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Kommentar Klar schaffen wir das! Wieso auch nicht?

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Anetta Kahane ist Vorsitzende des Vorstands der Amadeu Antonio Stiftung (bis Ende März 2022); Foto: MUT

Man stelle sich nur vor, das Ganze fände in einer echten Krisensituation statt. Das mag man sich für die deutsche Lust an der Angst nicht wünschen. Als die Kanzlerin vor einem Jahr sagte: „Wir schaffen das!“, hat sie nicht etwa an die dunkle Seite der Deutschen appelliert, sondern eine der Bundesrepublik angemessene und hoffnungsvolle Feststellung gemacht. Klar schaffen wir das! Wieso auch nicht? Deutschland boomt, die Initiativen der Flüchtlingshilfe sind nach wie vor engagiert, und der Staat hilft sogar. Das ist ja nicht überall so. Nicht die Kanzlerin mit ihrer Botschaft ist also schuld am Aufstieg der AfD, wie viele heute behaupten. Es sind viele Dinge, die dazu geführt haben. An allererster Stelle sei hier aber der Umgang mit Rassismus und Antisemitismus genannt.

Rassismus ist, fragt man die Leute auf der Straße, ausschließlich ein Problem in den USA. Abgesehen vom antiamerikanischen Kern dieses Satzes ist er auch falsch. Selbstverständlich gibt es Rassismus in Deutschland. Wie auch nicht nach Shoah und Kolonialgeschichte? Wieso sollte er ausgerechnet in Deutschland verschwunden sein? Weil er immer geleugnet wurde? Genau wie der Antisemitismus? Beides, so unterschiedlich es in Erscheinung und Funktion auch sein mag, war in Deutschland nie überwunden. Dazu hätte es Gegenstand einer ernsthaften Debatte der politischen und gesellschaftlichen Eliten sein müssen; doch das geschah nur punktuell und nicht systematisch. Eine solche Debatte hätte die Frage danach aufgeworfen, was deutsche Identität bedeutet, ob sie sich an der Farbe von Haut und Haaren festmacht oder an der Treue zum Grundgesetz. Mit anderen Worten: keine Debatte, keine Folgen, so einfach ist das. Diesen Fakt mag die Kanzlerin unterschätzt haben mit ihrem Satz „Wir schaffen das“. So wie er generell unterschätzt wird.

Europa ist ein Teil dieser Welt

Dass die Flüchtlinge überhaupt nach Deutschland kamen, hat ganz gewiss auch andere Gründe, als die AfD stärken zu wollen. Das wäre sehr unterkomplex. Die Situation in der südlichen Nachbarschaft Europas ist gefährlich. Die Menschen fliehen, weil sie es müssen und weil sie es können. Und das wird auch so bleiben, bis es nicht mehr gefährlich ist, dort zu leben. Die Deutschen haben hier zum ersten Mal erlebt, wie nah sie am Weltgeschehen leben und dass die Probleme und Chancen unserer globalisierten Zeit nicht ausgesperrt bleiben werden. Sich dagegen zu wehren, mag verständlich sein, doch es zum Ausgangspunkt von Hass und Gewalt zu machen, ist menschlich wie politisch kurzatmig. Europa ist ein Teil dieser Welt, einer von vielen. Völkische Vorstellungen werden daran nichts ändern, sondern vielmehr die ernsthafte Gestaltung von Herausforderungen wie Flucht und Migration.

Wir schaffen das. Wir können uns den Luxus des Pessimismus nicht leisten, wie Golda Meir einst richtig sagte. Die AfD und die NPD und alle anderen, die das Völkische betonen, können die Vernunft der Mehrheit der Deutschen nicht abschalten. Was allerdings Besorgnis erregt, ist der Zustand des Teils der Mitte, der schon immer indifferent gegenüber dem Rassismus und Antisemitismus war, der auch den klassischen Rechtsextremismus nicht ernst genommen hat. Wenn sich hier Opportunismus und Indolenz durchsetzen, statt einer politischen Debatte, die dringend notwendig ist, dann wird der deutsche Nachkriegskonsens aufgekündigt, der im Wesentlichen das Grundgesetz über ein irgendwie geartetes Deutschtum gestellt hat. Denn es geht nicht um die AfD, sondern um uns und die Demokratie.

Über all diese Dinge müssen wir reden. Unbedingt. Wir schaffen das.

Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).

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