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Kommentar Linker Antisemitismus – Solidarität mit Schlägern statt mit Opfern

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Der "Jugendwiderstand" bei einer Demo gegen die Verlegung der amerikanischen Botschaft nach Jerusalem im Dezember 2017 in Berlin.

Im September 2018 protestieren mehrere Menschen gegen den Auftritt einer palästinensischen Aktivistin in Berlin, die Israel das Existenzrecht abspricht. Mehrere Männer drohen ihnen die Kiefer zu brechen. Im August 2018 wird einem Journalisten mit Schlägen gedroht, weil er ein „Antideutscher“ – also israelsolidarisch sei. Im gleichen Monat werden eine Journalistin und ein Begleiter bedroht, weil der Mann das falsche T-Shirt trägt. Am 1. Mai 2018 wird der feministische Block der 1.Mai-Demo angegriffen, weil die Demonstrierenden sich auf einem Transparent von Antisemitismus distanzieren. In der Nacht zuvor bedrohen, schlagen und berauben zehn Männer einen Mann, der Plakate, die sich gegen Antisemitismus richten, verteilte. Im Dezember 2017 wird einer Journalistin angedroht, sie „kalt zu machen“. Im November 2017 wird ein Mann bedroht, der einen Jutebeutel mit einem Davidstern dabei hat: Man wolle so einen „Schwuchtelbeutel“ nicht sehen. Im August 2017 wird eine Journalistin als „Zionistenfotze“ bezeichnet, ihrem Begleiter wird Prügel angedroht. Im Mai 2016 wird eine Frau bedroht, weil sie eine Kette mit Davidstern trägt.

In all diesen Fällen – es gibt noch einige mehr – gehören die Täter zum „Jugendwiderstand”, einer maoistisch-leninistischen Kleingruppe vor allem aus Berlin-Neukölln. Einer breiteren Öffentlichkeit wurde die Gruppe erst im Dezember 2018 bekannt. Damals veröffentlichte der Berliner Tagesspiegel einen umfangreichen Artikel mit dem Titel „Maos Schläger aus Berlin Neukölln“. Der Text bezog sich dabei auch auf Informationen von „Friedensdemo-Watch“, einem Recherche-Kollektiv. Im Juni 2019 löst sich der „Jugendwiderstand” per Facebook-Post auf. Wenige Wochen später werden neun Wohnungen von Aktivisten in Berlin und in NRW von der Polizei durchsucht. Jetzt sprechen linke Gruppen ihre Solidarität mit dieser Schläger-Truppe aus. Darunter ist die Berliner Ortsgruppe der „Roten Hilfe”, eine linke Hilfsorganisation, einzelne Jugendgruppen der Partei die Linke und mehrere sich selbst als „links“ verortende Blogs. Solidarität also mit den Opfern von Gewalt, Opfern von antisemitisch motivierter Gewalt, Gewalt gegen Homosexuelle und Frauen? Solidarität mit Journalist*innen, die immer häufiger Übergriffe erleben? Nein. Solidarität mit den Tätern scheint wichtiger. 

Angeblich handele es sich nämlich um eine „Outing-Aktion“. Der Tagesspiegel-Artikel sei eine planmäßige Zusammenarbeit von „Genoss*innen“ „mit den bürgerlichen Medien“. „Dies läuft, wie die Razzia zeigt, auf eine Zuarbeit an den Staatsschutz hinaus. Alle Genoss*innen müssen sich klarmachen, dass solche Denunziationen, letztlich allen Strömungen der Linken verheerend schaden werden,“ heißt es etwa in der Erklärung der Berliner „Roten Hilfe”. Ausgeblendet wird dabei, dass es sich bei den im Tagesspiegel veröffentlichten Informationen keineswegs um Neuigkeiten handelt. Die Gewaltbereitschaft des „Jugendwiderstandes” war im Dezember 2018 schon lange nicht mehr überraschend. Als Mitglieder der Gruppe auf der 1.Mai-Demo den feministischen Block angriffen, waren sie nicht maskiert. Die Gruppe machte kein Geheimnis aus ihrer Ideologie. Sowohl auf Facebook, als auch auf dem Blog der Gruppierung ist all das bis heute nachzulesen. Die Veröffentlichung ist kein „Outing“. Genausowenig, wie sie eine „Zuarbeit” für den Verfassungsschutz ist. Die Behörde wird zurecht kritisiert, allerdings kann als sicher angenommen werden, dass sie für Ermittlungen nicht auf einen Tagesspiegel-Artikel angewiesen ist. Anzeigen gegen Mitglieder des „Jugenwiderstandes” und Berichte über Übergriffe gab es vor der Veröffentlichung bereits zuhauf. Schließlich hielt die Gruppe sich in der Öffentlichkeit ebenfalls nie zurück. Bis heute ist ein Video im Internet zu finden, in dem ein Aktivist auf einer Veranstaltung zum 50. Jubiläum der palästinensischen Terrororganisation PFLP (Volksfront zur Befreiung Palästinas) davon spricht, dass man „Gewehr an Gewehr” mit den Terroristen stehe. Die Aktivisten des „Jugendwiderstandes” haben die Ermittlungen selbst zu verantworten.

„Friedensdemo-Watch” recherchierte allerdings erstmalig Details zu einem Mitglied der Schlägertruppe. Dabei handelt es sich um einen Mann aus dem Umfeld der Berliner NPD. „Friedensdemo-Watch” veröffentlichte mehrere Fotos, die die Verbindung zu den Rechtsextremen eindeutig belegen. Allerdings sind auch diese Fotos nicht neu. Sie gehören zu Fotodokumentationen, die seit Jahren auf Rechercheseiten zur extremen Rechten einsehbar waren. Die Fotos belegen, dass der Umschwung vom strammen Neonazi zum maoistischen Straßenkämpfer offenbar nur ein kleiner Schritt zu sein scheint. Ein ernstzunehmender Ausstieg aus rechtsextremen Strukturen sieht zumindest anders aus. „Aus antifaschistischer Perspektive ist diese Person unmöglich als ‚Aussteiger‘ zu betrachten. Vielmehr hat er unter anderen Symbolen im ‚Jugendwiderstand‘ ein ähnliches Umfeld gefunden“, heißt es dazu bei „Friedensdemo-Watch”. Der ehemalige NPD-Unterstützer ist kein Einzelfall. Schon in der Vorgängerversion des „Jugendwiderstandes”, die sich „Zusammen Kämpfen Berlin“ nannte, übernahm ein (Ex-)Neonazi Verantwortung. Drei Jahre war der Mann, der vorher bei den rechtsextremen „Autonomen Nationalisten“ organisiert war, bei der „linken“ Gruppierung aktiv. 2014 musste er die Gruppe allerdings verlassen, nachdem mehrere Frauen von sexualisierter Gewalt berichteten.

Die Berliner „Rote Hilfe” bezeichnet solche Recherchen und die Veröffentlichung als „Denunziation“. Die Täter des „Jugendwiderstandes” werden so zu Opfern gemacht. Aber wie verhalten sich „Rote Hilfe” und Co zu den wirklichen Opfern –also zu denjenigen, die geschlagen, beleidigt, bedroht wurden? Zu Juden und Jüdinnen, Menschen die sich gegen Antisemitismus einsetzen, zu LGBTQ*? Die Frage ist schnell beantwortet: Gar nicht.

Im Beitrag der „Roten Hilfe” heißt es: „Zu innerlinken Konflikten beziehen wir als strömungsübergreifende linke Schutz- und Solidaritätsorganisation grundsätzlich nicht Stellung.“ In einem Statement der „Linksjugend Hamm” steht, „Dass die Gruppe in ihren Position nicht mit unserer Analyse und Kritik an den herrschenden Verhältnissen übereinstimmt und teilweise auf sehr problematische Weise von unserer abweicht ist hierbei ziemlich unerheblich.“ Antisemitismus und ausufernde Gewalt gegen Andersdenkende sind also „innerlinke Konflikte“ oder „unerheblich“? So lesen sich diese Zeilen zumindest, denn ein Wort über die Opfer fällt nirgends. Nicht einmal der Begriff „Antisemitismus“ ist zu lesen, in keinem dieser Beiträge.

Der „Jugendwiderstand” selbst hat sich im übrigen ebenfalls nie zu den Gewalt-Opfern geäußert. Bestenfalls wurde abgestritten, etwas mit spezifischen Vorfällen zu tun haben. 

Im Blogpost eines Magazins namens „re:volt“ wird immerhin auf den Antisemitismus der Schlägertruppe Bezug genommen. Allerdings nur, um zu erwähnen, dass man Israel doch hoffentlich noch kritisieren darf. Aus nicht ganz nachvollziehbaren Gründen geht es plötzlich um die antisemitische BDS- Bewegung. Wir lernen: Statt die BDS-Bewegung – die der „Jugendwiderstand“ unterstützte – als das zu bezeichnen was sie ist, nämlich antisemitisch, sollte man sich lieber dem „schwankenden Kurs ihres [des Jugenwiderstandes] Vorbildes, der KPD unter Ernst Thälmann zwischen linksradikal und rechtsopportunistisch“ widmen.

Danke, nein. Wir solidarisieren uns nicht mit aggressiven Schlägern, die unter dem fadenscheinigen Deckmantel von „Antiimperialismus“, hinter dem eigentlich nur Antisemitismus steckt, jeden verprügeln, der mit dem falschen Shirt in Neukölln unterwegs ist. Wir wollen nichts mit „linken“ Aktivisten zu tun haben, die auf Berliner Straßen Menschen angreifen, die sich trauen, mit einem Davidstern an der Halskette vor die Tür zu gehen. Vielmehr solidarisieren wir uns mit denjenigen, die verprügelt, angegriffen, bedroht und beleidigt wurden: mit Juden und Jüdinnen, LGBTQ* und Journalist*innen. Mit Politiker*innen der demokratischen Parteien, die angegriffen wurden, weil sie sich gegen Antisemitismus einsetzen. Täter dürfen nicht als Opfer dargestellt werden.
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