Querdenker.

Auch in den Telegram-Kanälen der saarländischen Akteur:innen wurden frühzeitig Fragen in den Raum geworfen, ob ein friedliches Demonstrieren denn noch ausreiche, um sich gegen die Maßnahmen der Bundesregierung zu wehren. Dies zeigt, dass Einzelpersonen in den Reihen durchaus Gewaltfantasien hegen und offen aussprechen oder zumindest andeuten. 

In der zweiten Jahreshälfte beschäftigte die Mitarbeiter:innen der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus des Adolf-Bender-Zentrums somit das Thema rund um Personen und Gruppen im Saarland, die die Corona-Pandemie und die Infektionsschutzmaßnahmen in Frage stellen, verschwörungsideologische Inhalte teilen und teilweise die Verbrechen des Nationalsozialismus mit der Corona- Politik der Bundesregierung gleichsetzen, weiterhin und intensiver als zuvor.

Die Beratungsanfragen von Privatpersonen, die durch verschwörungsideologische Konfrontationen mit Freund:innen und Familie herausgefordert waren, suchten vermehrt Unterstützung im Umgang damit. Auch Schulen und andere öffentliche Einrichtungen, Behörden und die Polizei kamen in Sachen „Querdenker“ auf das Beratungs- und Vortragsangebot der Mobilen Beratung zu.

 

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Das Titelbild wurde unter der Lizenz CC BY-NC 2.0 veröffentlicht.

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