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Kommentar Demokratische Politiker*innen, bitte bleiben Sie im Netz!

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Noch ist Grünen-Chef Robert Habeck noch auf Twitter zu finden. Seine Stimme würde dort auch fehlen. (Quelle: Screenshot)

Von Simone Rafael

Immer wieder wollen demokratische Parteien von uns, dem Digitalbereich der Amadeu Antonio Stiftung, in der Beratungsarbeit wissen, warum die AfD in sozialen Netzwerken so stark ist (weil sie sich in der virtuellen Öffentlichkeit so ungestört ausbreiten können wie sonst nirgendwo und Anhänger*innen viel Platz zum Hass-Austausch bieten), und natürlich, was sie als demokratische Parteien tun können. Unsere Antwort fängt immer hiermit an: Die digitale Öffentlichkeit ernst nehmen. Social Media Accounts professionell betreuen und bespielen. Die Chancen der Netzwerkarbeit nutzen, also Inhalte setzen, Bindungen zu potenziellen Wähler*innen aufbauen, die eigenen Anhänger*innen bestärken und unterstützen.

Wenn der Hass zu groß wird

Politische Kommunikation in sozialen Netzwerken ist kein Zuckerschlecken, und wer, wie die Grünen, auf der Hass-Liste rechter Trolle ganz oben steht, muss deshalb besonders auf seine Mitarbeitenden achten, die dafür sorgen, dass Hasskommentare geblockt und vernünftige Diskurse gestützt werden. Die Arbeit in sozialen Netzwerken kann belastend sein, weshalb es etwa nie nur eine Person sein sollte, die einen Account betreut, und für die Betreuenden muss Beratung und, wenn nötig, professionelle Hilfe bereitstehen.

Es ist aber für die digitale Demokratie dringend notwendig, dass die demokratischen Parteien im Internet als Akteure wahrnehmbar sind. Schon jetzt nehmen antidemokratische Kräfte im Online-Diskurs zu viel Raum ein. Wer sich zurückzieht und diesen den Platz überlässt, beteiligt sich am Prozess der Normverschiebung hin zu antidemokratischen Positionen, die dann in Wahlergebnisse fließen, die unsere Leben in Deutschland massiv verändern können.

Andere Reaktionsmöglichkeiten

Natürlich hat sich nicht die Grüne Partei aus dem Internet verabschiedet, es ist nur ihr Vorsitzender Robert Habeck, der auf einem Blog-Beitrag seine Gründe dafür beschreibt, warum er sein Twitter und sein Facebook-Konto löscht. Er reflektiert seine Twitter-Nutzung, fühlt sich vom Medium zu Verkürzung getriggert und kündigt an, Social Media-Netzwerke zu verlassen. Persönlich ist es eine verständliche Entscheidung, vom Meinungssturm des Internets eine Pause zu brauchen. Denkbar wäre aber auch eine geänderte Nutzung, wie ein Vier-Augen-Prinzip auch für persönliche Tweets, Abnahme von Videos durch eine unabhängige Person oder Ähnliches.

Robert Habeck hat in den letzten Tagen einen Shitstorm erlebt wegen eines Videos, das verkürzt zusammengeschnitten und böswillig missinterpretiert wurde (vgl. Münchner Merkur). Es ist immer  eine massiv belastende Erfahrung, wenn sich virtuelle Wut, Hass und Spott über einem ergießen, schlimmstenfalls von allen Seiten, also von Feind*innen wie auch von eigentlichen Freund*innen, von denen es noch mehr schmerzt. Vor allem, wenn der Anlass so nichtig ist wie ein nicht ganz präzise gesprochener Satz in einem Twitter-Video. In einem solchen Fall ist es natürlich sinnvoll, erst einmal selbst vom Erlebten zurückzutreten, um es zu verarbeiten. Den Social Media-Account in Hände zu übergeben, denen man vertraut und sich nicht jeden geifernden Post selbst anzusehen. Um nicht den Zwang zu fühlen, darauf noch reagieren zu müssen, sondern das Menschen zu überlassen, die mit Distanz besser überlegt reagieren können als es einem selbst in einem Moment emotionaler Belastung möglich ist. Egal, wie schlimm ein Shitstorm ist: Er geht vorbei, und wenige Wochen später erinnert sich kaum eine*r  mehr daran.

Überlegte Nutzung – aber kein Rückzug

Habeck nennt allerdings noch einen zweiten Grund: Er war vom Doxxing-Datenleak betroffen, der viele Politiker*innen, Journalist*innen und Künstler*innen in den letzten Tagen getroffen hat: „Und da der Datenklau, der die persönlichsten Gespräche zwischen mir und meiner Familie jetzt auf alle Rechner der deutschen Tageszeitungen und jede Menge rechter Medien gebracht hat, maßgeblich über Facebook erfolgte, lösche ich meinen Account bei Facebook auch“, schreibt Habeck in seinem Statement. Diese Handlung ist emotional verständlich – die Erfahrung, dass persönliche Informationen gestohlen und öffentlich gemacht werden, ist beängstigend und verletzend. Es ist eine traurige Lehre, die sich aus dem Datenleak ziehen lässt, dass es für prominente Politiker*innen offenkundig sinnvoll ist, lieber keine privaten Bilder zu posten oder privaten Austausch auf Social Media zu führen, sondern die Accounts ausschließlich beruflich zu nutzen.

Das Internet als politischen Resonanzraum sollten sich allerdings gerade führende Politiker*innen nicht nehmen lassen. Sie müssen ihre Accounts ja nicht alleine und persönlich betreuen, sondern sollten sich ein Online-Kommunikationsteam zusammenstellen, das in Kompetenzen und  auch personell so ausgestattet ist, dass es die Vorteile der digitalen Kommunikation nutzen und die hasserfüllten Untiefen bewältigen kann, ohne dass sich Einzelne derart überwältigt sehen, dass die Account-Löschung als einziger Ausweg erscheint.

 

Mehr zum Umgang mit Shitstorms finden Sie hier:
https://www.belltower.news/was-tun-wenn-ich-auf-einen-shitstorm-reagieren-muss-78849/

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