Es ist der 3. Dezember 2022, noch 21 Tage bis Weihnachten und damit die beste Zeit, um Wohltätigkeitsveranstaltungen durchzuführen. In Güstrow findet in der Sport- und Kongresshalle eine „Benefiz Fight Night“ statt unter dem Motto „Güstrows Bürger kämpfen für Güstrows Kinder!“. Eine Kampfsportveranstaltung also, deren Erlös den Kindern der Stadt zugutekommen soll. Unter den Hauptsponsoren finden sich lokale Unternehmen wie MMB Baufinanzierungs-Partner, Medical Product Wutschke und die Autowelt Güstrow. Dabei ist die ganze Veranstaltungskonstruktion interessant: Im Ring stehen keine kampfsporterfahrenen Profis. Es kämpfen Bürger*innen aus Güstrow und Umgebung gegeneinander, die zuvor einen Crashkurs im Boxen durchlaufen haben. Der Veranstalter schreibt dazu auf seiner Website: „Prominente Bürger Güstrows aus dem Bereich der Wirtschaft, des Sports, der Medien und der Politik steigen zwischen die Ringseile, um für Kinder etwas zu tun. Die Erlöse dieser Veranstaltung kommen ausschließlich bedürftigen Kindereinrichtungen und Kinderprojekten der Barlachstadt zu Gute.“
Das Event beginnt mit Kämpfen im Boxen, K1 und Muay Thai. Schon während des ersten Blocks zeigt laut Augenzeugen eine Person aus dem Publikum den Hitlergruß. Der Durchführung der Veranstaltung steht das jedoch nicht im Weg. Nach einer kurzen Pause startet der zweite Block, die „Benefiz Fights“. Ein Moderator stellt die Kämpfenden mit ihren Hobbys, Berufen, Lieblingsessen und -getränken vor. Dazu gibt es den passenden Flyer, der sich wie ein Freundschaftsbuch liest. Besonders beliebt scheint bei den Teilnehmenden als Getränk „Bier“ zu sein. Das gilt auch für das Publikum, welches bereits einen ordentlichen Pegel hat. Für die fünfte Runde ist Leon W. angekündigt. W. nimmt neben Kampfsportevents auch gern an Veranstaltungen der NPD teil. Fotos des Recherche-Netzwerks Berlin belegen, dass W. – gekleidet in einer Kutte – an einer Demonstration in Demmin am 8. Mai 2019 teilgenommen hat. Aufgerufen hatte unter anderem die NPD zum Trauermarsch am Tag der Befreiung.
Leon W. gewinnt. Es geht weiter. Zwischen den Runden spielt das Feuerwehr-Orchester „Schalmeienkapelle der FFW Malchin“. Als ein Lied von den „Böhsen Onkelz“ gespielt wird, grölt die Menge mit. Den achten Kampf bestreitet Alexander Wulff, ein Mitglied der CDU- Fraktion in der Stadtvertretung, gegen den Moderator Thomas Draheim vom Lokalsender „MV1“. Die CDU gewinnt. Die Menge applaudiert. Als Nächstes ein Kampf mit Marcel B..
B. nimmt für den Verein „Tätowierte gegen Krebs“ an der Veranstaltung teil. Dieser hat fragwürdige Verbindungen. Der Verein wurde von Sebastian Kairies gegründet. Kairies war in der Nazi-Kameradschaft Werwölfe Wismar, Rocker im Club Schwarze Schar und später bei den Hells Angels Rostock. Bei der Fight Night steht ein Spendenglas für „Tätowierte gegen Krebs“.
Den letzten Benefizkampf bestreitet Christian M.. Sein Gegner wird ausgebuht. Auch M. ist aktiver Besucher von Neonaziveranstaltungen, wie am 1. Mai 2021 bei einer NPD-Demonstration in Greifswald.
Stört sich niemand an den Hintergründen der Kämpfer?
Organisiert wurde das Event vom „Allround Sport Gym“ (ASG). Der Neonazi Martin Sch. ist dort Mitglied. Er feierte gemeinsam mit anderen Neonazis 2019 die Sommersonnenwende in Jamel (weißes Shirt mit blauen Ärmeln neben Fackel) und war Aktivist bei den „Nationalen Sozialisten Rostock“ . Wenig überraschend übernahm er die Ecke für seine Gesinnungsgenossen Leon W. und Christian M.. Auch M. trainierte beim ASG.
Im Publikum der Veranstaltung findet sich genug Material für einen rechten Modekatalog. Von Klassikern wie dem verbotenen Landser-Bandshirt oder Thor-Steinar-Klamotten mit dem alten, ebenfalls verbotenen Logo bis zu Shirts der lokalen Neonaziband „Painful Awakening“ ist alles zu sehen. Das störte in Güstrow jedoch offensichtlich niemand. Im Gegenteil, Neonazis scheinen sich neben der Lokalprominenz äußerst wohlzufühlen. Während sich der CDU-Politiker Alexander Wulff im Ring schlägt, sitzt der ehemalige NPD-Politiker Nils Matischent im Publikum. Matischent hat eine lange Liste von Vorstrafen, unter anderem wegen eines Übergriffes auf einen Jugendclub. Im NPD-Verbotsverfahren wurde sein Name mehrfach erwähnt.
Aus dem Umfeld der „Neue Stärke Partei“ ist Ronny Sch. anwesend. Den Mitgliedern der Partei wird unter anderem vorgeworfen, eine schwere staatsgefährdende Straftat geplant zu haben und dazu Waffen in Osteuropa beschaffen zu wollen. Außerdem bewegt sich Sch. im Umfeld des Rockerclubs Brigade 8, welche aus Mitgliedern der verbotenen Neonaziorganisation „Blood and Honour“ besteht.
Auch Oliver F. von der Kameradschaft „Aktionsblog“ besuchte die Veranstaltung. Die rechtsextreme Gruppe trat früher als „Nationale Sozialisten Rostock“ auf und ist mittlerweile verboten. Ihr wird vorgeworfen, sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung und den Gedanken der Völkerverständigung zu richten. Auch zum Kampfsport hatte die Kameradschaft eine besondere Verbindung: Sie organisierte offenes Training für Neonazis und warb für die Stärkung des Körpers im Sinne der NS-Ideologie.
Nach dem Verbot hatte er seinen privaten Instagram-Account für den Social-Media-Auftritt des Aktionsblogs genutzt. Er ist eine Schlüsselfigur bei Vernetzung und Kommunikation in der Szene, kommt ursprünglich aus Cottbus und war bereits dort aktiv.
Dass Neonazis gern Kampfsportevents besuchen, ist nichts Neues. Dass sie auf der gleichen Veranstaltung wie CDU-Politiker und Moderatoren in den Ring steigen und es weder von den Teilnehmenden noch den Veranstaltern infrage gestellt wird, ist jedoch sehr beängstigend. Dadurch wird eine Normalisierung vorangetrieben, die nur noch schwer rückgängig zu machen ist. Der Neonazi im Ring wird zum netten Mann aus der Nachbarschaft, der mal etwas Gutes tun möchte. Und wenn er das auch noch gemeinsam mit der Stadtgesellschaft macht, kann er ja gar nicht so gefährlich sein. Aber wer kann schon nein sagen, wenn es um das Wohl der Kinder geht? Noch 16 Tage bis Weihnachten, viel Zeit für Benefizveranstaltungen und Weihnachtswünsche. Hier eine Idee: Nazis runter von der Matte.