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Kommentar Ein düsterer Monat

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Anetta Kahane ist Vorsitzende des Vorstands der Amadeu Antonio Stiftung (bis Ende März 2022); Foto: MUT

Im Kontext der Arbeit der Amadeu Antonio Stiftung ist der November immer verbunden mit den Pogromen von 1938. Ein düsterer Monat. Ein Monat auch auf den Antisemitismus von heute zu schauen. 70 Prozent mehr antisemitische Straftaten gab es im letzten Jahr. In der Öffentlichkeit hört man davon kaum. Die Diskussionen um Rassismus – lange überfällig und bitter nötig – haben Wahrnehmung der Eskalation des Antisemitismus überdeckt. 75 Jahre nach den organisierten Pogromen der Nationalsozialisten, werden Juden in Deutschland bedroht, angegriffen, beschimpft und bedrängt. Gleichzeitig demonstrieren Nazis vor Asylheimen mit Fackeln, wie in Schneeberg, sie organisieren Angriffe und pogromartige Stimmungen gegen Flüchtlinge. Dass dies im Deutschland von heute möglich ist, dass die Menschen ganzer Landstriche wieder eine Art soziale Bewegung „gegen Ausländer“, geschürt von Neonazis, mittragen, ist beschämend und bedarf klarer Antworten. Auch der Rassismus im Alltag ist eine ständige Belastung für Menschen. Rassismus und Antisemitismus sollten diskutiert werden. Sie sind verschieden und doch gibt es einen inneren Zusammenhang. Beides muss die Gesellschaft im Auge haben, für beides braucht es Aufmerksamkeit und Anstrengungen. Beides in seiner Spezifik muss bekämpft werden.

Die Erinnerung an die Pogromnacht von damals reicht nicht, um Menschen heute davon abzubringen, mit Hass und Vorurteil die Welt zu betrachten. Die Erinnerung steht für sich, für das Ereignis, für die Verfolgung und Vernichtung von Menschen. Sie steht für unvorstellbare Verbrechen. Sie ist kein Instrument. Erinnerung bleibt, auch wenn die Zeit vergeht wie die Menschen, die sie erleben mussten. Sie ermöglicht uns lediglich eine Perspektive auf die Ereignisse von heute und macht uns deutlich, dass der Antisemitismus wie der Rassismus noch lange nicht verschwunden sind.

Die Mittel für Opferberatung in den Haushalt einzustellen „vergessen“

Demokratie heißt Gleichwertigkeit. Jeder hat gleiche Rechte und Pflichten. Als Mensch, als Bürger, als Individuum. Rassismus und Antisemitismus verletzen diesen Grundsatz. Dagegen zu handeln, ist kein „Projekt“ von irgendwelchen „linken Spinnern“, sondern Verfassungspatriotismus, denn so steht es im Grundgesetz. Die vielleicht traurigste Tatsache um Gewalt gegen Minderheiten in Deutschland ist, wie das Thema politisch behandelt wird. Die Herablassung und das Misstrauen gegen engagierte Menschen, gegen Freiwillige und Hauptamtliche, die hier arbeiten hat etwas mit der politischen Kultur insgesamt zu tun. Noch immer stehen alle Zeichen auf Abwehr, gerade im Bereich des Umgangs mit Minderheiten oder Einwanderern und damit natürlich auch mit denen, die sich um ihre Sicherheit sorgen. Diejenigen, die sich hier engagieren, sollen – wie man aus den Stuben hört, in denen die Koalition verhandelt wird – nicht „zu fett werden“ sonst würde man „die nie wieder los“. Die Verwaltung muss „denen noch mehr auf die Finger schauen“ und auf „Qualität achten“.

Aus dieser Sprache spricht nicht das legitime Bedürfnis nach Kontrolle und Qualität, sondern Verachtung und Verdächtigung. Sie ersticken in Evaluationswolken und Berichterstattungsorgien, wie sie in anderen aber vergleichbaren Handlungsfeldern vollkommen unüblich sind.  Die Projekte werden mies behandelt, wie gerade der Fall von Sachsen gezeigt hat, wo der Freistaat kaltschnäuzig „vergessen“ hatte, die Mittel für Opferberatung in den Haushalt einzustellen. Das ist deprimierend. Das widerspricht dem Geist des Grundgesetzes. Und dem des Novembergedenkens allemal.

Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).

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