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Klassismus Was geht in der Offenen Jugendarbeit in Zeiten des Coronavirus?

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(Quelle: Kira Ayyadi)

In Berlin gibt es mehr als 400 Jugendfreizeiteinrichtungen, in denen Jugendliche nach der Schule Tag für Tag gemeinsam chillen, Musik hören, kickern oder Billard spielen, PlayStation zocken, sich die neusten Musikvideos auf ihren Handys anschauen und einfach abhängen. Oft unterschätzt und nicht gesehen, sind diese Räume wichtige informelle Lern- und Bildungsräume für Kinder und Jugendliche, in denen ihre Themen im Mittelpunkt stehen und sie sich sowohl untereinander als auch auf Augenhöhe mit den Jugendarbeiter*innen austauschen können.

Fachpädagog*innen unterstützen die Jugendlichen – angefangen bei der Hausaufgabenbetreuung über gemeinsame Diskussionen mit Blick auf aktuelle Nachrichten und Geschehnisse in der Welt bis hin zu beratenden Gesprächen, wenn mal wieder Streit im Freundeskreis angesagt ist. Gleichzeitig sind Jugendarbeiter*innen immer wieder auch wichtige Ansprechpartner*innen für die Jugendlichen, wenn es um die Schullaufbahn, eigene Stärken und Schwächen und auch um Themen wie häusliche Gewalt geht. Sie sind Kontaktpersonen zu Schutzeinrichtungen und anderen Anlaufstellen.

Aber was passiert in Zeiten wie diesen, wenn Jugendclubs geschlossen werden und eben solche Räume fehlen? „Jugendarbeiter*innen sind vor dem Hintergrund ihres besonderen Bildungsauftrages gerade jetzt sehr aktiv – mit digitalen sowie weiterhin analogen Angeboten. Zum Beispiel werden Gaming-Sessions gestartet, digitale Sprechstunden angeboten oder kleine Filme auf Instagram hochgeladen. Es ist ein breites und kreatives Angebot, dass gerade vor allem in der digitalen Jugendarbeit entsteht“ erzählt Jenny Hübner, jahrelang Jugendpolitikerin und Mitbegründer*innen der Landesarbeitsgemeinschaft Offene Kinder- und Jugendarbeit (LAG OKJA) Berlin.

Die Landesarbeitsgemeinschaft Offene Kinder- und Jugendarbeit schafft neue digitale Räume

Die Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Berlin gründete sich im Dezember 2019 und versteht sich als solidarische und emanzipatorische Interessengemeinschaft für die Offene Kinder- und Jugendarbeit in Berlin. „Wer, wenn nicht die Kinder- und Jugendarbeit, hat die Möglichkeit, den Blick auf die Jugendlichen richtigzustellen – nicht defizitär, sondern emanzipatorisch?!“, so Hübners Überzeugung. Im Rahmen der LAG organisieren von Fachpädagog*innen für Fachpädagog*innen verschiede digitale Infochannels und Panels, die wöchentlich unterschiedliche Themen behandeln. Die Themen reichen von „Coronavirus und Mädchen*/gender*sensible Arbeit“ über „Methoden und Werkzeuge digitaler Jugendarbeit“ bis hin zu „Work-Life-Balance in Zeiten des Coronavirus“ – denn plötzlich sind viel mehr Jugendarbeiter*innen auf ihren Diensthandys oder sogar in vielen Fällen auf ihren privaten Mobilgeräten rund um die Uhr zu erreichen sind.

Als zentraler digitaler Raum ist die LAG eine Austauschplattform für Fachpädagog*innen, die sich derzeit vorrangig mit der Frage beschäftigen, wie Jugendliche in Zeiten der Kontaktsperre erreicht werden können und auf welche Weise Jugendarbeit in der jetzigen Situation überhaupt möglich ist. Denn die Jugendarbeit muss weitergehen, weil sie eine wesentliche gesellschaftliche Funktion hat. „Welche Räume existieren in unserer Gesellschaft, in denen mit Jugendlichen ernsthaft auf Augenhöhe gesprochen wird und deren Lebensrealitäten im Mittelpunkt stehen – auch in Zeiten des Coronavirus?“  begründet Jenny Hübner das Engagement für digitale Formate – obwohl dies auch Problematiken mit sich bringe „Aufgabe von Sozialer Arbeit ist es, den Zugang zu digitalen Teilhabe kritisch zu überprüfen. Eines der wichtigsten Prinzipien von Jugendarbeit ist die Offenheitsmaxime. Wie im analogen Setting sollten daher möglichst alle jungen Menschen an digitaler Jugendarbeit teilhaben können. Dass dies nicht der Fall ist, belegt die derzeitige Empirie aus der Praxis. Verschiedene, zum Teil in Vergessenheit geratene Differenzkategorien verlagern sich wieder vermehrt in unser Sichtfeld, auch innerhalb der sozialpädagogischen Praxis. Einige Jugendliche werden durch die Kinder- und Jugendclubs derzeit nicht erreicht– auch weil digitale Teilhabe durchaus voraussetzungsvoll ist. Aber um welche Jugendliche handelt es sich dabei genau? Dieser Frage sollte nachgegangen werden, um in der Handlungspraxis konkrete Lösungen für klassismusstiftende Herausforderungen herbeizuführen. Andererseits braucht diese Auseinandersetzung ein intersektionales Bewusstsein, um eben nicht allein in stereotypisierten Gruppen und Differenzkategorien wie Alter oder Geschlecht, sondern ganzheitlich zu denken“, erklärt Hübner weiter.

Zusammenarbeit LAG und ju:an-Praxisstelle: Vertiefungen zu aktuellem Rassismus und Antisemitismus

Die ju:an-Praxisstelle antisemitismus- und rassismuskritische Jugendarbeit der Amadeu Antonio Stiftung hat bereits drei Panels gestaltet, in denen über verstärktes Racial Profiling in Zeiten des Coronavirus, über die gegenwärtige Verbreitung von Verschwörungsmythen über die Herkunft des Virus informiert und mit einem Sozialarbeiter der Familienhilfe über die Erfahrungen in den vietnamesischen Communities mit antiasiatischem Rassismus gesprochen haben. In den Panels werden gemeinsam Herausforderungen diskutiert, Lösungsansätze besprochen und Tipps ausgetauscht. Dies entspricht dem Ansatz der Praxisstelle, im Austausch mit pädagogischen Fachkräften und Multiplikator*innen die Anliegen der Jugendarbeit aufzugreifen und Angebote zur Sensibilisierung und Fortbildung über Rassismus, Antisemitismus und andere Diskriminierungen, Feindlichkeiten und Ungleichheitsverhältnisse möglichst bedarfsorientiert zusammenzustellen.

Wie stark Jugendliche aus benachteiligten Verhältnissen beispielsweise durch Homeschooling abgehängt waren, wurde medial bereits vielfach diskutiert und geht auch nicht spurlos an der Jugendarbeit vorbei. Die LAG Berlin thematisiert das auf ihrer Facebook-Seite: „Homeschooling auf Mamas MacBook? Oder zwischen Kochtopf und nörgelnden Geschwistern? Unterricht für zu Hause ist nicht für alle gleich. #dasistklassismus“ und unterstützt den Protest des Landesschülerausschusses Berlin gegen die geplanten Abiturprüfungen, die trotz Unterrichtsausfall stattfinden sollen. Die Schließung von Offenen Kinder- und Jugendclubs wurde bisher gar nicht in der Öffentlichkeit problematisiert und es stellen sich die Fragen: Was kann die Jugendarbeit unter diesen Bedingungen leisten und welchen Schwierigkeiten sehen sie sich ausgesetzt? Welche Mittel stehen zur Verfügung, wenn es darum geht, Kinder und Jugendliche in einer solchen Situation angemessen zu unterstützen?

Jugendarbeiter*innen spielen eine wichtige Rolle in der individuellen und bedarfsorientierten Unterstützung und Hilfestellung für Kinder und Jugendliche in ihren Lern- und Entwicklungsprozessen. Darüber hinaus sind es in vielen Fällen kulturelle sowie niedrigschwellige Angebote, die in der Lage sind, den Kindern und Jugendlichen einen ganz anderen Zugang zu Bildung zu ermöglichen und ihnen kognitive Fähigkeiten vermitteln, die ihnen auch im Schulalltag zugutekommen. Jetzt engagieren sich Jugendarbeiter*innen auf digitalem Wege, um Hausaufgaben zu besprechen, kulturelle Angebote vorzubereiten und in schwierigen Lebenslagen Kinder und Jugendliche zu unterstützen. Aber Fakt ist: Wer weder Zugriff auf ein Handy noch einen Computer hat oder keinen Schreibtisch, bleibt ausgeschlossen und wird systematisch abgehängt. Und das ist oft nicht nur Klassismus. Aufbauend auf der engen Verknüpfung zwischen sozialer Herkunft, familiärer Migrationsgeschichte und kulturalisierenden Zuschreibungen, die in Deutschland besteht, gilt hier oft auch: #dasistrassismus

https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/projekte/juan-praxisstelle/

 

Jennifer Hübner promoviert zur Kinder- und Jugendarbeit und arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiter*in an der Alice-Salomon-Hochschule Berlin

Berivan Köroğlu ist eine Kollegin der  ju:an-Praxisstelle antisemitismus- und rassismuskritische Jugendarbeit, ein Projekt der Amadeu Antonio Stiftung, das Beratungen und Fortbildungen zu den Themenfeldern Antisemitismus und Rassismus für Jugendarbeiter*innen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit anbietet und Projekte für und mit Jugendlichen entwickelt. Mit einer Reihe von Blogeinträgen bei Belltower.News wollen wir einen Blick auf die Jugendarbeit werfen und von der aktuellen Praxis in der Coronavirus-Pandemie berichten. Im Mittelpunkt stehen Fragen rund um Anti-/Diskriminierung und den Umgang damit. Wir starten mit einem Beitrag, in dem wir erst einmal vorstellen, was die Offene Jugendarbeit hauptsächlich macht und was die unmittelbaren Auswirkungen der Pandemie sind.


ju:an goes Belltower.News

Auf Belltower.News veröffentlicht die ju:an-Praxisstelle antisemitismus- und rassismuskritische Jugendarbeit Beiträge, in denen sie Stimmen von Expert*innen zu einem Thema rund um Rassismus, Antisemitismus und Corona einholt.

  • Den Start macht Jenny Hübner, eine Mitbegründerin der Landesarbeitsgemeinschaft Offene Kinder- und Jugendarbeit Berlin: Was ist überhaupt digitale Jugendarbeit, welche Herausforderungen gibt es und wo kommen ungleiche Voraussetzungen zum Tragen?
  • Weiter geht es mit Teresa Fischer und Micky Patock, Straßensozialarbeiter:innen bei Gangway e.V. zu dem Problem: Wenn Jugendliche von Racial Profiling betroffen sind.
  • Kimiko Suda von korientation e.V. stellt das Projekt Media Empowerment für German Asians vor, das zum Ziel hat, Asiatische Communities in Deutschland sichtbarer zu machen und Jugendliche in ihrem Selbstaustdruck zu stärken.
  • Yael Michael und Yonatan Weizman von „Shalom Rollberg“ stellen ihr Projekt vor, das sich der Arbeit gegen Rassismus und Antisemitimus im Kontext von Freizeitangeboten, Hausaufgabenhilfe und Aktivitäten für Austausch und Begegnung in einem überwiegend von Muslim:innen bewohnten Kiez widmet.
  • Mit Georgi Ivanov und Eileen König sprechen wir über Amaro Foro, eine Organisation von Roma:Romnja und Nicht-Roma:Romnja, über Empowerment von Jugendlichen und ihre Beratungs- und Unterstützungarbeit mit Jugendlichen und Erwachsenen.
  • Jouanna Hassoun von Transaidency e.V. berichtet von den rassistischen Diskriminierungen, die viele Familien nicht nur unter Pandemiebedingungen in der Schule erfahren.
  • Über die Bedeutung der Mädchen*arbeit gerade in Zeiten, in denen der öffentliche Raum beschränkt wird, unterhalten wir uns mit Vivien Bahro und Sevim Uzun aus der Schilleria.
  • Marina Chernivsky stellt die Arbeit der Beratungsstelle für Betroffene antisemitischer Gewalt OFEK vor und geht auch darauf ein, welche Veränderungen im Antisemitismus in der Pandemie sofort sichtbar wurden.

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juan

„juan-Praxisstelle“ Jugendarbeit muss antisemitismuskritisch rassismuskritisch und empowernd sein

Die „ju:an-Praxisstelle antisemitismus- und rassismuskritische Jugendarbeit“ der Amadeu Antonio Stiftung engagiert sich bereits seit vielen Jahren dafür, die Be- und Aufarbeitung von menschenfeindlichen Ideologien, insbesondere von Antisemitismus und Rassismus, als Querschnittsthemen in der Kinder- und Jugendarbeit zu verankern. Ausgehend von der jahrelang gesammelten Expertise und den Erfahrungen der »ju:an«- Praxisstelle möchte die Stiftung alle pädagogischen Fachkräfte und Multiplikator*innen ermutigen, klare Haltung gegen Antisemitismus und Rassismus zu zeigen und betroffene Jugendliche zu stärken.

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