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Kommentar Lohnt sich Demokratieförderung überhaupt?

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In Dresden demonstrierten im Februar tausende Menschen unter dem Motto 'Wir sind die Brandmauer' gegen die AfD und den Rechtsruck. (Quelle: picture alliance / Geisler-Fotopress | Max Patzig/Geisler-Fotopress)

2024 war ein Jahr des Aufbruchs für die demokratische Zivilgesellschaft. In Nordhausen, Werder, Grimma, Neustadt an der Orla, Papenburg, Kirchheim unter Teck, Burgdorf, Sonneberg und in vielen weiteren Orten in Ost und West sind bisher weiße Flecken auf der Landkarte des zivilgesellschaftlichen Engagements verschwunden. 30.000 Omas gegen Rechts engagieren sich ehrenamtlich in über 200 Ortsgruppen gegen Antifeminismus, Behindertenfeindlichkeit und Rassismus und schließen damit eine Lücke, die durch Angebote der politischen Bildung oder klassische Senior*innenarbeit bisher nicht bearbeitet wurde. Millionen Menschen haben sich bei hunderten Christopher Street Days (CSDs) bundesweit an vorderster Front und trotz rechtsextremer Gegenproteste in progressiven Allianzen für Vielfalt und gegen Ausgrenzungen positioniert. Im „Weltoffenen Thüringen“ vernetzen sich über 9000 Initiativen, Unternehmen und Einzelpersonen. Ob Sportverein, freiwillige Feuerwehr, Karnevalsverein oder Jenoptik – sie alle zeigen Gesicht gegen Demokratieverdrossenheit und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Gerade in strukturschwachen und ländlichen Regionen haben viele Menschen erkannt, dass sie mit ihrer Vision des gesellschaftlichen Miteinanders nicht alleine stehen.

Außerdem fördern EU, Bund, Länder, Kommunen und private Stiftungen seit Jahrzehnten zivilgesellschaftliche Programme, die politische Bildungsangebote machen, über rechtsextreme Ideologien und Strukturen aufklären, für Vielfalt und gesellschaftlichen Zusammenhalt eintreten, Beratung gegen rechte Gewalt und Radikalisierung anbieten und basisdemokratische Beteiligung ermöglichen. Die Nachfrage nach Workshops, die Strategien gegen Hass und Desinformationen aufzeigen, übersteigt vielerorts das Angebot. Sowohl die Zahl der Anträge auf Projektförderung als auch die Zahl der Bewilligungen für meist ehrenamtlich getragene Projekte in klein- und mittelstädtischen oder ländlichen Räumen haben sich allein bei der Amadeu Antonio Stiftung im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt.

Angriff auf die Demokratie

Dennoch steht die Demokratie unter Druck. Weder im Osten noch im Westen sind rechtsextreme Netzwerke nach dem Zweiten Weltkrieg ganz verschwunden, die Aufarbeitung der Beteiligung der deutschen Bevölkerung an Holocaust und anderen NS-Verbrechen hat seit jeher Lücken. Nach der Wiedervereinigung verfestigten sich in Ostdeutschland rechtsextreme Strukturen ungestört, befeuert durch kollektive soziale Abstiegs- und Benachteiligungserfahrungen, Abwanderung, Überalterung und Männerüberschuss. Die Politik hatte keine Konzepte und wollte das Problem nicht sehen. Die Sachsen seien immun gegen Rechtsextremismus, behauptete Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) im Jahr 2000. Zwei Jahre zuvor waren die NSU-Terrorist*innen in Zwickau und Chemnitz untergetaucht. Erst im November 2024 wurden acht Rechtsextreme der terroristischen Vereinigung „Sächsischen Separatisten“ festgenommen, darunter ein Stadtrat aus Grimma.

Rechtsextreme Positionen haben sich normalisiert – in öffentlichen Debatten, in privaten Gesprächen, bei Kommunal-, Landtags- und Europawahlen. Die aktuelle Leipziger Autoritarismus-Studie zeigt, dass Rassismus, Antisemitismus, sozialdarwinistische Einstellungen, Antifeminismus, Transfeindlichkeit, Verharmlosung von NS-Verbrechen und die Offenheit für autoritäre Herrschaft in besorgniserregendem Ausmaß immer mehr Verbreitung und Zustimmung finden, auch in Westdeutschland. Rassistische Gewalt auf den Straßen gehört für viele Menschen zum Alltag. Der verharmlosende Begriff „Remigration“ ist über alle politischen Lager hinweg verbreitet und Vorbote kommender Deportationen. Bei der kommenden Bundestagswahl könnte die AfD zur zweitstärksten Kraft werden. Also: Ist der Einsatz für die Demokratie gescheitert?

Demokratieförderung zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Wer erwartet hat, dass Demokratieprojekte, egal ob ehrenamtlich oder hauptamtlich getragen, in der Lage wären, die Wahlergebnisse wesentlich zu verändern, konnte nur enttäuscht werden. In 30 Jahren entstandene Probleme lassen sich nicht mit kurzfristigen Aktionen lösen. Hier helfen weder reichweitenstarke Instagramkampagnen für Vielfalt oder strategisches Wählen noch punktuelle Argumentationsworkshops. Diese Aufgabe kann auch nicht durch ehrenamtliche Initiativen übernommen werden, die in strukturschwachen Regionen Ostdeutschlands zu Demokratiefesten einladen. Es werden mindestens weitere 30 Jahre nötig sein, um langfristig entstandene rechtsextreme Hegemonien aufzubrechen.

Die vergangenen Kommunalwahlen brachten vor allem in ostdeutschen Bundesländern starke Zuwächse für rechtsextreme Parteien, in Stichwahlen für Bürgermeister- und Landratsposten zogen AfD und Co jedoch den Kürzeren, zugunsten von demokratischen Kandidat*innen. Der Rechtsextreme Uwe Thrum konnte als Landrat im thüringischen Saale-Orla-Kreis verhindert werden – ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis hatte erfolgreich gegen ihn mobilisiert. Insgesamt sind die Beteiligungszahlen bei allen Wahlen 2024 deutlich gestiegen – ein Gewinn für die Demokratie und Ergebnis des Engagements demokratiefördernder Bündnisse und Projekte, die genau das zum Ziel hatten.

Ein weiteres Beispiel: Die Gedenkstätte Buchenwald verschickte 350.000 Briefe an wahlberechtigte Thüringer Senior*innen, in denen sie eindringlich vor einem Wahlsieg Björn Höckes warnte. Ob die Kampagne tatsächlich dazu beitrug, dass der Anteil der AfD-Wähler*innen über 70 in Thüringen mit 19 Prozent unter dem Wert in Sachsen (24 Prozent) liegt, ist schwer zu belegen. Wie aber wären die Wahlergebnisse insgesamt ausgefallen, wenn es keine Mobilisierungen oder Bildungsprojekte gegen Rechtsextremismus gegeben hätte?

Langfristigkeit statt Aktionismus

Das Problem der öffentlichen und privaten Demokratieförderung liegt in ihrer Struktur: Viele Träger hangeln sich mühsam von einer Förderung zur nächsten, statt nachhaltig wirken zu können. In Ostdeutschland gibt es praktisch keine institutionellen Fördermodelle der öffentlichen Hand für Demokratie-, Integrations- oder Gleichstellungsarbeit. Projektbezogene, über ein bis drei Jahre laufende Förderprogramme erzeugen einen hohen Innovationsdruck und folgen einer neoliberalen Logik, die auf schnelle Ergebnisse setzt.

Positive Veränderungen brauchen jedoch Zeit. Die kurzfristige Forderung nach wissenschaftlichen Evaluationen und „Beweisen“ der Wirksamkeit greift deshalb ebenfalls zu kurz. Prävention zeigt ihre Wirkung in dem, was nicht passiert – ihre unsichtbaren Erfolge lassen sich kaum messen. Politische Bildungs- und Interventionsarbeit muss langfristig über Generationen erfolgen.

Angesichts der immensen Herausforderungen rechtsextremer Hegemonien reichen die bisherigen Mittel nicht aus: Es fehlt an wirkungsvollen Präventions- und Bildungsangeboten, die insbesondere Erwachsene im Berufsleben und Senior*innen erreichen. Nötig sind auch neue pädagogische Konzepte, die junge Menschen mit gefestigt rechtsextremem Weltbild adressieren. Solche anspruchsvollen Aufgaben erfordern die politische Anerkennung des Rechtsextremismusproblems, qualifiziertes Fachpersonal und die entsprechende Finanzierung.

Kürzungen bedrohen Demokratieförderung

Ausgerechnet jetzt müssen viele Projekte um ihre Existenz fürchten: Viele Kommunen sind pleite, die öffentlichen Einnahmen sinken, der Bundeshaushalt und die Regierungsbildungen in Sachsen und Thüringen lassen auf sich warten, Förderrichtlinien sind gefährdet und Rechtsextreme gehen gezielt gegen unliebsame Initiativen vor. Obwohl immer mehr private Stiftungen Gelder für Demokratieprojekte, insbesondere in Ostdeutschland, zur Verfügung stellen, können sie den drohenden Wegfall öffentlicher Förderung nicht kompensieren.

Die kommenden Monate werden zeigen, ob der Aufbruch weitergeht oder verpufft. Es gibt nicht die eine Lösung gegen Menschenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus: Statt einzelne „Leuchttürme“ zu fokussieren, muss die Breite der Ansätze in lang gewachsenen und neu entstandenen Strukturen erhalten werden. Die Aufgabe des Demokratieerhalts liegt aber nicht nur bei der prekär finanzierten Zivilgesellschaft. Nötig ist eine breite, langfristige Kraftanstrengung von demokratischen Parteien, Institutionen, Gewerkschaften und Bürger*innen, um neue Wege zu beschreiten und Bewährtes fortzusetzen. Nur so entsteht Zuversicht, dass die Verhältnisse veränderbar sind. Die Frage ist nicht, ob Demokratieförderung etwas bringt, sondern wie wir sie so gestalten, dass sie ihre volle Wirkung entfaltet.

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