– Warnung: Im Verlauf des Textes sind aus Dokumentationsgründen explizite Beispiele transfeindlicher, queerfeindlicher, rassistischer Instrumentalisierung zu sehen –
Beim Christopher Street Day in Münster wird ein 25-jähriger trans Mann zu Boden geschlagen, als er zwei Teilnehmenden der Parade helfen will, die von einem Mann lesbenfeindlich beschimpft werden. Er stirbt eine Woche später an seinen schweren Verletzungen. Statt Zeit für Trauer um Malte und darum, dass eine solche Tat zu einem solchen Anlass in Deutschland passiert, bekommen wir: Transfeindlichkeit, Queerfeindlichkeit, Rassismus. Das muss aufhören.
Pride Paraden zum Christopher Street Day (CSD) sind Demonstrationen der Freude und des Protestes. Hier feiern lesbische, schwule, bisexuelle, trans und queere Menschen ihre Liebe und ihre Existenz, demonstrieren für soziale Akzeptanz und gleiche Rechte für alle. Dass auf einer solchen Demonstration in Deutschland ein Mensch so schwer zusammengeschlagen wird, dass er eine Woche später an den Verletzungen stirbt, ist eine schreckliche Tragödie. Dass Menschen, die sich öffentlich als LGBTIQA* zeigen, Angst vor solcher Gewalt haben müssen, ist keine Tragödie, sondern die Folge von gezielter Agitation von Menschen, die Hass gegen homosexuelle, queere und trans Menschen schüren. Davon gibt es in Deutschland leider viele, mit verschiedenen Backgrounds und Motivationen. Aber eins haben sie gemeinsam: Sie haben Unrecht, wenn sie meinen, dass es sie etwas angeht, wie andere Menschen leben und lieben wollen.
Was passiert ist
Der tödliche Angriff beim CSD Münster ist, wie das Leben ist: komplex. Klar ist: Das Opfer ist Malte C., 25, auf der Parade in Münster am 27. September 2022 mit einer Flagge der Gruppe „Trans-inter Münster“ unterwegs und insofern als trans kenntlich. Er wird von einem jungen Mann geschlagen, der am Rande der Parade stand oder Teil der Parade war, gemeinsam mit einem etwa gleichaltrigen Begleiter. Festgenommen wurde als Tatverdächtiger ein 20-jähriger Tschetschene, der mit seiner Mutter vor acht Jahren als Asylsuchender nach Deutschland kam, abgelehnt wurde, aber geduldet bis 2023 in Deutschland lebt. Der mutmaßliche Täter ist Boxer, müsste also die Wucht seines Schlages einschätzen können. Er soll laut Zeugenaussagen zwei Frauen auf dem CSD als „lesbische Huren“ und mit „verpisst euch“ beschimpft haben, dabei drohend auf die Frauen zugegangen sein. Malte C. ging dazwischen, versuchte zu vermitteln, fragte, was denn das Problem sei, verbat sich die Beleidigungen.
Daraufhin, berichtet der Focus mit Bezug auf polizeiliche Ermittlungen, habe der 20-Jährige auch Malte C. beschimpft: Er sei „kein richtiger Mann“, weil er ja trans sei. Dann schlug er unvermittelt mit der Faust auf Malte ein. Der 25-Jährige ging zu Boden, schlug mit dem Kopf auf den Asphalt auf. Er kam mit Hirnblutungen ins Krankenhaus, wurde dort in ein künstliches Koma versetzt, doch die Verletzungen waren zu stark: Malte starb am Morgen des 2. September 2022. Der mutmaßliche Täter flüchtete nach der Tat, wurde aber noch am selben Tag am Hauptbahnhof von Münster festgenommen. Sein Begleiter ist noch flüchtig. Die Bild am Sonntag (via queer.de) berichtet, bei der Identifizierung des Tatverdächtigen habe ein wiederhergestelltes Handyfoto eines Zeugen geholfen, das dieser vom Tatverdächtigen gemacht hatte. Dieser nötigte daraufhin den Fotografen, das Bild zu löschen, mit der – vorgeschobenen oder realen – Begründung: „Ich will nicht, dass mein Vater erfährt, dass ich schwul bin.“ Der Vater des Tatverdächtigen lebt noch in Tschetschenien. Hass auf LGBTIQA* ist dort unwidersprochen etabliert. In Haft schweigt der Tatverdächtige bisher zu seinen Motiven. Ermittelt wird wegen Körperverletzung mit Todesfolge.
Queerfeindlichkeit tötet. Transfeindlichkeit tötet.
Und nun? Auch wenn der Fall noch viele offene Fragen hat, steht fest: Ein 25-jähriger Mann ist tot, weil er jemand anderem nicht ins Weltbild passte. Er wurde beschimpft und angegriffen, weil er trans war – UND weil er couragiert Menschen verteidigt hat, die lesbenfeindlich beschimpft wurden. Es ist ein transfeindlicher Angriff mit tödlichem Ausgang, und es ist ein queerfeindlicher Angriff mit tödlichem Ausgang – wenn in diesem Begriff die Trans- und Lesbenfeindlichkeit des mutmaßlichen Täters zusammengefasst werden soll. Die Trauer um Malte C. sollte uns gesellschaftlich beschäftigen, ebenso wie die Frage, wie wir Queerfeindlichkeit, Homofeindlichkeit, Transfeindlichkeit noch besser entgegenarbeiten können, in allen Zusammenhängen, damit sich so eine Tat nicht wiederholt.
Transfeindliche, demokratiefeindliche, rassistische, islamfeindliche Instrumentalisierungen
Stattdessen versuchen Akteur*innen, die die Gleichwertigkeit von Menschen ablehnen, aus dem Fall möglichst viel Stimmungsmache für die eigene Ideologie herauszuholen.
- Da sind transfeindliche Akteur*innen, darunter auch die gerade online aktuell sehr lautstarken transfeindlichen „Feministinnen“ (TERFs), die den Mord an Malte C. als „Femizid“, also Mord an einer Frau, einordnen wollen, weil sie ihm absprechen, ein Mann zu sein, ihn also mit einem transfeindlichen, zweigeschlechtlichen Weltbild bis in den Tod zu verfolgen. Zugleich dient dies der Volte, kritisierenden Menschen zu unterstellen, sie wollten die „wahre“ Anzahl von Femiziden in Deutschland verschweigen. Eine weitere Folge: So lässt sich Transfeindlichkeit unsichtbar machen, die ja im eigenen Weltbild auch verbreitet wird.
- Da sind Rechtsextreme, die zwar selbst queere, homosexuelle und trans Menschen ablehnen und beklatschen, wenn LGBTIQ* angegriffen, gequält oder umgebracht werden, aber ihre Meinung sehr schnell ändern, wenn der mutmaßliche Täter einen Migrationshintergrund hat oder Geflüchteter ist. Dann lässt sich eine solche Tat instrumentalisieren, um Rassismus zu verbreiten.
- Diese Narrative werden durch rechte Medien befeuert. „N. A. hätte längst Deutschland verlassen müssen“ (BILD), „Ohne weiteres Zögern schlug der Migrant aus der russischen Föderation auf Malte C. ein.“ (Focus) – und durch rechtsexterme Medien natürlich auch:
- Diese rassistischne Narrative werden durch AfD-Politiker*innen instrumentalisiert: Es würde über den mutmaßlichen Täter geschwiegen, weil er Asylbewerber sei; ja, schuld an dem Mord seien die „Regenbogenfähnchenschwinger“ (sic), die Geflüchtete ins Land ließen.
- Und die rassistischen Narrative werden durch den rechtsalternativen Kommentarmob online weitergedreht. Etwa in islamfeindlichen Kommentaren, die aufgrund des mutmaßlichen Vornamens des mutmaßlichen Täters auf einen „arabischen“ Background schließen und diesen mit einem muslimischen Glauben gleichsetzen – und den wiederum mit Homo- und Transfeindlichkeit.
Es kulminiert in Tweets wie diesem:
Also: Wenn Björn Höcke vom rechtsextremen Flügel der AfD Kanzler wäre, würde Malte noch leben, sagt dieser Twitteraccount unter dem Applaus seiner Kamerad*innen – während er den Mord an dem 25-Jährigen zugleich als „Femizid“ bezeichnet und somit die trans Identität abspricht. Was hält Björn Höcke denn so von homosexuellen und trans Menschen? Bei einer Rede im Thüringer Landtag 2018 zu dem, was er als „Leitkultur“ versteht, sagte er unter anderem, Vielfalt würde „Identitätsauflösung und Heimatzerstörung“ bedeuten. Außerdem beklagte er eine „tyrannische Durchsetzung“ von sexueller Vielfalt. Diese sei vielleicht zu ertragen, aber nie zu akzeptieren, und dürfe deshalb nicht in Schulen besprochen werden (vgl. Spiegel).
Und heute? Ist Björn Höcke der Mord an Malte keinen Beitrag auf seinen Social Media Channels wert, weder auf Twitter noch auf Facebook oder Telegram. Stattdessen findet sich dieses hier vom 29. August:
Karl Mays Winnetou solle „ein zweites Mal sterben – diesmal im Zeichen der Regenbogenfahne“. So sehr ist den Rechtsextremen der Hass auf LGBTIQ* verinnerlicht, dass „die Regenbogenfahne“ als Hassbegriff für alles genutzt wird, was Höcke ablehnt. Denn im Winnetou-Fall ging es ja nicht um sexuelle Identität, sondern um die Frage, ob die Geschichten aufgrund ihres rassistischen Gehalts noch unkommentiert für Kinder zeitgemäß sind.
Insofern kann ein verantwortungsvoller Umgang mit dem tödlichen Angriff auf Malte C. nur lauten: Homo- und Transfeindlichkeit immer und überall entgegentreten. Genauso wie Rassismus. Sie sind Grundlage antifeministischer und menschenfeindlicher Ideologie und im Weltbild von Höcke und den anderen Menschen, die anderen die Gleichwertigkeit absprechen, miteinander verwoben.
Viele Menschen bei den bundesweiten Gedenkveranstaltungen für Malte C. zeigen, dass das geht.