Seit einigen Tagen gibt es eine Debatte über das von “JouWatch” aufgezeichnete und veröffentlichte Gespräch der Grünen-Politiker Winfried Kretschmann und seinem Parteikollegen Matthias Gastel. In Berlin wurde beschlossen, im Parteiprogramm zu verankern, Autos mit Verbrennungsmotoren ab 2030 nicht mehr zuzulassen. Kretschmanns in Rage vorgetragene Position: bei solch einer nicht realisierbaren Festsetzung seien Wahlergebnisse von sechs oder 8 Prozent nicht verwunderlich. Das Video endet mit einer Sequenz des Grünen Bundesvorsitzenden Cem Özdemirs, der die Einigkeit über diesen Beschluss erklärt.
„JouWatch“ – “das Gegenstück zur Lückenpresse“
Aufgezeichnet und veröffentlicht hatte die Sequenz “Jouwatch TV” – der visuelle Kanal des rechtspopulistischen und islamfeindlichen Online-Blogs “JouWatch”. In Langform heißt das “Journalisten-Watch”. Der Blog gibt sich als scheinbar seriöses Medium – auch wenn die Eigendarstellung als „das Gegenstück zur Lückenpresse“ schon stutzig machen kann. Inhaltlich findet sich dann die komplette Bandbreite an Hetze gegen alle Feindbilder des rechtspopulistischen Spektrums gepaart mit wohlwollender und positiver Berichterstattung über die neurechten “Identitären” oder die AfD: Dominierend sind rassistische Äußerungen gegen Muslime und Musliminnen und Anklagen zur Fragwürdigkeit der etablierten Medien.
Hinter der Plattform steckt der ehemalige “B.Z.”- und “taz”-Journalist Thomas Böhm. In einem Interview gibt er selbst an, zum 11. September 2011 “politisiert” worden zu sein – nachdem ihm die Veröffentlichung eines Berichtes über Muslime und Musliminnen untersagt wurde. Politisiert sein, das heißt mittlerweile für Thomas Böhm: Geschäftsführung der rechtspopulistischen Bürgerbewegung „Pax Europa e.V.“, wie zuvor auch für die inzwischen nicht mehr aktive Partei „Die Freiheit“, und journalistische „Aufklärungsarbeit über das Grundwesen und die Ziele des Islams“.
Im Mai 2017 fusionierten “JouWatch” und die Plattform “Metropolico” (vorheriger Betreiber war hier Christian Jung). Thomas Böhm und Christian Jung gehe es nun vor allem darum, gemeinsam sich nicht mehr „mit ideologisch gefilterten Nachrichten, staatlich legitimierten Fake News, hintergrundlosen Halbwahrheiten und politisch korrekt zurecht geschnittenen Meinungen zufriedengeben.“
Handelt es sich also um eine Enthüllung?
“JouWatch” veröffentlichte das Video als vermeintliches Enthüllungsvideo: Kretschmanns „Abrechnung“ mit der Bundestagsfraktion. Kretschmann gehe klar auf Distanz mit den eigenen Reihen, versuche Abstand zu gewinnen, zweifle gar am Wahlsieg der Grünen.
Politisches und mediales Echo auf das Video: Kritik aus den eigenen Reihen und Häme aus anderen politischen Lagern. Natürlich ist das Video inhaltlich für die Grünen im Bundestagswahlkampf unangenehm, wo es gerade um eine einheitliche Parteilinie geht.
Dennoch handelt es sich beim Gespräch eben nicht wie von “JouWatch” suggeriert, um einen vermeintlichen innerparteilichen Skandal, sondern um einen politischen Vorgang. Der Inhalt, den Kretschmann äußert, äußert er zwar wütend, aber es ist eine politische Kritik an der Umsetzbarkeit bis 2030. Gleichzeitig ist es auch seine schon vor dem Grünen-Parteitag bekannte Position. Eine vermeintliche „Enthüllung“ durch Christian Jung lässt sich damit schnell und einfach auf die Strategie der Diskreditierung reduzieren.
“Für Richtigkeit, Vollständigkeit, Verlässlichkeit” keine Gewähr
Die eigentliche Mediendebatte dreht sich nun aber um die Kritik und die Art und Weise an Jungs Veröffentlichung. Trotz fehlender Aufnahme-Einwilligung der beiden Politiker habe Jung das Video inklusive Ton-Mitschnitt veröffentlicht. Kretschmanns Sprecher sehe im Vorfall „medienpolitische Bedeutung“, und die Veröffentlichung habe nichts mehr mit Journalismus zu tun. Gleichzeitig hinterfragt der Journalistik-Professor Volker Lilienthal gegenüber dem Deutschlandfunk, ob bei einem öffentlichen Parteitag eine tatsächliche Privatheit der Gespräche gegeben ist.
“JouWatch”-Autor Christian Jung sieht seine Aufnahme selbstredend als legitim an – wie er der rechten Wochenzeitung „Junge Freiheit“ erklärt. Ein Foto beweise, die Aufnahmesituation sei „eindeutig und klar erkennbar“ gewesen.
Ob es sich hier auch um eine juristische Frage der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes handelt, beantwortet Kretschmann, dass er den Vorfall politisch und nicht juristisch handhaben wolle.
Wer profitiert?
Soweit ist der Vorfall damit erstmal erst einmal auserzählt. Interessant ist allerdings die Anschlussfrage von rechtspopulistischen Plattformen als Quelle für journalistische Berichterstattung. Für “JouWatch” war es ein Coup, dass das Video von etablierten Medien aufgenommen wurde. Teilweise ohne Kommentierung oder korrekten politischen Einordnung der Quelle. So legitimieren sich rechtspopulistische Blogs als vermeintlich seriös – und das Video wurde mittlerweile über 500.000 Mal angesehen.
“JouWatch” gibt sich als Watchblog für journalistische Qualität – doch ist die Haupt-”Kritik”, dass andere Medien nicht ebenso rassistische und rechtspopulistische Inhalte verbreiten wie man selbst. Interessante und entlarvende Volte: “JouWatch” weist auf dem Blog darauf hin, keine Gewähr „für Richtigkeit, Vollständigkeit, Verlässlichkeit“ zu leisten. Natürlich existiert das Video als Aufnahme und Mitschnitt, wurde von den etablierten Medien auch korrekt mit Quellenangaben so wiedergegeben. In den meisten Fällen wurde ein Hinweis zur politischen Ausrichtung der Plattform gegeben, oder auf Originalaufnahmen verzichtet. Nun nehmen sich die meisten Rezipient_innen nicht die Zeit, alle Quellen genauestens zu prüfen – und im Auftauchen von “JouWatch” als Quelle etablierter Berichterstattung bleibt der Eindruck einer Daseins-Berechtigung.