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Kommentar Nicht das Framing der „Identitären Bewegung“ übernehmen

Die „Identitäre Bewegung“ will mit medienwirksame Aktionen in die Schlagzeilen. Doch Medien dürfen nicht einfach das Framing der Rechtsextremen übernehmen, wie die Berichterstattung über ihre jüngste Aktion am „Nord Stream 2“-Terminal zeigt. Ein Kommentar.

 
Die IB am „Nord Stream 2“-Terminal: Aus einer inszenierten PR-Aktion machten manche Medien eine „Besetzung“ (Quelle: Screenshot)

Eine inszenierte PR-Aktion, die für Schlagzeilen sorgen sollte: Am Montag, den 29. August 2022 luden Aktivist*innen der rechtsextremen „Identitären Bewegung“ (IB) ein Video auf Telegram hoch, in dem sie mit Schraubenschlüssel, Warnwesten und Rauchtöpfen die Pipeline „Nord Stream 2“ wieder „aufdrehen“ wollten. Mehrere vermummte Kader der IB posierten vor dem Gas-Terminal im mecklenburg-vorpommerischen Lubmin an der Ostsee. Mehr nicht. Auch IB-Chef Martin Sellner war vor Ort. Es sollte nach eigenen Angaben ein Protest gegen die Energiepolitik der Ampel-Regierung sein, die angesichts Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine das „Nord Stream 2“-Projekt auf Eis gelegt hat. Mehrere IB-Kader wurden dabei festgenommen.

Die „Identitäre Bewegung“ arbeitet seit Jahren daran, mediale Aufmerksamkeit für ihre Aktionen zu bekommen. Ihr Ziel ist, so ihre antimoderne, nationalistische Ideologie in den öffentlichen Diskurs einzubringen und Gegenstand von Diskussionen zu werden. Mit ihrer Aktion in Lubmin am Montag ging dieser Plan zum Teil auf: So berichtete die Berliner Zeitung, dass die IB das Gas-Pipeline „besetzte“ – und übernahm so die Selbstdarstellung der „Identitären“. Die Redaktion schrieb zum Teil aus dem Telegram-Kanal von Martin Sellner ab und verwies auf den rechtsextremen Verschwörungsblatt Compact. Der Artikel verlinkte auch auf den Telegram von Sellner.

Für Journalist*innen, die über Rechtsextremismus schreiben, ist es enorm wichtig, entsprechende Vorfälle einzuordnen und zu analysieren – ohne die Inhalte selbst zu reproduzieren. Pressemitteilungen oder Telegram-Kanäle von Rechtsextremist*innen sind dabei keine neutralen Quellen. Damit spielen Medien wie die Berliner Zeitung der Identitären Bewegung in die Hände: sie verbreiten deren Narrative und geben einer Aktion, die nicht mehr ist als provokante Selbstdarstellung, unkritische Aufmerksamkeit. Auf Twitter äußerten sich viele Kommentare unter anderem deswegen der Aktion gegenüber positiv.

Gruppierungen wie die „Identitäre Bewegung“ fühlen sich durch unkritische Berichterstattung bürgerlicher Medien zudem in ihrem Handeln bestätigt. Wenig verwunderlich wurde der Artikel der Berliner Zeitung auch direkt auf Sellners Instagram-Kanal geteilt. Ein Coup für eine Bewegung, die seit Jahren abflaut, in „neurechten“ Kreisen als gescheitert gilt und die Götz Kubitschek höchstpersönlich als „bis zur Unberührbarkeit kontaminiert“ erklärte.

Inzwischen wurde der Artikel der Berliner Zeitung nach Kritik aktualisiert. Auf Twitter schreibt der stellvertretende Online-Chefredakteur Felix Horstmann, der Vorfall werde intern aufgearbeitet, damit so etwas nicht nochmal passiert. Eine gute Faustregel: Rechtsextreme äußern sich öffentlich immer mit der Intention, ihre Ideologie zu verbreiten und zu normalisieren. Deshalb: nicht von ihnen abschreiben.

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