Die Berliner Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus (MBR) feiert jetzt ihr 20-jähriges Bestehen. Zeit für ein Interview mit Bianca Klose, die die MBR gegründet hat und von Beginn an leitet.
Belltower.News: Glückwunsch zum Jubiläum! Ihr seid nun seit 20 Jahren in Berlin gegen Nazis aktiv. Wie hat sich Eure Arbeit in der Zeit verändert?
Bianca Klose: Ich möchte eigentlich mit dem beginnen, was sich nicht verändert hat: unser Ansatz! Der hat sich zwar ständig weiterentwickelt, aber nicht verändert, weil er einfach gut funktioniert. Allerdings ist er Folge einer einschneidenden Zäsur im Jahr 2001. Bis dahin war jede Arbeit gegen Rechtsextremismus täterfokussiert. Es war die Zeit der sogenannten akzeptierenden Jugendarbeit. Dann kam unser Konzept: Stärkung der demokratischen Zivilgesellschaft, die wir als Bollwerk gegen Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus, Rechtspopulismus verstehen. Diese Zivilgesellschaft wollen wir handlungs- und sprechsicher machen, um antidemokratischen Haltungen und Äußerungen entgegenzutreten: Wir brauchen Menschen, die Haltung zeigen, rote Linien ziehen – im Alltag, im Wohnumfeld, überall da, wo es zählt.
Ansonsten hat sich natürlich sehr viel verändert. 2001 wurde Rechtsextremismus vor allem mit Gewalt in Verbindung gebracht, die Einstellungsebene war weniger im Blick. Auch galt Rechtsextremismus als ein fast ausschließlich ostdeutsches Problem. Diese Dinge wurden in den folgenden Jahren revidiert. Heute gibt es mobile Beratungen in allen Bundesländern, ebenso wie die Opferberatungsstellen, die beide wichtige Strukturen für die Zivilgesellschaft sind – und beide nötig sind. Allerdings sehen wir methodisch zurzeit einen Rollback: Heute ist viel von Deradikalisierungskonzepten in der Arbeit gegen Rechtsextremismus die Rede. Damit kommt die Täterfixierung wieder ins Spiel. Ein Grund ist auch die Quantifizierbarkeit: Ausstiege lassen sich zählen. Wenn dagegen eine Kommune gestärkt wird und damit Radikalisierungen von vornherein weniger Raum bekommen, ist das natürlich schwieriger zu messen. Dabei wirkt das nachhaltiger, breiter und vor allem präventiv. Aber solche politische Konjunkturen, auch in der Förderpolitik, sind Alltag.
Welche Kritik habt Ihr Euch anhören müssen?
Am häufigsten heißt es, wir würden ja nur zu denen sprechen, die bereits aktiv sind, also „preaching to the converted“. Ich kann aber aus der Erfahrung sagen: Demokratie und Menschenrechte sind keine Selbstverständlichkeit. Auch wenn ich demokratisch eingestellt bin, heißt das nicht, dass ich auch so handle. Wenn ich sage, ich bin klar gegen rechts, weiß ich dann auch, wie ich das umsetzen kann im Alltag, bin ich handlungssicher genug? Wenn es konkret wird, brauchen auch Demokrat:innen Unterstützung, denn sie sind mit sich überlagernden und oft dynamischen Problemlagen konfrontiert. Im Laufe der letzten zwanzig Jahre sind unsere Themen unübersichtlicher und komplizierter geworden.
Welche Arbeitsfelder sind wichtiger oder unwichtiger geworden? Sind neue dazugekommen?
Rechtsextremismus hat sich ausdifferenziert, aus fest umrissenen Organisationen sind netzwerkartige und dynamische Strukturen geworden, es bilden sich immer neue Allianzen. Zudem sind Rassismus, Antisemitismus, Islamfeindlichkeit und Verschwörungsideologien inzwischen in der gesamten Gesellschaft verbreitet. Dazu kommt eine zunehmende Enthemmung, bis hin zu Attentaten. Ich würde aber nicht von einem Rechtsruck sprechen. Es ist eher eine schon länger anhaltende Entwicklung, kein Ruck: Von Sarrazins islamfeindlichen Thesen über Pegida und dem Hass auf Geflüchtete, der plötzlich salonfähig wurde, bis zu einer in Teilen rechtsextremen Partei, die im Bundestag und in allen Landtagen sitzt. Antidemokratische Haltungen haben auch in der „Mitte“ der Gesellschaft Raum gewonnen, und es gibt Überschneidungen zwischen den Akteuren, den Szenen und ihren Ideologien.
Als neuere Gruppe der Beratungsnehmenden ist für uns die Kulturszene dazugekommen, die inzwischen vom „Kulturkampf von rechts“ direkt betroffen ist und die Gegenstrategien braucht. Und nicht erst seit Corona, aber doch vermehrt seit dem letzten Jahr, beschäftigt uns das verschwörungsideologische Spektrum, wodurch sich übrigens auch die Beratungsarbeit verändert. Wobei wir die Risse, die mitunter quer durch die Familien oder Freundeskreise gehen, nicht erst seit der Pandemie kennen, sondern schon aus den Debatten um Geflüchtete aus den Jahren 2014 bis 2016 kennen. Auf diese Erfahrung können wir jetzt zurückgreifen.
Und eine große Herausforderung ist natürlich die AfD, denn je mehr politische Machtzugewinne die verzeichnen kann, desto professionalisierter treten sie auf und desto größer wird der Druck für z.B. Engagierte, Kulturschaffende oder die demokratischen Parteien.
Gibt es Themen, die wiederkehren?
Ja, aber ich würde es ja eher so fassen, dass wir als mobile Beratung wie ein Frühwarnsystem funktionieren. Mit dem derzeit öffentlich verhandelten Problem der „Feindeslisten“ haben wir uns z.B. schon vor 15 Jahren beschäftigt. Dasselbe gilt für viele andere Themen und Phänomene, ob sie wiederkehren oder ob sie ganz neu sind. Da wir an der Basis und für die Basis beraten, sich Menschen bei Problemen an uns wenden, bekommen wir im Kleinen die einzelnen Vorfälle, aber auch im Großen, gesellschaftliche Entwicklungen, früher mit als andere.
Was sind erfolgreiche Beratungsprozesse, auf die ihr gern zurückblickt?
Wir versuchen, die Menschen zum Wahrnehmen, Deuten und Handeln zu bringen, und das ist im Alltag erfolgreich, wenn Akteur:innen ermutigt werden, und uns spiegeln: Es ist toll, dass es Euch gibt, und ihr habt uns bei unserer Praxis geholfen.
Natürlich gibt es auch von uns entwickelte Maßnahmen, die die Akteure sehr stark mit uns verbinden. Dazu würde ich unsere antirassistische Ausschlussklausel zählen, veröffentlicht in der Publikation „Wir lassen uns das Wort nicht nehmen“. Wir haben gesehen, dass es eine solche Ausschlussklausel als Vorlage für Menschen braucht, die Veranstaltungen organisieren und verhindern wollen, dass sie durch Rechtsextreme gestört oder missbraucht werden. Diese Ausschlussklausel wird mittlerweile selbstverständlich angewandt.
Durch die rechtsextremen „Feindeslisten“, die in Berlin kursieren, haben wir uns in Kooperation mit der Opferberatungsstelle ReachOut schon sehr frühzeitig mit dem Thema Bedrohung von Engagierten auseinandergesetzt, auch durch Datensammlungen. Wir versuchen, immer dort aktiv zu werden und Menschen zu unterstützen, wo staatliche Stellen nicht willig oder auch schlicht nicht zuständig sind, oder wo das Vertrauen in sie fehlt oder gestört ist.
Dafür brauchen wir natürlich auch qualifizierte und besonders engagierte Kolleg:innen. Sie müssen die Haltung, die wir vermitteln wollen, auch authentisch ausstrahlen, sie müssen vertrauenswürdig und einfühlsam sein und sich natürlich mit den Themen auskennen. Und sie müssen bereit sein, auch unkonventionell zu arbeiten: Runde Tische sind gern abends, Aufmärsche am Wochenende, und wir müssen auch damit klarkommen, dass Coronaleugner_innen uns mal anspucken, aber auch Neonazis unsere Wohnorte auskundschaften, Mitarbeiter:innen auf sogenannte Feindeslisten setzen und Ähnliches.
Klar, 20 Jahre Arbeit gegen Nazis heißt auch 20 Jahre Belastung und Bedrohung – durch Nazis, aber auch durch finanzielle Unsicherheiten und politisch motivierte Diskreditierungen. Wie habt ihr gelernt, damit zu leben?
Mit der unmittelbaren Bedrohung setzen wir uns natürlich auseinander. Wir versuchen, Schutzmaßnahmen zu ergreifen, und können das als etablierte Organisation auch gut. Ich ziehe deshalb vor allem den Hut vor all denen, die vor Ort einem manchmal enormen Druck standhalten müssen, sogar Bedrohung oder Gewalt erleben, ohne Organisation im Hintergrund, und die trotzdem nicht locker lassen.
Anderes ist das mit den Drangsalierungen durch die AfD, die uns immer wieder angreift – durch Kleine Anfragen in Parlamenten, Datensammlungen, Denunziationen im Internet und in Sozialen Medien usw. Das nimmt zu mit der Zahl der rechtsextremen Mitarbeitenden, die sie haben, und den finanziellen Mitteln, die ihnen zur Verfügung stehen. Dadurch entsteht Druck, nicht nur auf uns, sondern auch auf Geldgeber:innen, die unsere Arbeit oder Demokratiearbeit an sich fördern. Man kann schon erleben, dass zunehmend mit Schere im Kopf gefördert wird: Welche Projekte versprechen den wenigsten Ärger? Allerdings haben wir in der Berliner Senatsverwaltung für Justiz gute Partner. Wir können uns gegenseitig vertrauen, und es gibt ein gutes Wechselspiel von Unabhängigkeit und Rückendeckung. Aber viele andere Vereine, Projekte, Einrichtungen oder Einzelpersonen sind nicht in dieser Situation.
Ihr arbeitet ja auch im Verbund mit mobilen Beratungsteams aus ganz Deutschland. Gibt es Berliner Besonderheiten in der Arbeit?
Viele der anderen mobilen Beratungen arbeiten besonders intensiv im ländlichen Raum – und da sind die Herausforderungen andere als in der Urbanität. In Berlin gibt es eine große und diverse politische Szene, viel Erfahrung mit Gewerkschaftsarbeit, viele engagierte NGOs, und auch die Themen und die Partner:innen sind hier teils andere als in der „Fläche“. Das ist auch ein Grund, warum wir immer noch dabei sind, gemeinsame Arbeitsstandards zu entwickeln – für die Arbeit, die eben durchaus unterschiedlich ist. Natürlich ist es auch ein Unterschied, ob die mobile Beratung – wie hier in Berlin – politisch gewollt ist, oder ob die Kolleg:innen sich jedes Jahr zum Dezember arbeitssuchend melden müssen, weil unklar ist, wie es weitergeht.
Was wünschst Du Dir zum 20. Geburtstag der mobilen Beratung?
Ich wünsche mir, dass die Expertise der Zivilgesellschaft mehr wahrgenommen wird und dass auf ihre Erkenntnisse zurückgegriffen wird. Ich meine nicht nur unsere Arbeit, es gibt bundesweit auch unzählige Recherchekollektive und Netzwerke, die fantastische Aufklärungsarbeit leisten – oft schneller, umfangreicher, präziser, als staatliche Stellen es können. Diese Expertise sollte in politische Entscheidungen einfließen und gehört werden. Und ich wünsche mir, dass das Misstrauen gegenüber denjenigen aufhört, die sich für Menschenrechte einsetzen und Haltung zeigen gegen Rechtsextremismus. Es ist schon demotivierend, dass wir wieder kein Demokratiefördergesetz bekommen, weil es dieses anlasslose Misstrauen gegenüber Menschen gibt, die sich von Nazis bedrohen lassen, Haltung zeigen, die anständig arbeiten für Demokratie. Da sollte die Politik doch auch sich selbst vertrauen: Sie investiert ja viel Geld in die NGO-Landschaft. Wenn sie deren Analysen vertrauen würden, wäre z.B. der „Sturm auf den Reichstag“ keine Überraschung gewesen. Und zum Schluss wünsche ich mir, dass Zivilgesellschaft, Politik und Verwaltung jeweils entsprechend ihrer Aufgabe und Stellung standhaft bleiben.