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Kommentar Demokratie auf Knopfdruck?

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Anetta Kahane ist Vorsitzende des Vorstands der Amadeu Antonio Stiftung (bis Ende März 2022); Foto: MUT

An einer dieser Anti-Nazi-Demos hat sogar unser Bundesinnenminister Friedrich teilgenommen! Ist das nicht alles großartig? Es gibt noch mehr gute Nachrichten: Das Verwaltungsgericht Dresden hat die Extremismusklausel für rechtswidrig erklärt; das AkuBiZ hatte dagegen Klage eingereicht, weil ihnen ohne die Unterschrift die Zuwendung verweigert wurde. Das Urteil ist ein gutes Zeichen, es zeigt: wir leben in einem Rechtsstaat. Hier gibt es Meinungs- und Versammlungsfreiheit und eine unabhängige Justiz, alles Zeichen für Demokratie. Nun hoffen wir, dass die Politik auch reagiert und die Klausel abschafft, so wie sie auch verstanden hat, dass gegen Nazis zu demonstrieren, sie gelegentlich auch zu blockieren, kein krimineller Akt ist, sondern ein Statement zum Schutz der Verfassung.

Und à propos Verfassungsschutz: es hat sich noch mehr getan in den letzten Wochen. Die parlamentarischen Untersuchungsausschüsse haben ihre Arbeit aufgenommen. Sie sollen klären, wie genau das Versagen von Polizei und Verfassungsschutz in verschiedenen Ländern bei der Zwickauer Zelle zustande gekommen ist. Ich war in Thüringen vorgeladen und muss sagen, dass ich sehr beeindruckt war! Zum einen von der offengelegten Inkompetenz des Thüringer Verfassungsschutzes und zum anderen von der Tatsache, dass und wie jetzt darüber verhandelt wird. Ehrlich gesagt, hätte ich das nicht erwartet, als ich Ende der 90er Jahre so viel mit den Thüringer Neonazis zu tun hatte. Damals gab es dagegen wenig engagierte Zivilgesellschaft und noch viel weniger engagierte Politik. Manchmal ist eine Gelegenheit wie der Untersuchungsausschuss auch für uns wichtig, weil wir so auch Fortschritte messen können! Da aber der Thüringer Verfassungsschutz nicht der einzige Versager im Fall des Rechtsextremismus war, wäre eine solche Klärung auch in anderen Bundesländern wichtig, die bisher ihre Defizite nicht oder noch nicht selbstkritisch unter die Lupe genommen haben. Es wäre eine echte Chance! Auch für Mecklenburg-Vorpommern oder Bayern. Vielleicht kann man das mal auf Demos fordern. Oder bei den eigenen Abgeordneten.

Viele Feindbilder verschwörerischer Art

In Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen stellen sich die Abgeordneten auch gerade wieder zur Wahl. Bei der Beurteilung der Parteien wäre es auch nicht verkehrt, mal nach deren Programmatik zu Rechtsextremismus zu fragen. Alle Parteien – nicht nur die Piraten. Sonst wirkt das selbstgerecht. Gewiss, die Piraten haben da einiges zu klären, aber andere Parteien auch. So fühlt sich die CDU Schleswig-Holsteins gerade in einer dänischen Weltverschwörung gefangen, weil die dänische Minderheit im Wahlkampf eine eigene Meinung zeigt. Das geht nach Ansicht der CDU gar nicht. Jedenfalls nicht, wenn nicht sie die Begünstigten in Koalitionsoptionen sind. Momentan scheint es so, dass der Konsens, die dänische Minderheit als solche auch zu respektieren ziemlich wackelt. Aber auch die anderen haben unter Verschwörungen zu leiden: Linke und Sozialdemokraten – nicht alle, aber viele – erklären, dass Günter Grass „Recht hat“. Und der meinte ja, er dürfe nicht sagen, was er sagte, weil eine Art jüdischer Lobby dies unter Strafe stelle. Die Dänen und die Juden hatten schon immer ein besonderes Verhältnis, nachdem die meisten der dänischen Juden von Dänen vor der Deportation durch die Nazis und damit vor dem sicheren Tod gerettet wurden. Kein Wunder also.

Feindbilder verschwörerischer Art gibt es derzeit viele. Auch sehr beliebt: „die da oben“! Die werden von Anhängern aller Parteien gerne genommen. Sogar von der NPD. Aber die wird ja bald verboten, wenn es nach den Volksparteien geht. Und dann ist ja alles gut. Dann braucht man keine Demos mehr und keine Extremismusklausel, keine Untersuchungsausschüsse oder anstrengenden Diskussionen über die Zustände in manchen Regionen. Dann gibt es auch keine Bedrohungen mehr von Nazis gegen Lokaljournalisten oder engagierte Bürger, keine Opfer rechter Gewalt oder irgendwelche lästigen Initiativen zur Straßenumbenennungen wie in Eberswalde, wo gefordert wird wenigsten ein Stück einer Straße nach Amadeu Antonio zu benennen. Das wollen „die Menschen“ ohnehin nicht, wie eine Gegeninitiative gerade meint. Man soll doch nicht immer an das Miese erinnern. Das sei zum Nachteil des Ansehens einer Stadt. Schade, eigentlich fanden wir immer, dass es jemandem zur Ehre gereicht, wenn er sich seiner Geschichte stellt.

So ist das nun mal mit der Demokratie: bei ihr gibt es keinen Knopf auf den man drückt und dann ist alles für alle Zeiten gut. Also: Weitermachen!

Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).

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