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Juden in der AfD Gewissensbisse und Geopolitik

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Hauptsache gegen die Ampel. Aber die Außenpolitik der AfD spaltet die Partei immer mehr
Hauptsache gegen die Ampel. Aber die Außenpolitik der AfD spaltet die Partei immer mehr (Quelle: picture alliance/dpa/Sebastian Willnow)

Vier Jahre nach ihrer Gründung haben die „Juden in der AfD“ (JAfD) offenbar Gewissensbisse. 2018 gründete sich die Vereinigung, die in den israelfreundlichen und islamfeindlichen Positionen der rechtsradikalen Partei eine politische Chance sah. Nun muss sie die bittere Bilanz ziehen, dass die AfD es mit der Israelsolidarität, Judenfreundschaft und Antisemitismuskritik doch nicht so ernst meint. Hinzu kommen polarisierende Außenpolitikpositionen, die sich bei autoritären Regimes von Russland bis China anbiedern. Einige AfD-Politiker gehen jetzt sogar auf Kuschelkurs mit dem Mullah-Regime im Iran. Und das führt offenbar zu ernsten Gesprächen innerhalb der JAfD, ob sie sich nicht auflösen soll.

Die „Juden in der AfD“ sind seit ihrer Gründung eine Randgruppe in der rechtsradikalen Partei. Zum Höhepunkt gehörten 24 Mitglieder der Vereinigung an, inzwischen ist die Zahl auf 19 geschrumpft. Vize-Vorsitzender Marcel Goldhammer sorgte vor der jüngsten Wahl in Israel im November 2022 für Aufmerksamkeit, zumindest in den sozialen Medien: Der deutsch-israelische Politiker kündigte auf Facebook die Gründung der „Alternative für Israel“ an. Doch zur Wahl ist offenbar keine Partei mit diesem Namen angetreten.

Ansonsten ist es aber um die JAfD still geworden: In den vergangenen zwei Jahren wurden lediglich zwei Beiträge auf ihrer Webseite veröffentlicht, der letzte im Juni 2021. Seitdem finden offenbar auch keine Veranstaltungen der Vereinigung mehr statt. So wirkt die JAfD kaum mehr als eine Twitter- und Facebook-Seite. Und auch deshalb sehen viele in der JAfD nichts anderes als ein Feigenblatt für eine rechtsradikale Partei, in der nicht nur Rassismus, sondern auch Antisemitismus freien Lauf gelassen wird.

In der jüdischen Community folgte auf die Gründung vor vier Jahren lautstarke Kritik: „Keine Alternative für Juden“, heißt eine gemeinsame Erklärung von 47 jüdischen Organisationen, darunter dem Zentralrat der Juden, der Claims Conference und dem American Jewish Committee (AJC). „Eine Partei, die außer Hass und Hetze keinerlei gangbare Lösungen für die aktuellen Herausforderungen unserer Gesellschaft anzubieten hat, kann für niemanden eine Alternative sein“, steht darin. Die AfD sei ein Fall für den Verfassungsschutz, keinesfalls aber für Juden in Deutschland, so die Erklärung weiter.

Allmählich erkennen offenbar auch die „Juden in der AfD“ das wahre Gesicht der sogenannten Alternative: „Innerhalb der Partei gelingt es den radikaleren und antiwestlichen Leuten, die Mehrheit zu erlangen“, beklagt JAfD-Vorsitzender Artur Abramovych gegenüber dem konservativen Jewish News Syndicate. Der Artikel, der vom AfD-nahen Trump-Fan Orit Arfa verfasst wurde, erschien in deutscher Sprache auf dem Blog „Achse des Guten“.

Hinter diesem Trend wittert Abramovych eine Verschwörung: Die Entwicklung sei für ihn zum Teil auf „eine Verleumdungskampagne der Regierung“ zurückzuführen, heißt es. Ausdruck davon sei etwa die Beobachtung der Partei durch die Verfassungsschutzämter. Abramovych fühlt sich zudem offenkundig außen vor gelassen: Früher habe er fast jeden im Vorstand der AfD einfach anrufen können, wann immer er wolle. Im neugewählten Vorstand habe er nur noch zu drei Personen guten Kontakt.

Auch Simone Schermann, ehemaliges Vorstandsmitglied der JAfD, zeigt sich enttäuscht mit der Entwicklung der Partei. „Ich erinnere mich, dass Alice Weidel davon sprach, wie wichtig das Judentum für Deutschland sei, dass es große Denker habe“, sagt sie dem Jewish News Syndicate. Aber von der Idee einer „jüdisch-christlichen Leitkultur“ ist in der Partei heute offenbar wenig übrig geblieben. In den vergangenen Monaten habe sie einen „Aufschwung antisemitischer Äußerungen in rechtsgerichteten deutschen Chats und Gruppen“ festgestellt. „Ich will die AfD trotzdem nicht bashen, weil es genug Leute gibt, die sie bashen“, so Schermann weiter.

Dabei gibt es genügend Gründe. Ein Wendepunkt, der besonders in den Reihen der Juden in der AfD Bauchschmerzen bereitet: Russlands brutaler Angriffskrieg gegen die Ukraine. Denn einige Mitglieder der Vereinigung kommen selbst aus der ehemaligen Sowjetunion und solidarisieren sich mit Kyjiw (Kiew). Vorsitzender Abramovych kommt sogar aus der Ukraine. Und die AfD ist längst ein Sammelbecken der Kremlpropagandisten und Putinversteherinnen geworden. Bundeskanzler Scholz nannte sie neulich die „Partei Russlands“.

Diesen unschmeichelhaften Ruf will die AfD offenbar immer wieder verteidigen: Im September 2022 machten sich drei Landtagsabgeordnete zwecks einer PR-Mission auf dem Weg in den Donbas – pünktlich zu den angekündigten Volksabstimmungen in den von Russland besetzten Gebieten. Oder im Februar 2018 besuchten zehn Landtagsabgeordnete aus NRW, Berlin und Baden-Württemberg die von Russland annektierte Krim. Dort wollten sie eine Aufhebung der westlichen Sanktionen gegen Russland besprechen. Einen Monat später reiste ein AfDler in die Krim als „Wahlbeobachter“ für die völkerrechtswidrigen Scheinwahlen.

Auch Parteichefs Chrupalla und Weidel setzen sich immer wieder für russische Interessen ein. Sie fordern etwa weiterhin die Öffnung der kontroversen russisch-deutschen Gas-Pipeline Nord Stream 2, die wegen Russlands Angriffskrieg auf Eis gelegt wurde. Zu Kriegsbeginn sagte Weidel im „Morgenmagazin“ der ARD, Russland habe den Krieg nur deswegen begonnen, weil das Land „gekränkt“ worden sei. Die Ukraine hingegen bezeichnet sie als „das Problem“ im Konflikt.

Aber die Ausfälle der AfD beschränken sich nicht nur auf Russland: Auch die Aufstände im Iran bringen die AfD jetzt in die Zwickmühle. Die Partei versucht, sich zwischen ihrer altbekannten „Islamkritik“ und einer Ablehnung der „liberalen Dekadenz“ des Westens zu positionieren. Und dabei sehen manche AfDler im Mullah-Regime einen Verbündeten im Kampf gegen die Moderne. Einer von ihnen ist Roger Beckamp, der auch an der erwähnten Reise in die Krim 2018 teilnahm. Im September 2022 sagte der Bundestagsabgeordnete im Interview mit Mitmischen, dem Portal des Deutschen Bundestags, der Iran werde einseitig als „Schurkenstaat“ bezeichnet, er habe aber den Eindruck, „dass gerade die USA, Saudi-Arabien und Israel in vielfacher Hinsicht eine Gefahr für den Frieden in der Region darstellen“.

Es war kein Ausrutscher: Im Juli 2022 besuchte Beckamp zusammen mit seinem Parteifreund und Bundestagsabgeordneten Eugen Schmidt die Residenz des iranischen Botschafters in Berlin. Beckamp ist Vorsitzender der deutschen-iranischen Parlamentariergruppe, eine Vereinigung von Abgeordneten mehrerer Fraktionen, die Kontakt mit dem iranischen Parlament haben soll. Beim Meeting, über das Die Welt berichtete, soll es um Gaslieferungen, Atomabkommen und Handel gegangen sein. „Jetzt gibt auch noch die Energiekrise AfD-Abgeordneten die Gelegenheit, sich als Möchtegern-Lobbyisten zu profilieren und für den Kauf fossiler Rohstoffe vom Iran zu werben“, kommentierte der Historiker Volker Weiß in der Jungle World.

Der Besuch von Beckamp und Schmidt sorgte für Kritik nicht nur bei den „Juden in der AfD“, sondern auch in der Bundestagsfraktion: „Der islamische Terrorstaat Iran steht für alles, was wir bekämpfen“, so die Position von Vize-Fraktionschefin Beatrix von Storch. Die Bundestagesabgeordnete Joana Cotar ist im November 2022 sogar aus der Partei ausgetreten – wegen „Anbiederung an die diktatorischen und menschenverachtenden Regime in Russland, China und jetzt auch den Iran“. Aber nicht bei allen: Ehrenvorsitzender Alexander Gauland steht offenbar auf der Seite der Iranversteher. Er hat zum Beispiel Anfragen von Beckamp und Schmidt zu diesen Themen mit unterschrieben, hält am Atomabkommen fest. „Da haben wir nicht einzugreifen oder unmittelbar in diesen Ländern Gegenposition zu beziehen“, sagt er der Welt.

Auch ein geleaktes Positionspapier der AfD zum Iran zeigt die Bruchlinien innerhalb der Fraktion auf: Die Wortwahl „Mullah-Regime“ sei unangemessen, heißt es im Dokument, das vom Investigativportal Correctiv veröffentlicht wurde: „Wir sollten es ausdrücklich vermeiden, abwertend über die Führungen anderer Länder zu sprechen.“ Die Rechtsradikalen wollen nicht „herzlos-kühl“ sein und finden den Protest im Iran „sympathisch“, so heißt es weiter. Aber: Die Partei will sich in dieser Frage von den Koalitionsfraktionen unterscheiden. Und ihr Tenor darf dem der Ampel nicht zu sehr ähneln: „Die AfD besitzt hinsichtlich der Außenpolitik ein Alleinstellungsmerkmal“.

Es ist aber eben dieses außenpolitische „Alleinstellungsmerkmal“, das die AfD intern zunehmend spaltet – ob wegen Russland oder dem Iran. Eine Auflösung der „Juden in der AfD“ wäre genauso symbolisch wie die Vereinigung selbst. Aber die Bruchlinien laufen tiefer. Sie stellen der Gesamtpartei vor inhaltlichen Herausforderungen.

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