Norbert Kleinwächter ist stellvertretender Vorsitzender der AfD-Bundestagsfraktion und aktiv in den sozialen Medien. Die neuen Anwendungsmöglichkeiten von Künstlicher Intelligenz (KI), die in den letzten Wochen immer wieder für Schlagzeilen gesorgt haben, sind auch bei ihm angekommen. Mehrfach werden auf Kleinwächters Social-Media-Accounts KI-generierte Bilder gepostet. Laut Recherchen der FAZ handelt es sich um Grafiken von Midjourney.
Midjourney ist eine künstliche Intelligenz, die über einen Discord-Server bedient wird und die aus Sprachbeschreibungen Bilder generiert. Das Programm und das gleichnamige Forschungsinstitut, das es veröffentlicht hat, waren in den vergangenen Wochen immer wieder Gesprächsthema. So hatte sich ein Bild des Papstes im weißen Daunenmantel über Reddit und Twitter verbreitet. Viele Nutzer*innen schienen das Bild zunächst für echt zu halten, bis sich herausstellte, dass es von Midjourney generiert wurde. Auch ein angebliches Foto von einem knienden Vladimir Putin vor dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping und Aufnahmen der Verhaftung von Donald Trump feuerten die Debatte weiter an.
Künstliche Intelligenz für klassische AfD-Themen
Auf Twitter postete Kleinwächter mehrere Midjourney-Bilder. Unter anderem eine junge blonde Frau, die grinsend eine Zeitung in der Hand hält. Darunter eine Variation des Zitats des nach rechts abgedrifteten ehemaligen Verfassungsschutzchefs Hans-Georg Maaßen, der die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) mit „Westfernsehen“ verglichen hatte. Ein anderes Bild zeigt ein autozerstörendes „EU-Monster“, Aufschrift: „Verbrennermotor vor Brüssel retten!“. Karl Lauterbach wird als Vampir mit Blutampulle gezeigt, auf einem anderen Foto kann man die Züge Robert Habecks mit Hörnern erkennen.
Besonders heraus sticht ein KI-Bild mit der Aufschrift „Nein zu noch mehr Flüchtlingen!“. Darauf zu sehen: wütende und aggressiv brüllende Männer mit Bärten und dunklen Haaren. Kleinwächter veröffentlicht das Bild – genau wie alle anderen – ohne Quellenangabe oder der Anmerkung, dass es sich um kein echtes Foto handelt. Doch schnell wiesen Nutzer*innen auf die KI-Bilder hin. Erkennbar sind die aktuell noch an Details. Zum Beispiel können die künstlichen Intelligenzen noch nicht sehr gut Finger oder Füße darstellen. Gesichter im Hintergrund werden schnell verzerrt. Doch unter Umständen braucht das einen genaueren Blick.
In einem Video erklärt Kleinwächter, dass er auch weiterhin KI-generierte Bilder nutzen will. Kleinwächter ist sich offenbar keiner Schuld bewusst, sondern beschreibt das Bild mit den wütenden Männern mit eindeutigen Worten: „Wir haben die Horde von Migranten beispielsweise, wie sie brüllen und in Berlin die Straßen unsicher machen“. Dabei im Hinterkopf behalten: Kleinwächter oder seine Mitarbeiter*innen haben die KI mit Sprachbefehlen, sogenannten „prompts“, dazu gebracht, dieses Bild zu kreieren. Der Bundestagsabgeordnete, der als angeblich gemäßigter AfD-Vertreter gilt, hält mit rassistischen Ansichten nicht hinterm Berg: „Vergleichen wir mal dieses Bild (…) zu den Aufnahmen der Silvesterkrawalle in Berlin. Schauen wir uns doch mal an (…) wie die Horden durch die Straßen zogen. Da ist ein solches Bild noch relativ angemessen“, findet Kleinwächter.
Wo es keine Belege oder Bilder von der Welt gibt, die sich der Abgeordnete in seiner Fantasie ausmalt, kann die KI einspringen: „Es geht darum, Dinge zu illustrieren wie sie sind, wofür es aber kein Fotomaterial gibt“, sagt der Abgeordnete im Video und um die „Illustration von Sachverhalten (…) wie die Welt wirklich ist“.
Verzerrte populistische Hetze führt zu verzerrten populistischen KI-Bildern. Zu dem Bild mit den wütenden Männern sagt Kleinwächter: „So ein Bild bildet kein konkretes Ereignis ab, aber durchaus die Realität der Brutalität, die von gewissen und eigentlich auch den allermeisten illegalen Migranten beim Grenzübertritt an den Tag gelegt wird.“
KI im Wahlkampf?
Kleinwächter ist nicht der Einzige in der Partei, der KI-generierte Bilder benutzt, auch der Bundestagsabgeordnete Roger Beckamp aus NRW postete bereits ähnliche Grafiken. Unter anderem das Bild eines blonden Mädchens mit Blutspritzern im Gesicht, um Werbung für den „Einzelfallticker“ der Partei zu machen. Ein Internetportal der AfD, das – in den Augen der Rechtsradikalen – „migrantische“ Gewalt protokollieren soll.
Auch auf der Instagramseite der Bundespartei wurde womöglich ein KI-Bild verwendet. Auch hier, um gegen Geflüchtete Stimmung zu machen und auf den „Einzelfallticker“ hinzuweisen. „Sofort abschieben“ steht auf dem Sharepic, zu sehen ist ein finster dreinblickender Mann mit dunklen Haaren und Bart. Das Gesicht des Mannes wird von entsprechenden Suchmaschinen nirgends im Internet wiedergefunden.
Die Partei ist nicht komplett unvorbereitet für die KI-Revolution. Im Blog von Freilicht, einem Magazin aus dem Umfeld der rechtsextremen „Identitären Bewegung“, meldet sich der AfD-Landtagsabgeordnete Joachim Paul aus Rheinland-Pfalz zu Wort und will KI für Rechtsaußen-Politik nutzbar machen. Fünf Thesen stellt der Rechtsaußen-Politiker auf: KI würde eine industrielle Revolution auslösen, die zu einer noch rigideren Flüchtlingspolitik führen müsse. „Der Zuzug von vor allem Unqualifizierten, die im Niedriglohnsektor eine Perspektive finden sollen, ist mehr denn je verantwortungslos“, schreibt Paul und weiter: „Dieses Argument wird unser Arsenal der Einwanderungskritik signifikant ergänzen.“
Für Wahlkämpfe hat der ehemalige Lehrer ebenfalls schon Ideen: „Generische KI ermöglicht die massenhafte Verbreitung von Textbotschaften, das wird zukünftig die Willensbildung im Netz, Kampagnen und Wahlkämpfe beeinflussen.“ Für Parteimitglieder mit unterdurchschnittlichen Fähigkeiten wittert der AfD-Abgeordnete Morgenluft: „das pädagogische Institut der Universität Yale feiert die KI als ‚Gleichstellungsmedium‘, weil Studenten, die hinsichtlich Sprachweite, Stil und Wortschatz unterlegen seien, nun gleichziehen könnten. Die Rechte muss sich intensiv auf diese Auseinandersetzung vorbereiten.“
Viele Gefahren, die von KI ausgehen könnten, wurden bereits ausgiebig beschrieben. Doch wie Rechtsradikale und Rechtsextreme die Technologie jetzt schon nutzen, verlangt größere Aufmerksamkeit, denn es könnte ein Modell für die Zukunft sein: Rechtsaußen-Politiker*innen nutzen heute schon KI-generierte Bilder, um sich die Welt so zu machen, wie sie ihnen gefällt: bedrohlich, angsteinflößend und voll von Gewalt. 2020 sagte der damalige Pressesprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Christian Lüth, in einem mitgeschnittenen Gespräch: „Solange die AfD noch ein bisschen instabil ist […] müssen wir dafür sorgen, dass es Deutschland schlecht geht.“ Mit Künstlicher Intelligenz hat die Partei einen neuen Werkzeugkasten, der sie von der Realität unabhängig macht, und das Land im düstersten vorstellbaren Licht darstellen kann.