Bevor es was Neues gibt, müsste das Alte erst mal alle sein. Aber letzteres ist so voll, dass es vermutlich noch eine ganze Weile brauchen wird, bis endlich was Neues zu berichten ist. Der Prozess gegen Beate Zschäpe beginnt nun und gegen jedes bessere Wissen erhofft man sich davon Neuigkeiten. Weil die Öffentlichkeit in Deutschland davon lebt. Die armen Journalisten, die sich bei der Amadeu Antonio Stiftung melden, versuchen verzweifelt anlässlich des Prozesses das Neue im Alten zu finden. „Was erhoffen Sie sich von dem Prozess? Wird es nun ein Umdenken in Politik und Gesellschaft geben? Wie sehen Sie das mit der Auswahl der Medienvertreter? Glauben Sie, dass die Bundesregierung durch den Prozess ihr Zögern beim NPD-Verbotsverfahren überdenken wird? Nützen die Bundesprogramme gegen Rechtsextremismus eigentlich irgendwas? Wie sehen Sie die Situation nach dem Prozess?…“ usw. usf. und schließlich die Frage: „Werden Sie hingehen?“.
Was soll man darauf antworten? Ich erhoffe mir vom Prozess vor allem, dass er anständiger geführt wird, als alles was bisher im Fall NSU geschah. Ich hoffe, dass das Gericht kompetenter sein möge, als es bisher vermuten ließ. Ein Umdenken in Politik und Gesellschaft wird es eher nicht geben und das ist auch nicht Aufgabe des Verfahrens. Erwartet man das, ist Enttäuschung vorprogrammiert. Wir werden es weiter mit den Mühen der Ebene zu tun haben, wenn es um Rechtsextremismus und Rassismus geht. „Das mit der Auswahl der Medienvertreter“ ist so gelaufen, wie alles beim Thema Rechtsextremismus: hier regiert ein kalkulierter Dilettantismus, der nur existieren kann, weil Rechtsextremismus den meisten so egal ist wie seine Opfer. Wäre das anders – darauf können Sie wetten – würde auch dieser Prozess samt der vorangegangenen „Ermittlungen“ ganz anderes geführt werden. Die Auswahlverfahren der Medienvertreter sind nur ein Symptom einer auf Gleichgültigkeit beruhenden allgemeinen Schlamperei, wie der gesamte Vorgang rund um den NSU. Und das ist die Beste aller möglichen Varianten.
Die Bundesprogramme entsprechen nicht den Zuständen, den Aufgaben und dem Bedarf
Das NPD Verbotsverfahren ist auch so eine Geschichte. Die Partei zu verbieten, sonst aber im Allgemeinen zu verharren wenn es um die Bekämpfung des Rechtsextremismus geht, halte ich für einfältig. Den Verbotsantrag nicht zu stellen und auch keine sonstigen Anstrengungen zu unternehmen, halte ich für fahrlässig. Aber die NPD verbieten zu wollen, um die Nazis loszuwerden halte ich für verlogen und zynisch. Deshalb ist das Gerede darum eigentlich nur ein Spielplatz nicht ernstgemeinter Parolen, durch die sich nichts, aber auch gar nichts ändern lässt. Zu dem Bundesprogrammen kann man sagen: es ist gut, dass es sie gibt! Das sollte uns aber nicht abhalten, sie konstruktiv zu überarbeiten und den Bedürfnissen anzupassen. Momentan sind sie den Zuschnitten von Ministerien angepasst und mit einer willkürlichen Menge an Mitteln ausgestattet. Und entsprechen damit eben nicht den Zuständen, den Aufgaben und dem Bedarf. Und damit zur Frage, wie die Zukunft aussieht. Nun, das hängt von Grad an Dilettantismus ab, den Politik und Gesellschaft vorlegen. Entweder wir entwickeln gemeinsam einige zukunftsweisende Standards einer modernen, möglichst rassismusfreien Gesellschaft, womit dann auch dem Rechtsextremismus etwas systematischer das Wasser abgegraben werden könnte. Oder aber Deutschland entwickelt seinen Dilettantismus weiter bis zur Perfektion, wie es dem Label „made in Germany“ entspricht und wir sehen einer Zukunft von Kleinkriegen und blockierter Chancen entgegen, die allen schadet.
Ob wir zum Prozess selbst hingehen werden? Ja, nun. Ich denke, wir werden es versuchen: nach München fahren, im Morgengrauen vor dem Gericht stehen um möglichst vorn in der Schlange zu sein, mit etwas Glück hineinkommen und Beate Zschäpe live beim Schweigen zuschauen. Denn das wird sie vorrangig tun. Auch Schweigen ist ohne Zweifel reizvoll und interessant, wenn es aus ihrem Munde kommt und von den Gefechten der Anwälte flankiert wird. Also werden wir auf diese Gelegenheit nicht verzichten. Nur für mich persönlich wird das schwer zu machen sein. Ich habe mich schon in der DDR geweigert, mich in Schlangen anzustellen. Was dazu geführt hat, dass ich ein Leben fast ohne Bananen führen musste. Da ich dieses schwere Schicksal dennoch überlebt habe, hoffe ich nun umso mehr auf eine exzellente Berichterstattung durch unsere geschätzten Medienvertreter.
Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).