89 Maßnahmen, das war schon bei der ersten Veröffentlichung der geplanten Maßnahmen der Bundesregierung gegen Rechtsextremismus im Kabinettsausschuss zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus (Nov. 2019) eine interessante Zahl. Sie rührt aus der Tatsache, dass sich im Maßnahmenkatalog Dinge finden, die verschiedene Ministerien schon länger geplant hatten, aber auch weitere Ideen, die oft nur mit wenigen Stichworten skizziert worden sind (vgl. Belltower.News (Artikel), bundesregierung.de (Artikel), alle 89 Maßnahmen im Überblick genannt hier im PDF). Das Bundesinnenministerium kümmert sich u.a. etwa um Verfassungsschutzrecht, beauftragt Lageberichte zu Rechtsextremismus in Sicherheitsbehörden und im öffentlichen Dienst und baut Förderprogramme im Bereich der Erwachsenenbildung aus. Das Auswärtige Amt arbeitet zu Kolonialismus-Aufarbeitung, zur Bekämpfung von Rechtsextremismus durch kulturelle Programmarbeit im Ausland oder durch strategische Kommunikation zu Desinformation und Verschwörungsideologien in Europa (u.a.). Das Bundesministerium für Justiz beschäftigt sich u.a. mit der Strafbarkeit von Feindes- und Todeslisten, der Bekämpfung von Hass im Netz und Stärkung des Opferschutzes oder mit der Neuformulierung des Art. 3 Grundgesetz, um dort den Begriff „Rasse“ zu ersetzen. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales bekämpft „Extremismus in der Arbeitswelt“. Das Bundesfamilienministerin erweitert und stärkt u.a. die Präventionsarbeit und politische Bildungsarbeit, will den fachlichen Austausch und die Zusammenarbeit zwischen Zivilgesellschaft und Sicherheitsbehörden stärken und setzt sich für die Modernisierung des gesetzlichen Kinder- und Jugendmedienschutzes ein.
Neue Maßnahmen oder nur neue Verpackung?
Aber sind das nun wirklich stärkere Schritte nach vorn, oder werden hier nur bereits beschlossene Maßnahmen neu verpackt? Und wie ist der Stand der Umsetzung? Das wollte die „Linke“-Politikerin und Bundestagsabgeordnete Martina Renner mit einer kleinen Anfrage herausfinden, deren Antworten nun Belltower.News exklusiv vorliegen.
Allerdings sind die Antworten größtenteils nicht sehr konkret und bleiben oft auf der Ebene von „Es läuft“. Im „Frühjahr 2021“ sollen alle Ressorts konkretisiert haben, welche Maßnahmen sie planen – dann wird die Öffentlichkeit per Bericht informiert. Zivilgesellschaft sei in der Maßnahmenplanung einbezogen gewesen, allerdings wird nicht erläutert, inwieweit dies geschah, ob es etwa mehr Teilnahme gab als die Aufforderungen, schriftliche Stellungnahmen abzugeben. Wer wurde einbezogen? „Expert*innen“, sagt der Bundestag. 45 Menschen aus „Zivilgesellschaft“ und „Migrantenorganisationen“, dazu 12 Wissenschaftler*innen seien es gewesen – ein Verweis darauf, wo die betreffenden Organisationen und Personen gelistet sind, fehlt. Eine Dokumentation solle folgen, heißt es lapidar in den Antworten. Andererseits heißt es an anderer Stelle, es gäbe zwar „schriftliche Stellungnahmen“, die würden aber nicht veröffentlicht.
Die Frage, welche Maßnahmen denn wirklich unter dem Eindruck der Attentate von Halle und Hanau dazu gekommen sind, also neu konzipiert wurden und damit die Arbeit gegen Rechtsextremismus über das langfristig geplante Maß verstärken, bleibt unbeantwortet. Die Bekämpfung von Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus sei „eine politische Daueraufgabe“.
Für die Maßnahmen, so war es angekündigt, soll 1 Milliarde Euro zur Verfügung stehen. Das klingt zwar nach viel Geld, ist allerdings bei genauerer Betrachtung keine Aufstockung der bisherigen Verhältnisse. Vielmehr hat dafür das BMF einfach die Finanzmittel zusammengezählt, die in verschiedenen Ministerien für die Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus in den Jahren 2021 bis 2024 bereits eingeplant sind. Lediglich in 2021 kommen 150 Millionen Euro aus dem Bundeshaushalt hinzu, die sich in den nächsten zwei Folgejahren jeweils um mehr als die Hälfte reduzieren und dann im vierten Jahr bei Null Euro angelangt sind.
Ist das die Zäsur im Handeln gegen Rechtsextremismus und Rassismus, die sich Angehörige der Opfer wünschen? Wenn der Abschlussbericht des Kabinettausschusses vorliegt, wird dieser dann aufgelöst, es ist kein Nachfolgegremium geplant, das etwa Maßnahmen zwischen den Ministerien und Ressorts koordinieren könnte. Schade, das klingt wie eine vertane Chance.
Und das Demokratiefördergesetz?
Und was ist mit dem Demokratiefördergesetz, das ebenfalls versprochen wurden und erfolgreiche Arbeit gegen Rechtsextremismus verstetigen und effektiver machen soll als die derzeitige Praxis der modellhaften Projektarbeit? Da säßen das Innenministerium und das Familienministerium dran, lautet die Antwort des Bundestages. Die beiden Ministerien seien zwar noch nicht mit der Arbeit fertig, aber einen Gesetzesentwurf solle es „noch in dieser Wahlperiode“ geben. Nun, die ist nicht mehr lang.
„Leider sind die Aussagen über die inhaltliche und finanzielle Umsetzung der Maßnahmen immer noch sehr vage“, stellt Martina Renner angesichts der Antworten auf die „Kleine Anfrage“ (BT-Drucksache 19/26461) fest, die in der kommenden Woche veröffentlicht werden. Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung, sieht die Notwendigkeit, nun die Welt der Absichtserklärungen zu verlassen und zu handeln: „Es kommt jetzt darauf an, die vorgelegten 89 Maßnahmen gegen Rassismus und Rechtsextremismus auch umzusetzen – anders als die vielen Empfehlungen der NSU-Untersuchungsausschüsse im Bund und in den Ländern. Vermissen lässt das Maßnahmenpaket allerdings eine Gesamtstrategie und das klare Ziel, rechtsextremen Tätern das Leben schwer zu machen, Racial Profiling wirklich zu beenden, antisemitischen Verschwörungserzählungen gezielt entgegenzutreten – und die Umsetzung dieser Strategie auch zu kontrollieren.“
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