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„juan“ gegen Antisemitismus und antimuslimischen Rassismus

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Die "ju:an"-Fachtagung "Alles nur Opfer, oder was?" am 20.11.2014 in Berlin. (Quelle: ngn/M.E.)

Antisemitismus als gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit zieht sich durch die komplette europäische Geschichte und wird vor allem durch verschwörungstheoretische Ansätze genährt: Jüdinnen und Juden hätten geheime Kontrolle über diverse Staatsorgane wie Geheimdienste und Politik, hätten Macht über finanzkapitalistische Institutionen und würden vom Staat Israel aus Herrschaft über den amerikanischen Monopolkapitalismus, den Mossad sowie politische Entwicklungen ausüben. Diese Annahme der Verschwörung jüdischer Menschen ist den verschiedenen Versionen des traditionellen wie auch des modernen Antisemitismus gemein. Und: Antisemitismus ist ansteckend. Wer antisemitische Ressentiments hegt, ist gleichzeitig auch offener für andere Diskriminierungsformen wie Rassismus, Islamophobie oder Xenophobie.

Der von „ju:an“ veranstaltete Fachtag begann mit der Begrüßung durch  Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung. Sie zitierte den kritischen Theoretiker Theodor W. Adorno: „Der Antisemitismus ist das Gerücht über die Juden.“

Weltoffenes Deutschland? –Nein.

Die deutsche Gesellschaft, so Kahane, leide unter einer antiemanzipatorischen Idee, die antidemokratische Züge annimmt. Die zunehmende Globalisierung, mit der auch Menschen in Deutschland konfrontiert sind, schaffe in diesem Land einen Wunsch nach Geschlossenheit, der zu antisemitischen und rassistischen Ressentiments führt. Viele Deutsche wollten möglicherweise gar keine liberale Gesellschaft und wehrten sich vehement gegen eine Öffnung für „Nichtdeutsche“. Dieser Wunsch nach Geschlossenheit, die angesichts von Flüchtlings- und Migrationspolitik eher eine Verschlossenheit ist,  ist ein Symptom für eine irrationale Angst vor Fremdem.

Auch wenn es um Politik geht, so Kahane, werden oft irrationale Konsequenzen aus anfänglich politischer Kritik auf Religion übertragen: Israel sei kein souveräner Staat, sondern ein jüdischer, von Jüdinnen und Juden und ihrem Glauben gesteuert. Die Kehrseite ist eine Art Philosemitismus,  eine übermäßig positive, ebenfalls irrationale Einstellung nichtjüdischer Menschen gegenüber dem Judentum, der wiederum schnell in Islamophobie und antimuslimischen Rassismus umschlagen kann.

Ressentiments innerhalb der deutschen Gesellschaft

Das Problem, so Dr. Beate Küpper, Professorin an der Universität Bielefeld, seien alle Formen von Rassismus. Besonders fatal jedoch sei weniger der offensichtliche Rassismus rechtsextremer  Gruppierungen oder rechtspopulistischer Parteien, da ihnen im Vergleich wenige Menschen angehören, sondern vor allem rassistische Ressentiments, Vorurteile, Stereotype und Klischees über bestimmte Menschengruppen, die tief in der Gesellschaft verankert seien. Rassismus wird oft ausschließlich als Problem rechtsradikaler oder rechtspopulistischer Organisationen gesehen. Da die Mehrheit der Gesellschaft nicht in Freien Kameradschaften oder der AfD organisiert ist, erkennt sie ihren eigenen Rassismus nicht. Stattdessen fließen die verschiedenen Formen von Diskriminierung in den Alltag ein: Die Macht rassistischer Ressentiments zeigt sich bei Bewerbungsgesprächen, in Bildungseinrichtungen, bei Wohnungsbesichtigungen.

In den meisten Fällen werden rassistische Vorurteile nicht in Form von Hasskriminalität handlungswirksam. Man muss aber feststellen, dass die Hemmschwelle zur Diskriminierung sinkt, wenn soziale Normen der Gleichwertigkeit nicht vorhanden sind.Auch Respektspersonen aus der Familie, Politiker_innen oder einflussreiche Medienmacher_innen , mit denen wir uns identifizieren, können uns letztendlich Vorurteile und Stereotypen vermitteln. Institutionell ausgeübtes Verhalten, wie die polizeiliche Einschätzung eines rassistischen Übergriffs als unpolitische Prügelei, nimmt ebenfalls starken Einfluss auf unsere Wahrnehmung.

Ein Experiment…

Um die Schnelligkeit zu zeigen, mit der wir bestimmte Merkmale zuordnen, führt Frau Küpper ein Experiment mit dem Publikum durch: Sie stellt die Frage, wie denn Griech_innen allgemein seien und lässt die ein Hälfte der Hörer_innen die Augen schließen. Dann blendet sie das Bild eines griechischen Mannes am Strand für die andere Hälfte ein. Das Bild wird ausgeblendet und der Prozess findet andersherum statt. Der zweiten Hälfte zeigt sie einen vermummten Demonstranten mit einem brennenden Athen im Hintergrund. Als sie die Frage beantworten lässt, beschreibt die eine Hälfte des Publikums Griech_innen als gast- und kinderfreundlich und dass wohl besonders der Tourismus unter der finanziellen Situation des Staates leiden würde. Die andere Fraktion nennt die Eigenschaften widerständisch, kämpferisch, revolutionär.

Wenn solche Bilder bereits nach einer Minute so einen eindeutigen Einfluss ausüben, wie stark müssen dann erst antisemitische Stereotype wirken, die seit mehreren hundert Jahren in der Gesellschaft kursieren?Das Entstehen von Vorurteilen folgt, so Küpper,  einem festen Muster: Man kategorisiert zunächst in Eigen- und Fremdgruppe. Dann werden der Fremdgruppe spezifische Eigenschaften zugewiesen. Diese werden anschließend bewertet, in den meisten Fällen negativ. Im Falle des Antisemitismus finden sich viele verschiedene, offene oder subtile Ausdrucksformen. So werden jüdische Menschen  oft pars pro toto bewertet, das heißt, ein_e Vertreter_in wird als repräsentativ für die komplette, eigentlich heterogene Gruppe betrachtet. Außerdem werden kulturelle Unterschiede überbetont oder jüdische Geschichte auf Verfolgung und den Holocaust reduziert. Wenn es dabei zur Umkehr von Täter_innen und Opfern kommt, ist das sekundärer Antisemitismus.

Arabisch ist NICHT gleich muslimisch

Ganz ähnlich funktioniert auch der antimuslimische Rassismus. Wer türkisch oder arabisch aussieht, einen entsprechend klingenden Namen besitzt oder aus einem arabischen Land stammt, wird in der Regel für muslimisch gehalten. Die Juristin Maryam Haschemi Yekani setzt sich in ihrem Beruf häufig mit Fällen antimuslimischer Diskriminierung auseinander. Sie hat viele Mandant_innen, die aufgrund ihres Glaubens, oder auch nur aufgrund der Annahme, sie würden dem Islam angehören, ungleichwertig behandelt werden.

Rassismus gegen Religion

Muslimische oder „muslimisch aussehende“ Kinder haben schon in der Schule mit Vorurteilen zu kämpfen, berichtet Yekani. Mädchen mit Kopftuch werden für dumm gehalten, mutmaßlich muslimische Jungen für aggressiv. Auch andere zugeordnete Eigenschaften wie Frauenunterdrückung, Traditionsverhaftung und Gewalttätigkeit werden mit dem Islam verbunden. Durch Ethnifizierung und Rassifizierung werden Personen türkischen und arabischen Aussehens wiederum dem Islam zugeordnet. So entsteht antimuslimischer Rassismus, ein Rassismus, der mutmaßliche Mitglieder einer Religion wie Zugehörige einer „Rasse“ diskriminiert.

Rund 61% der Deutschen sind der Meinung, der Islam wolle in Deutschland seine Macht vergrößern. 50% finden, Deutschland sei überfremdet. Diese rassistische Einstellung schlägt sich in negativen Zuschreibungen zum Islam nieder. Muslim_innen wird ein bestimmtes Verhalten nachgesagt, das wenig mit der Realität zu tun hat. Wenn deutsche oder deutsch aussehende Jugendliche sich schlecht benehmen, wird dafür oft die Pubertät oder eine antiautoritäre Phase verantwortlich gemacht. Bei arabischen oder türkischen Jugendlichen mit solchem Verhalten sieht man sich dagegen in seiner Meinung über „typisch muslimische“ Eigenschaften bestätigt: Frauenverachtende, schlechterzogene und aggressive Jugendliche.

Mehrfachdiskriminierung

Auf diese Weise passiert es, dass Menschen mit Migrationshintergrund häufig mehrfach diskriminiert werden. Eben nicht nur für ihr anderes, „ausländisches“ Aussehen, sondern zusätzlich durch die Annahme, die Person sei muslimisch, wodurch ihr weitere negative Eigenschaften zugeordnet werden. Das Problem ist auch die Homogenisierung verschiedenster Gruppen von Menschen mit arabischem oder türkischem Hintergrund, die zu „den Muslim_innen“ gemacht werden.

Unterdrückung durch „Emanzipation“ ?

In Deutschland sind etwa 5 Millionen Menschen in Deutschland praktizierende Muslim_innen sind –  in der Wahrnehmung der Deutschen scheinen es weitaus mehr zu sein. Und die Ablehnung des Islam tritt – im Unterschied zu den meisten Formen des Antisemitismus – auch immer öfter offen auf. Während viele Menschen gegenüber Rassismus aufgrund von Hautfarbe oder Herkunft wenigstens ein wenig sensibilisiert wurden, scheint die Diskriminierung aufgrund von Religion immer noch sehr präsent und salonfähig. Die Deutschen geben sich in vermeintlich aufklärerischen und besorgten Gesprächen mit Frauen mit Kopftuch emanzipatorisch. Sie erkundigen sich nach der Freiheit der Entscheidung, praktizierende Musliminnen zu werden, ob den Frauen Zuhause Gewalt angetan wird und ob sie nicht von ihren Männern unterdrückt werden. Neben der offenen Stereotypisierung ergibt das in vielen Fällen ein noch schieferes Bild: Oft werden muslimische Frauen mit Kopftuch bei Jobs oder Praktikastellen mit der Begründung abgelehnt, man könne das Kopftuch nicht akzeptieren, weil es ein Symbol für die Unterdrückung der Frau sei. Dieses emanzipatorisch anmutende Argument ist allerdings oft Ausdruck einer anti-emanzipatorischen Ader: Denn wenn muslimische Frauen Zuhause unterdrückt und schlecht behandelt würden und keine Entscheidungsfreiheit besäßen, wäre es nicht umso besser, ihnen die Möglichkeit auf (Weiter-)Bildung zu geben?

Mehr im Internet:

| www.projekt-ju-an.de

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