Am 24.12.2014 besuchte eine Frauengruppe die Heiligabend-Andacht im brandenburgischen Biesdorf. Die Idee dazu hatte ein engagiertes Gemeindemitglied aus Ihlow, einem kleinen Dorf, das zum gleichen Pfarrsprengel gehört. In Zeiten von leeren Kirchen – und gerade in Brandenburg auch leeren Dörfern – teilen sich mehrere Ortschaften eine*n Pfarrer*in. Im Pfarrsprengel Haselberg, zu dem auch Biesdorf gehört, sind das Barbara und Christian Kohler.
Barbara Kohler las an jenem Abend die Fürbitten. Unter anderem bat sie um „Erbarmen“ für die „fehlgeleitete Presse“, die in ihren Augen offenbar falsch über die damals noch relativ neue Pegida-Bewegung berichtete. Die Frauen waren entsetzt.
Pegida im Pfarrhaus
Wenige Tage später, im Januar 2015, veröffentlichte die Lokalzeitung MOZ einen Text von Christian Kohler auf ihrer Website: „Toleranz, nicht Unterwerfung“. Auch hier ging es um Pegida. Kohler schreibt darüber, dass „Menschen, die in Dresden und anderswo bei PEGIDA auf die Straße gehen, diffamiert“ würden. Er unterstellt Medien und Politik „Krokodilstränen“, weil „die so Diffamierten nicht mit ihnen reden wollten“. Auf Nachfrage von Frauke Hildebrandt, ebenfalls aus Ihlow, schickte der Pfarrer ihr das Thesenpapier von Pegida. Ob er selbst an dem islamfeindlichen Aufmarsch teilgenommen hat, schreibt er nicht. Allerdings habe er „einige Menschen gesprochen, die in Dresden bei Pegida waren. Nicht einer war Ausländerfeind (…). Da war kein Nazi drunter.“ Gestört haben den Pfarrer vielmehr die Gegendemonstrant*innen: „Gewalt anwendende und gewaltbereite Extremisten“.
Zwischenzeitlich stellte sich heraus, dass Barbara Kohler AfD-Mitglied ist, mittlerweile ist sie ausgetreten. Gründe für den Austritt sind nicht bekannt. Das Pfarrerehepaar Kohler war nicht zu einem Interview für diesen Artikel bereit.
Auch der Sohn des Ehepaars ist parteipolitisch aktiv. Martin Kohler ist erster stellvertretender Vorsitzender der „Jungen Alternative“ (JA), der Jugendorganisation der AfD, in Brandenburg. 2015 war er beim Parteitag der AfD in Bremen und wurde dort von der Bild-Zeitung interviewt: „Zur AfD bin ich über einen Stammtisch bei uns zu Hause gekommen. Erst war ich skeptisch, welche Leute mich da erwarten, aber dann total begeistert. Leider musste ich damals noch warten, bis ich überhaupt Mitglied werden durfte, weil das in der AfD erst ab 16 erlaubt ist.“ Ob dieser Stammtisch nun tatsächlich im Pfarrhaus stattgefunden hat, bleibt unklar. Die zuständige evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) bestreitet das jedenfalls: „Das genannte Zitat hat Martin Kohler im Übrigen in Bremen getätigt. Mit dem Ausdruck ‚zu Hause‘ bezieht er sich in diesem Kontext auf seine Heimatregion, nicht auf das Pfarrhaus seiner Eltern.“ Aha.
„Mir steht das schon bis hier mit den Asylanten“
Mit der Ankunft vieler Geflüchteter in Deutschland und damit auch im Pfarrsprengel Haselberg kam es schließlich zum nächsten Eklat. Frank Witte und Thorsten Langbecker sind Mitglieder im Gemeindekirchenrat (GKR). Sie und einige andere Gemeinde- und auch Ratsmitglieder wollten die neuen Dorfbewohner auch offiziell im Namen der Gemeinde willkommen heißen. In der Ratssitzung, in der das besprochen werden sollte, kochte die Stimmung hoch: „Mit den Ausländern spielen? Wo kommen wir denn da hin?“, „Mir steht das schon bis hier mit den Asylanten“. Ein Mitglied drohte: „Wenn das mit den Flüchtlingen doch besprochen wird, dann gehe ich raus!“ Und verlässt tatsächlich den Raum. Pfarrer Kohler griff in der Situation nicht ein, später sagt er, er habe die abfälligen Bemerkungen nicht gehört.
Der Altarraum der frisch renovierten Kirche
Spätestens jetzt gab es in Ihlow Gesprächsbedarf. Die Gruppe um Hildebrandt, Witte und Langbecker bemühte sich immer wieder darum, alle Beteiligten an einen Tisch zu bekommen. Dazu gehören Vertreter der Kirchenleitung, das Pfarrerehepaar und die Gemeindekirchenräte . Zu einem solchen Termin ist es bis heute nicht gekommen. Die Versuche das Ganze in die Wege zu leiten, hat die Gruppe dabei dokumentiert. Die E-Mails und Briefe füllen einen Aktenordner. Die EKBO hat auch hier eine andere Sichtweise: „Es hat über mehrere Jahre Gespräche gegeben (…) zu denen die genannten Gemeindemitglieder eingeladen waren. Leider haben sie ihre Teilnahme verweigert.“
Föderalismus oder Gesprächsblockade?
Diese Weigerung ist allerdings komplizierter. Tatsächlich gab es viele von Superintendent Schürer-Behrmann moderierte Gespräche in unterschiedlichen Konstellationen, an denen die engagierten Gemeindemitglieder teilnahmen. Aber eben keins, bei dem alle Parteien an einem Tisch saßen.
Und auch bei den Gesprächen, die stattfanden wurde beispielsweise schon im Vorfeld angekündigt, dass bestimmte Themen, wie die AfD-Mitgliedschaft der Pfarrerin ausgeklammert werden würden. Auch der Pfarrer selbst fehlte beim Gespräch über die fremdenfeindlichen Äußerungen.
Torsten Langbecker dazu: „Wir haben an vielen grotesken Gesprächen teilgenommen, in denen uns – völlig überraschend – wiederholt auf unangenehme Art unterstellt wurde, wir wollten den Pfarrer wegmobben. Dabei hatten wir immer wieder versucht, gemeinsam mit allen Beteiligten ins Gespräch zu kommen.“
Auch fast vier Jahre nach den ersten Vorfällen wollen die Ihlower hauptsächlich eins: inhaltlich ernst genommen und angehört werden und zwar von allen Beteiligten, an einem Tisch. Bekommen haben sie etwas anderes. Nach Jahren von abgesagten Treffen, zahllosen Emails und Bitten um Klärung wurde die Gemeinde Ihlow mit ihren widerspenstigen Christ*innen schließlich isoliert. Der kleine Ort wurde aus dem Pfarrsprengel ausgegliedert. Die Kohlers sind nicht mehr zuständig, eine neue Pfarrerin wird zugeteilt. Die EKBO verweist hier auf Zuständigkeiten und wäscht die eigenen Hände in Unschuld: „Die Zuteilung einzelner Gemeinden zu Pfarrsprengeln ist Sache des Kirchenkreises, und ausdrücklich nicht der Landeskirche“. Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung, kritisiert diesen Umgang: „Die einzige Reaktion auf die Versuche, Rechtspopulismus in der Kirche zu thematisieren, bestand darin, Ihlow aus dem Pfarrsprengel Haselberg auszugliedern. Das ist ein kein souveräner Umgang mit der Infragestellung zentraler demokratischer Werte durch die AfD. Aus meiner Sicht vertragen sich Rechtspopulismus und christliche Werte nicht miteinander. Es ist daher enttäuschend, dass die Kirchenleitung die Gemeindemitglieder in Ihlow nicht ernster genommen hat. Es drängt sich der Eindruck auf, dass die Kirchenleitung versucht, das Problem auszusitzen und so tut, als gäbe es kein Problem mit Rechtspopulismus in der Kirche.“
Schadet Rechtspopulismus nur in Berlin der Seele?
Die Reaktion der Kirchenleitung ist dabei tatsächlich paradox. Schließlich hat sich die Evangelische Kirche in Deutschland und auch die Landeskirche in Berlin und Brandenburg sehr eindeutig gegen Rechtspopulismus und Rechtsextremismus positioniert. Landesbischof Markus Dröge forderte in Bezug auf die AfD, dass die Kirche sich „sehr klar abgrenzen [müsse] gegen jegliche Form von Menschenverachtung und Inanspruchnahme des Christentums für völkisches Denken“. Anlässlich einer Synode der EKBO sagte er – und auch hier explizit mit Bezug auf AfD & Co – dass es eine bedenkliche Entwicklung sei, wenn Funktionäre einer Partei, die die deutsche Demokratie verachte, auf demokratischen Wege in verantwortliche Positionen kämen. Die EKBO ist in mehreren Bündnissen vertreten, die sich in Brandenburg und Berlin für Weltoffenheit und Toleranz einsetzen. Sogar auf dem jährlichen Christopher-Street-Day in Berlin ist die Kirche mit einem Wagen dabei.
Gleichzeitig steht in der evangelischen Kirche aber auch Föderalismus an erster Stelle. Das heißt Anweisungen von oben sind praktisch unmöglich. Das führt in der Praxis dazu, dass an Berliner Kirchen Banner mit der Aufschrift „Rechtspopulismus schadet der Seele“ und anderen Slogans hängen, während im Umland offenbar eine andere Stimmung herrscht. Gerade hier wäre es doch nötig, sich explizit gegen rechtes Gedankengut zu positionieren. Nach Aussage der EKBO tun das auch „sehr viele“ Gemeinden und Kirchenkreise in Brandenburg. Was dort dann tatsächlich passiert und welche Wirkung diese Initiativen zeigen bleibt dahingestellt: Bei den Bundestagswahlen erreichte die AfD im Kreis Haselberg 40 Prozent der Erst- und Zweitstimmen. Das ist nahezu doppelt so viel wie der Durchschnitt im Landkreis.
Für die engagierten Gemeindemitglieder in Ihlow bleibt es kompliziert. Manche empfinden die Situation bedrückend. Eine engagierte Frau aus Ihlow hat sogar ganz mit der Kirche gebrochen. Sie ist ausgetreten. Den Austritt und vor allem die Gründe dafür hatte sie auch Bischof Dröge mitgeteilt. Unter anderem war sie mit der Arbeit der Kirchenoberen nicht zufrieden. Der Bischof jedenfalls ließ einen Oberkirchenrat auf den Austritt reagieren: „Es ist sehr bedauerlich, dass Sie offenbar in Unkenntnis aller deutlichen Zeichen und Handlungen unserer evangelischen Kirche gegen Rassismus, Rechtsradikalismus und alle Äußerungen von Unmenschlichkeit, aus dieser Kirche ausgetreten sind und dass Sie offenbar auch alles Engagement in der Sorge für Flüchtlinge und damit das kompromisslose Eintreten unserer Kirche gegen Fremdenfeindlichkeit nicht sehen können.“
Volle Kirche, trotz Ausgliederung
Zu Erinnerung: Es geht hier schlussendlich um eine Pfarrerin mit AfD-Parteibuch, die eine Pegida-Fürbitte in einer Weihnachtsandacht liest und einen Pfarrer, der offensichtliche Sympathien für die islamfeindliche und rechtspopulistische Bewegung hegt und das genauso öffentlich äußert. Es mag sein, dass die Kirche zumindest mit diesen Beteiligten Gespräche über ihr Verhalten geführt hat. Alleine schon, dass es keine öffentliche Reaktion der Kirchenleitung zu diesen Vorfällen gegeben hat, spricht allerdings nicht unbedingt für ein „kompromissloses Eintreten“. In ähnlich belehrenden Tonfall geht der Brief jedenfalls weiter: „In die ‚Angelegenheit‘, von der Sie schreiben, ist bereits viel ‚Licht‘ gebracht worden eben durch die Personen Superintendent und Generalsuperintendent, denen Sie kein gutes Zeugnis ausstellen, die aber wichtige Mitarbeiter in unserer Kirche sind“. Die EKBO vermag in diesen möglicherweise leicht passiv-aggressiv anmutenden Zeilen keine „Herabsetzung der Meinung der Schreibenden“ erkennen.
Auch in dem letzten, ganz aktuellen Statement des Superintendenten Schürer-Behrmannn ist von einer „kleinen, aber gut vernetzten Gruppe von Gemeindegliedern“ die Rede, die „in ihrer Fixierung auf eine von ihnen geforderte Bestrafung der von ihnen identifizierten ‚Schuldigen‘ weiterhin nicht in der Lage ist, diese Prozesse zu würdigen.“
Käthe Roos, ebenfalls in Ihlow aktiv, fasst zusammen: „Wir werden von der Kirchenleitung mit unserer inhaltlichen Sorge als mündige Christen nicht ernst genommen. Wir sind die, die stören.“
Aber sie und alle anderen engagierten Gemeindemitglieder machen so oder so weiter, auch nach Frustrationen und Angriffen. So hat die Gruppe gerade dabei geholfen, die kleine Gemeindekirche in Ihlow zu sanieren. Bei der Eröffnung am 24.06. war der Kirchenraum so voll, dass es nur noch Stehplätze gab. Auch Manja Schüle, Bundestagsabgeordnete der SPD war vor Ort und sagte: „Obwohl die neue, aus dem Sprengel Haselberg ausgegliederte Gemeinde der evangelisch-lutherischen Kirche in Ihlow nur 30 Mitglieder zählt, waren am Sonntag 300 Menschen bei der Eröffnung der Kirche. Die Kirchgemeinde in Ihlow setzt sich vor Ort dafür ein, dass Rechtspopulismus in der Kirche keinen Platz hat. Das ist leider schwieriger, als man meinen möchte. Ich wünschte mir noch mehr Verständnis und Unterstützung auch der Kirchenleitung für so engagierte Gemeindemitglieder. Ich habe mich in jedem Fall gefreut, miterleben zu dürfen, wie ein so deutliches Zeichen gesetzt wurde gegen Intoleranz und Rechtspopulismus. Zentrale Botschaften des Christentums sind Barmherzigkeit und Nächstenliebe, nicht Hass und Hetze. Schön, wenn sich wie in Ihlow diese beiden Aussagen verzehnfacht verbreiten – vollkommen unabhängig von Religion oder Weltanschauung.“
Die 300 Menschen sind auch ein Zeichen dafür, dass Engagement eben doch wertgeschätzt wird. Vielleicht nicht von den Kirchenoberen, aber immerhin von denjenigen, um die es wirklich geht: diejenigen Gemeindemitglieder, die an eine weltoffene und tolerante Kirche glauben. Und zwar nicht nur in Berlin, sondern auch im ländlichen Brandenburg.