Andreas Zick ist Vorurteilsforscher und Professor am Institut für Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld. Hier erforscht er u.a. die Mechanismen der ?Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit? (www.uni-bielefeld.de/ikg/zick).
Die Fragen stellte Simone Rafael.
Was genau ist ein Vorurteil?
Ein Vorurteil ist im einfachsten Sinne eine verallgemeinerte Abwertung von Menschen aufgrund ihrer Mitgliedschaft zu einer Gruppe. Antisemitismus ist zum Beispiel ein Vorurteil gegen Juden, weil sie Juden sind.
Was ist der Unterschied zu einem Stereotyp?
Stereotype sind erstmal Zuschreibungen von Eigenschaften zu einer Kategorie oder Gruppe. ?Juden sind besonders?, wäre ein Beispiel, oder ?Frauen sind emotional?. Das ist eine Zuschreibung, aber noch keine Wertung. Sobald ein Stereotyp negativ gemeint ist und das Motiv dahinter steckt, eine andere Gruppe abzuwerten, oder eine Person, weil sie Mitglied einer anderen Gruppe ist, ist es ein Vorurteil: ?Juden sind hinterlistig?, oder ?Frauen sind schwach?.
Haben wir nicht alle Vorurteile?
Ja, wir alle nutzen Stereotype und Vorurteile, um die Welt um uns herum zu vereinfachen und die unzähligen Informationen, die wir wahrnehmen können, zu filtern. Wir wären sonst überfordert von einer Informationsflut. Also stereotypisieren wir andere und ordnen sie in Schubladen oder Kategorien. Das macht die Zuschreibungen von Merkmalen aber nicht per se gut oder schlecht. Ein Beispiel ist die Wahrnehmung eines Lehrers, der einer Schulklasse gegenübersteht: Der kann sich nicht alle Details über alle Schüler merken. Er stereotypisiert sie, merkt sich Typen von Schülern. Interessant ist: Sobald wir uns der Tatsache bewusst sind, dass wir Vorurteile haben, haben wir sie weniger.
Wann werden Vorurteile problematisch?
Wenn die Zuschreibung, die wir mit einer Gruppe verbinden, negativ ist, generalisierend und abwertend ist, ist sie für den sozialen Frieden einer Gesellschaft problematisch ? besonders, wenn die Vorurteile verhaltensrelevant werden, also zu Taten führen, etwa zu Diskriminierung. Ob das passiert, ist aber nicht allein von meiner Einstellung abhängig, sondern auch davon , wie das Umfeld reagiert, wenn ich Vorurteile zu Taten werden lasse: Welche Normen gelten in meiner Gesellschaft? Wird es sanktioniert, wenn ich Gruppen diskriminiere? Ernte ich Zustimmung? Komme ich ins Gefängnis, weil es strafbar ist?
Was macht anfällig für Vorurteile?
Das ist eine fast unbeantwortbare Frage, weil viele Ursachen verantwortlich sind und es auf die Situation ankommt. Ich nenne mal ein paar Faktoren, die die Forschung als relativ stabile Ursachen ausgemacht hat:
– Ungleichwertigkeit: Wenn ich daran glaube, dass manche Menschen wertvoller sind als andere Menschen, bin ich anfällig für Abwertungen, die mir die Richtigkeit meines Denkens ?beweisen?.
– Wenn Menschen eine übersteigerte Identifikation mit einer Gruppe verspüren, sind sie anfällig für Vorurteile ? Beispiel wäre übersteigerter Nationalstolz. Menschen, die an eine homogene Bezugsgruppe glauben ? etwa einen homogenen Staat ?, an Konformismus statt Vielfalt und die wenig Kontakte zu Menschen der Gruppen haben, die sie nicht mögen, haben mehr Vorurteile.
– In vielen europäischen Ländern, insbesondere in Deutschland, spielt der Autoritarismus, also der übersteigerte Glaube an gewöhnliche traditionelle Werte, Gehorsam und Unterwerfung sowie Härte gegen Außenseiter, eine Rolle.
– Geschichte und Traditionen spielen eine Rolle: Wir wachsen in einer Kultur auf, die mehr oder minder Vorurteile hat. Vorurteile sind äußerst hartnäckig, lassen sich verändern und modernisieren. Viele Vorurteile basieren auf mythischen Bildern der frühen Neuzeit (13.-15. Jahrhundert)! In Deutschland etwa wurde lange die Idee eines ?homogenen Nationalstaates? vertreten ? das ist genau das Gegenteil einer vorurteilsfreien Gesellschaft, die Vielfalt schätzt. Das muss eine Gesellschaft erst einmal bearbeiten. Auch antisemitische Stereotype aus dem Dritten Reich sind nach wie vor im kollektiven Gedächtnis unserer Gesellschaft gespeichert ? das war Teil der Kultur hier, das ist schwierig loszulassen.
Was bewirken Vorurteilen?
– Ungleichwertigkeit herstellen: Vorurteile machen Menschen ungleich in der Welt. So dient etwa Sexismus dazu, eine Ungleichwertigkeit zu schaffen, die sowohl dem geltenden Recht in Deutschland wie auch allen Fakten völlig entgegenläuft. Warum überhaupt sollte es Unterschiede im Wert geben zwischen Männern und Frauen, Christen und Juden?
– Sie vermitteln eine Bindung an eine Gruppe, die die Vorurteile teilt. Der Antisemitismus der Rechtsextremen etwa dient zweierlei: Einerseits ist er Ausdruck einer imaginierten ?rassischen Überlegenheit?, sorgt aber auch für eine hohe Bindung innerhalb der Gruppe, weil er gesellschaftlich so stark sanktioniert wird. Rechtsextremismus könnte ohne Vorurteile nicht überleben.
– Sie geben dem Äußernden ein Gefühl der Kontrolle und der Macht
– Sie geben ein Gefühl des Selbstwertes durch die Abwertung anderer.
– Sie geben das Gefühl, besonders wissend zu sein, Zusammenhänge besser zu durchschauen als andere.
Ist es sinnvoll, Vorurteile zu bearbeiten oder abbauen zu wollen?
Mehr noch, für eine demokratische Gesellschaft, die Menschenrechte und den Schutz von Minderheiten als wichtig erachten, ist es sogar Pflicht. Eine demokratische Gesellschaft strebt aus ihren Grundsätzen heraus danach, eine maximal vorurteilsfreie Gesellschaft zu sein, in der alle Menschen gleichwertig sind und in der Vielfalt geschätzt wird.
Wie geht man am besten mit Vorurteilen um?
1. Benennen. Gleichwertigkeit herstellen.
2. Kontakte herstellen ? denn nach heutigem Kenntnisstand reduziert nichts Vorurteile so gut wie Kontakte zu Menschen aus der Gruppe, gegen die ich Vorurteile habe.
3. Perspektivwechsel ermöglichen ? kann ich vermitteln, was es heißt, in der diskriminierten Rolle zu sein?
Was wirkt am besten gegen problematische Vorurteile?
Es gibt keinen Königsweg, sondern viele kleine Schritte. Eine einzelne Ausstellung zur Verfolgung von Juden beseitigt nicht den Antisemitismus in einer Gesellschaft, ist aber ein wichtiger Beitrag. Vorurteile sind hartnäckig, Menschen neigen dazu, sie beizubehalten. Überzeugten Rechtsextremen etwa gelingt es spielend, Gegenargumente in ihre Vorurteilsstrukturen einzubauen. Es hilft also nur eine immer währende, kleinteilige Arbeit an den gesellschaftlichen Normen. Ein gutes Beispiel dafür, wie wichtig das ist, ist die Islamfeindschaft. Die gibt es nämlich erst seit dem 11. September 2001. Deshalb hat die Gesellschaft dazu noch keine gesellschaftlichen Normen ausgebildet, was die aktuellen Diskussionen abbilden.
– Soziale Einstellungen verändern: Es geht also nicht darum, individuelle Einstellungen zu verändern ? das ist nämlich äußerst schwierig, weil auch mit vielen Verlusten verbunden, z.B. des Freundeskreises. Es geht darum, soziale Einstellungen zu verändern. Eine Gesellschaft muss stark und klar sein in ihrer Werteorientierung, muss die Gleichwertigkeit aller Menschen und die Integration von vielen wirklich wollen.
– Neue Generationen: Mit 7 bis 8 Jahren bilden Kinder stabile Vorurteile aus. Es ist wichtig, ihnen immer wieder deutlich Werte und Normen zu vermitteln, Gleichwertigkeit, Menschenrechte, das Schätzen von Vielfalt.
– Grundüberzeugungen gelten: An Grundüberzeugungen, wie etwa dem Schutz von Minderheiten, dürfen öffentliche Diskurse nicht rütteln ? auch zum Beispiel in Diskussionen über Arbeitslose.
– Alternative Identifikationsangebote: Vielleicht kann ich stolz sein, als Bürger einer lokalen Gemeinschaft etwas für die Zivilgesellschaft geleistet habe, statt auf hohlen Nationalstolz?
– Aufmerksam machen: Wie schon Theodor W. Adorno wusste: Wer die Mechanismen des Vorurteils kennt, fällt ihnen nicht so leicht anheim.
– Perspektivwechsel: Bei der Arbeit mit Jugendlichen ist es wichtig zu vermitteln, wie verletzend Abwertung ist, wie weh das tut. Wer das einmal erlebt hat, entwickelt Schutzmechanismen und fällt nicht so leicht auf Vorurteile herein. Und die meisten Jugendlichen machen solche Erfahrungen in ihrem Alltag, wenn sie im Sport nicht in die Mannschaft gewählt werden, die beste Freundin sie plötzlich schneidet. Hier kann man die Jugendlichen stärker abholen.
– Lob und Anerkennung der eigenen Person: Wer sich wertgeschätzt fühlt, muss nicht andere abwerten, um sich besser zu fühlen.
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