Lang hielt die politische Beziehung zwischen CDU-Chef Friedrich Merz und seinem ehemaligen Stellvertretenden Mario Czaja nicht: nach nur eineinhalb Jahren hatten sich die beiden im Juli 2023 darauf geeinigt, „ihre Zusammenarbeit zu beenden“. Nachfolger soll der ehemalige Chef der Mittelstands- und Wirtshaftsunion Carsten Linnemann werden.
Der „Wirtschaftsexperte“ (Merz) solle den Parteichef dabei unterstützen, Wirtschaftsthemen mehr zum Schwerpunkt der Unionspolitik zu machen. Konkret könnte das bedeuten: eine menschenfeindliche Neoliberalisierung der Partei. Kräftig gespart werden soll bei den Sozialausgaben: „Die Politik der Gießkanne soll ein Ende haben“, so der Politiker über eine geplante Neuausrichtung des Grundsatzprogrammes der Partei, das Sozialeinsparungen von fünf Prozent vorsieht. Linnemanns neoliberales Menschenbild äußert sich auch in seiner Forderung von einem an die Lebenserwartung gekoppelten Renteneintrittsalter – was konkret eine Rente ab 70 Jahren bedeuten kann.
Des weiteren, so Linnemann in einem Gespräch mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland im Juni, „[sollten wir] für die Arbeitslosen, die eigentlich arbeiten können […] eine Jobpflicht einführen“. Ansonsten solle das ohnehin schon gerade in Zeiten steigender Lebenskosten kaum ausreichende Bürgergeld um 30 Prozent gekürzt werden. Diese Forderung Linnemanns ist de facto die nach Zwangsarbeit, was in einem Land, in dem ideologischer Arbeitsfetisch historisch eng mit der Geschichte von Antisemitismus und Nationalsozialismus verwoben ist, mindestens von historischer Ignoranz spricht.
Auch Klimaschutz-Maßnahmen sind für Linnemann eher zweitrangig. Dem Klimawandel möchte er mit „Technologieoffenheit“ entgegentreten. Dieser Begriff ist nichts anderes als eine leere Floskel, deren Inhaltslosigkeit noch einmal deutlich vor Augen tritt angesichts der Tatsache, dass die Union über Jahre hinweg eine progressive Klimapolitik aktiv blockiert hat.
Wie viele konservative Politiker bedient er den gerade im Rahmen der Corona-Pandemie – zum rechten Schlagwort verkommen Begriff der „Eigenverantwortung“. Es dürfte keinen Staat mehr geben, der seiner eigentlichen Aufgabe nachkommt, seine Bürger*innen zu unterstützen und Verwaltungsaufgaben zu übernehmen. Dies bezeichnet Linnemann polemisch als „Bevormundung“; dem gegenüber stellt er ein projektiv aufgeladenes Konzept der „Eigenverantwortung“. Klingt erstmal ganz vernünftig – muss aber im kontemporären politischen Kontext gelesen werden, der von einem aggressiven „autoritären Liberalismus“ geprägt ist. Dieser appelliert an einen reaktionären Freiheitsbegriff, der auf Rücksichtslosigkeit basiert und Solidarität Schwächeren gegenüber direkt als Einschränkung und persönlichen Angriff begreift.
Die fragwürdige Strategie der Union, den in antidemokratischen Ressentiments, Rassismus und Antifeminismus begründeten Aufstieg durch das Bedienen der exakt gleichen Niedertracht einzudämmen, findet sich nicht nur bei Merz, sondern auch bei seiner neuen rechten Hand. 2017 entwarf Linnemann mit unter anderem Julia Klöckner und Jens Spahn den Gesetzesentwurf für ein „Islamgesetz“, das eine Registrierung von Moscheen vorsah.
Und was sagt Linnemann zu dem ehemaligen Verfassungsschutz-Chef Hans-Georg Maaßen, dessen komplettes politisches Programm aus brutalem Rechtspopulismus und dem Hass auf alles ansatzweise als „links“ und „woke“ Verschriene besteht? Und der keinerlei Probleme hat, was die Kooperation mit dem rechten Rand angeht?
„Selbstverständlich gehört Hans-Georg Maaßen zur CDU. Ich schätze ihn etwa als Fachmann, der nicht etwa einen Rechtsruck vorantreibt, wie manche meinen, sondern den Rechtsstaat durchsetzen will. Danach sehnen sich viele Menschen in Deutschland.“ Also: ein autoritärer Rechtsstaat nach dem Gusto des regelmäßig rassistisch und verschwörungsideologisch sich äußernden Maaßens ist gut, ein Sozialstaat, der für Bildung, Kultur, finanzielle Grundsicherung und generell ein halbwegs menschenwürdiges Leben zuständig sein sollte, ist Bevormundung.
Die politische Ausrichtung der Union ist für Linnemann ziemlich eindeutig: „Die Grünen sind am weitesten von uns entfernt“, so der Politiker in einem Interview – und nicht die AfD.
Annäherung statt Brandmauer
Nicht nur ideologisch nähert sich die Union an die AfD an, sondern auch ganz konkret und immer wieder auf der realpolitischen Ebene. Gerade in Sachsen stimmen AfD und CDU immer wieder auf Kommunalebene gemeinsam ab. Die Heinrich Böll-Stiftung dokumentiert diese Fälle akribisch, hier sind einige Beispiele: Im Dezember 2022 hatte die CDU einem Antrag der AfD zugestimmt, in dem es darum geht, Integrationsleistungen für ausreisepflichtige ausländische Staatsbürger zu streichen.
In Plauen setzten sich CDU, AfD und der neofaschistische „III. Weg“ gemeinsam für die Streichung der Gelder des „Bündnis für Demokratie, Toleranz und Zivilcourage“ ein. Die Junge Union in Thüringen war sich nicht zu schade, dem AfD-Bürgermeister der Stadt Sonneberg via Twitter zu gratulieren – auch wenn der Tweet nach umfassender Kritik inzwischen gelöscht worden ist. Und die sächsische CDU hat erst vor wenigen Tagen beschlossen, dass in städtischen Betrieben nicht mehr gegendert werden dürfte – ein Gesetz, das auf einen Antrag der AfD zurückgeht.
Gerade was den Kampf gegen alles Feministische, Queere, Linke, Progressive angeht, finden also Union und AfD immer häufiger zusammen. Und wo das politisch hinführen kann, hat die deutsche Geschichte bereits gezeigt.