„Vernichtet Pädo-Freaks!“, fordern Demonstrierende lauthals, als sie im März 2023 durch die australische Metropole Melbourne marschieren. Eine Kundgebung von Let Women Speak findet statt. Rund 400 Frauen, meist bürgerliche Damen mittleren Alters, nehmen teil. Karens, wenn man so will. Geleitet und gelenkt werden sie von der britischen Populistin Kellie-Jay Keen-Minshull. Bei Keen-Minshull und den Angehörigen ihres Aktionsbundes handelt es sich genauer genommen um TERFs. Das Akronym steht für trans-exclusionary radical feminists, also radikale Feministinnen, die sich per definitionem für den Ausschluss von trans* Personen einsetzen.
Wie aus dem Nichts kommen drei Dutzend schwarz gekleidete Männer dazu. Etliche treten vermummt in Erscheinung oder tragen Sturmhauben. Es sind Mitglieder des National Socialist Network, und sie zeigen wiederholt den Hitlergruß.
Die Provokationen rufen sogleich eine viele größere Gegendemonstration auf den Plan. Bald setzt die Polizei Pfefferspray ein, jedoch auffälligerweise eher gegen queere und antirassistische Protestierende. Lidia Thorpe, die erste indigene Senatorin Australiens und eine Unterstützerin der Trans-Community, wird in dem Gedränge von Sicherheitskräften zu Boden geworfen. Eine Regenbogenflagge und ein mit „Trans Lives Matter“ beschriftetes Banner werden mutwillig zerfetzt, während Sieg-Heil-Rufe ertönen. Juristische Beobachter*innen werfen den Beamten vor, die Neonazis absichtlich gewähren lassen zu haben.
Auch als die Lage immer unübersichtlicher wird, bleibt eine Sache kristallklar: Die Polizei muss die TERFs und die Neonazis gar nicht voneinander trennen. Denn diese zwei Gruppierungen gehen nicht aufeinander los, sondern treten gemeinsam auf, im Schulterschluss miteinander verbunden. Als Geschwister im Geiste agitieren sie gegen trans* Menschen. Einige der TERFs posieren sogar wie grinsende Fangirls für Selfies mit den Neonazis, die Hakenkreuz-Tätowierungen und andere White-Power-Symbole stolz zur Schau stellen.
Eine Ausnahmeerscheinung? Von wegen. Viele von uns in der Transgender-Community warnen seit Jahren vor dem Liebäugeln zwischen TERFs und Rechtsradikalen. Es sind keine Hirngespinste. Es geht um Hassposts im Internet, es geht um Handgreiflichkeiten auf offener Straße. Ob in Australien, hier in Europa oder in Nord- und Südamerika: transfeindliche Feminist*innen erdulden, ermöglichen und ermutigen die zweckgebundene Zusammenarbeit mit Faschist*innen.
Erst recht als Schwarze trans* Frau und Queer-Feministin bekomme ich diesen Zorn am eigenen Leibe zu spüren. Vor allem dann, wenn ich gedenke, in meinen Kolumnen, in Vorträgen oder im ÖRR-Fernsehen Kritik zu üben, beispielsweise gegen die „genderkritischen“ Haltungen von J.K. Rowling oder Alice Schwarzer. Zum Glück finde ich dabei weitgehend Zuspruch. Viele Herzchen, viele hochgestreckte Daumen. Die Solidarität ist also da, die Neugierde sowieso. Wir trans* Personen faszinieren Menschen, sind aber auch Feindbilder.
Die menschenverachtenden Bemerkungen von erklärten „Radfems“ (Radikalfeminist*innen), sprich TERFs, die mich ins Visier nehmen, reißen freilich nicht ab. Manche entstammen Bots mit anonymen SIM-Karten, andere Hassende brüsten und blamieren sich unter Klarnamen. Häufig muss die Kommentarfunktion ausgeschaltet werden, was auf offener Straße wiederum keine Option ist. Ebenda im Freien, wo Knigge, die Netiquette & Co. eh nicht gelten, zeigen die Antagonist*innen nicht die geringste Hemmung, das N-Wort in Kombination mit misogynen und anti-queeren Beleidigungen zu verwenden. Beim Berliner CSD erinnerte mich eine selbsternannte Feministin mit verspiegelter Sonnenbrille und süffisantem Schmunzeln daran, man hätte jemanden wie mich früher vergast.
Zweckehe ohne Scheidungsoption
Politics makes for strange bedfellows, so heißt es. Als Urheber des Satzes gilt der amerikanische Essayist und Jurist Charles Dudley Warner (1829 – 1900). Das Sprichwort ist allerdings die Abwandlung einer Redewendung, die William Shakespeare zugeschrieben wird. In Shakespeares Schauspiel Der Sturm (1611) bemerkt der havarierte Matrose Trinculo: „Die Not kann einen Menschen mit seltsamen Bettgenossen bekannt machen“. Angesichts der finsteren Wolken, die noch am Horizont lauern, entscheidet sich der ans Land gespülte Schiffbrüchige dafür, neben einem faul riechenden, scheinbar ruhenden Ungeheuer Schutz zu suchen.
Auch nach einem halben Millennium hat Shakespeares sinnstiftende Allegorie nichts an Aktualität eingebüßt. Gerade in der Politik kann der Kampf für ein bestimmtes Ziel Akteur*innen mit ansonsten divergenten Ansichten unter dieselbe Decke führen. Das Phänomen ist nicht inhärent bedenklich. Kompromissbereitschaft bildet sogar einen wesentlichen Bestandteil der Demokratie. Aber bei manchen in der Not geschmiedeten Annäherungen handelt es sich nicht lediglich um Kompromisse, sondern vielmehr um eine Kompromittierung von Werten.
Aufbruch und Abwege
Ende der 1960er Jahre, als die erste Welle des Feminismus verebbte, herrschte in der Frauenbewegung Aufbruchsstimmung: Teach-Ins, Tomatenwürfe, Tumulte. Die Zweite Welle brandete mitsamt weiblich geführten Medien auf. 1972 in den USA hob Gloria Steinem – heute übrigens ausgesprochene Freundin der Transgender-Community – das Magazin Ms. aus der Taufe. 1977 in Deutschland gründete Alice Schwarzer – damals noch nicht als transskeptisch aufgefallen – die Zeitschrift Emma. Allerdings war die soziale Gleichstellung durch die Behebung der geschlechtsspezifischen Diskriminierung nicht das einzige Ziel. Sexuelle und reproduktive Autonomie und die Unversehrtheit der Frauen wurden ebenfalls zu zentralen Forderungen.
Um den Schutzbedürfnissen des weiblichen Geschlechtes Rechnung zu tragen, verwendeten Vertreterinnen des Differenzfeminismus schon damals die Biologie als Mittel zur rasierscharfen Abgrenzung von Männern. Die banale und, ganz ehrlich, nachvollziehbare Entscheidung lief allmählich aus dem Ruder. Linksorientierte Sozialistinnen, die bislang auf Befreiung zugesteuert hatten, setzten den Kurs nunmehr auf Bevormundung und drifteten folglich in eine Rechtsströmung hinein. Es war die Geburtsstunde der TERFs.
Ende der 1980er Jahre fing die Dritte Welle an. Afroamerikanerinnen begehrten gegen den weiß dominierten Feminismus auf und besannen sich auf die Frauenrechtlerin und Ex-Versklavte Sojourner Truth (1797 – 1883) zurück, die den bürgerlichen – und rassistischen – Suffragetten ein halbes Jahrhundert voraus gewesen war. Die Schwarze Juristin Kimberlé Crenshaw stellte ihre Theorie der Intersektionalität auf, die sich mit Verknüpfungen zwischen verschiedenen Diskriminierungsformen befasst. Frauen jeglicher Couleur mischten mit. Die Philosophin Judith Butler erklärte in ihrem umwälzenden Buch Unbehagen der Geschlechter (1990), die Einteilung der Menschen in die beiden Kategorien „männlich“ und „weiblich“ sei nur ein Konstrukt, das eine vermeintlich, natürlich-biologische Tatsache als Vorwand missbrauche, um Herrschaft und Macht auszuüben.
Demagogie statt Diskurs, Intoleranz statt Inklusion
Für TERFs war die Diversifizierung des Mainstream-Feminismus ein Schlag ins Gesicht. Aber anstatt sich mit dem Diskurs zu befassen, wählten sie die Diktion der Demagog*innen. Intoleranz statt Inklusion. Mit rechten, christlichen Fundamentalist*innen bildeten sie eine unheilige Allianz. So war es nur eine Frage der Zeit, bis sie sich dann auch mit faschistischen und völkischen Denkansätzen anfreunden würden. Im Chor klagen sie über die „Verdrängung der echten Frauen und Männer“ aus öffentlichen Räumen und die „Gefährdung der Kinder“ durch trans* Menschen, obzwar trans* mitsamt nonbinären Personen, sehr großzügig geschätzt, höchstens fünf Prozent der Weltbevölkerung ausmachen. Hauptsache, populistische Panikmache.
Dass die Biologie immer noch herangeführt wird, um gegen das trans* Sein zu argumentieren, erinnert zudem an die Jahrhunderte lang geltende Pseudowissenschaft, auf der sowohl der Rassismus als auch der Sexismus basieren. Phänotypische bzw. geschlechtsspezifische Unterscheidungsmerkmale waren und sind die Basis für die strukturelle Benachteiligung jener, die von der Norm des weißen, cis-heteronormative Mannes abweichen. Transfeindlichkeit erweist sich überdies als unverschämt ableistisch.
Unter Feminist*innen bleiben TERFs eine kleine, aber aggressive Minderheit, auch wenn sie ihre Hoffnungen auf eine Hexendichterin aus Hogwarts und eine Tonangebende aus dem Tante-Emma-Laden hegen. Dabei betone ich, dass ich weder J.K. Rowling noch Alice Schwarzer vorwerfe, Zwischenfälle wie den TERF-Neonazi-Aufmarsch in Australien gutzuheißen. Aber irgendwie vermisse ich eine deutliche Distanzierung. Wie dem auch sei, obliegt es auch den Medien, der Politik, Polizei und Justiz, die demokratiegefährdende Natur der TERF-Ideologie ernster zu nehmen. Denn die Transfeindlichkeit, so verzweifelt sie nach wissenschaftlicher Legitimation auch sucht, ist auf Unterdrückung, Überwachung und den gewaltvoll artikulierten Anspruch auf moralische Überlegenheit bedacht.