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„Klänge des Verschweigens“ Musik an der Grenze zum Tod

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Häftlingsorchester des KZ Mauthausen spielt vor einer Hinrichtung (Quelle: Klänge des Verschweigens )

Schon als Kind hatte Stanjek gemerkt, dass da etwas ist, was er noch nicht über seinen Onkel weiß. Den „Geheimnisonkel“ nannte er ihn immer. Zu dessen 90. Geburtstag gibt es Aufklärung: Das Wort „Lager“ fällt. Stanjek stockt der Atem − KZ? Was war passiert und warum hatte der damals 40-Jährige bis dato noch nie von diesem einschneidenden Erlebnis gehört?

Die Familie schweigt

Nachfragen bei der Familie fallen nicht auf fruchtbaren Boden. „Wir wollen darüber nicht sprechen“, sagt seine Mutter. Seine Familie war tiefer in den Nationalsozialismus verstrickt, als es dem Regisseur lieb ist. Die eigene Mutter mit einer Vergangenheit als Obergauführerin, dem höchsten möglichen Rang innerhalb des Bunds Deutscher Mädel, meint, „der Willi hätte es wegen der Musik ja gar nicht so schlecht gehabt“.

Klaus Stanjek lädt seinen Onkel zu einer Fahrt in dessen Heimatort Altena (Westfalen) ein. Auf der Reise fragt er ihn, was damals mit dem „Lager“ gemeint gewesen wäre. Der Onkel erzählt von seiner frühen Liebe zu Männern, deutet die rechtlichen Konsequenzen an − über Genaueres aus dem Konzentrationslager schweigt er. Acht Jahre Haft, die eine Grauzone bleiben. Ob er nicht einen Film machen wolle, fragt Klaus Stanjek ihn. Der Professor für Dokumentarregie an der Uni Potsdam möchte diese Geschichte nicht unbearbeitet lassen. „Nicht solange ich lebe“, ist der Wunsch des Onkels. Willi Heckmann, der mit 68 Jahren noch eine Frau heiratete, fügt sich auch so viele Jahrzehnte später dem indoktrinierten Gebot des Verbergens.

Ein langwieriges Puzzlespiel

„Klänge des Verschweigens“ ist ein Film voller Fragezeichen und Lücken, eine biografische Annäherung in Form einer detektivischen Dokumentation, entstanden ohne die Hilfe derer, die noch leben. Viele Dokumente sind verloren oder vernichtet worden, wenige Zeitzeugen geben unsichere Informationen. Nur weniges ist sicher: Acht lange Jahre verbrachte Willi Heckmann in den Konzentrationslagern Dachau und Mauthausen, markiert mit dem Rosa Winkel. Seine Musik machte er auch in Gefangenschaft, gründete die erste Häftlingskapelle  − und überlebte. Die SS scheint seine Dienste geschätzt zu haben und machte ihn zum Komplizen bei der Aufrechterhaltung einer scheinbaren Normalität im KZ. Der Film arbeitet viel mit Fotografien, die glücklicherweise reichlich erhalten sind. Eine von ihnen zeigt die besagte Häftlingskapelle im Einsatz. Stanjek fragte sich immer, warum Onkel Heckmann so ernst guckte, während er spielte. Die unzensierte Version der Aufnahme gibt Aufschluss: Die Musiker wurden gezwungen an der Spitze eines Zuges zu spielen, der einen jungen KZ-Flüchtling am Galgen hängend durchs Lager zieht.

Homosexuelle im KZ – Ein übersehenes Verbrechen

Stanjeks ruhige Stimme leitet den Zuschauer durch den Film, beschreibt seine Suche in Archiven, Gesprächen mit Überlebenden, zeigt kurze Interviewausschnitte mit Verwanden. Er teilt die immer wieder frustrierenden Punkte, an denen es einfach kein Weiterkommen gibt. Die Zeit im KZ ist kaum zu rekonstruieren. Ein Überlebender erinnert sich, dass sein Onkel mit einem Trio bei SS-Geburtstagsfeiern im Offizierskasino auftreten musste. Richard Wagner oder Verdi waren dann beliebt, wenn NS-Größen wie Heinrich Himmler die Anlage besuchten.

Der Film ist ein persönliches Zeugnis geworden. Stanjek lässt teilhaben an seiner Suche nach einer unmenschlichen Wahrheit. Er erzählt von seinen Zweifeln, als ihm nahegelegt wurde, dass die Verurteilung des Verwandten wegen eines Verstoßes gegen Paragraph 175, der damals mit Kindesmissbrauch gleichgesetzt wurde, erfolgte. Willi Heckmanns Lebensgeschichte wird durch ihre Unvollständigkeit zum Mahnmal für viele ähnliche Schicksale. Die systematische Verfolgung von Homosexuellen mit Hilfe der schon in der Weimarer Republik angefertigten „Rosa Liste“ und einer auf Vernichtung ausgelegten Rechtsprechung ist auch heute nur bedingt im Fokus der Öffentlichkeit. „Klänge des Verschweigens“ hilft, diese Stille endlich zu brechen.

Service:

Da der Film bis dato keinen Verleih gefunden hat, gibt es nur unregelmäßige Vorstellungen.

Infos zu Vorführungen, weiterführende Texte und viel Bildmaterial gibt es unter: www.klaenge-des-verschweigens.de, sowie auf der Facebook-Seite zum Film.

Knut Elstermann hat Klaus Stanjek im Radioeins-Filmmagazin interviewt. Das Interview kann man in der ARD Mediathek nachhören.

Wilhelm Heckmann auf einer Bühne (Ort unbekannt) mit zwei Show-Tänzerinnen (Foto im Privateigentum von Klaus Stanjek/ Potsdam erhalten aus dem Heckmann-Nachlass)

 

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