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Kommentar Zwischen Erschrecken und Hoffnung

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Anetta Kahane ist Vorsitzende des Vorstands der Amadeu Antonio Stiftung (bis Ende März 2022); Foto: MUT

Nach den Nazi-Drohungen und dem Brandanschlag auf die Flüchtlingsunterkunft in Tröglitz warnte deshalb der Chef des LKA in Sachsen-Anhalt Schmökel davor, die Brandstifter nur im rechtsextremen Milieu zu suchen: Das Hauptaugenmerk liege zwar bei rechten Tätern, „es kann aber überhaupt nicht ausgeschlossen werden, dass eine politische Richtung diskreditiert werden soll“, sagte Schmökel der Mitteldeutschen Zeitung. Nazis in Verruf zu bringen, ihre Sympathisanten in den Schmutz zu ziehen, kann nicht das Ziel eines Landeskriminalamtes sein, da verhält sich der Staat neutral – ganz klar. Schließlich bedeutet gegen das Recht zu verstoßen – wie die Brandstifter am Dachstuhl  – noch lange nicht, dass alle, die sich darüber freuen, geächtet werden. Denn das würde ja auch die Brandstifter in Amtsstuben oder ganz normale Bürger beim Brandredenhalten auf Demos treffen! Und das ginge dem Herrn Schmökel eindeutig zu weit.

Angriffe, Beleidigungen und Drohungen gegen Flüchtlinge

Schließlich gibt es noch viele andere Orte in Sachsen-Anhalt, in denen flüchtlingsfeindliche Geschichten laufen, wie Angriffe, Beleidigungen, Drohungen mit und ohne Demos gegen Flüchtlinge, Einwanderer oder Menschen, die sich mit ihnen solidarisieren. Wenn man sich vorstellen soll, dass es sich hierbei stets um Rechtsextremismus handelt, selbst wenn er aus dem Mund des normalen Bürger spricht, dann hätte das Land ja ein echtes Problem. Oder eben nicht, wenn Rechtsextremismus als diskreditierte politische Richtung gilt. Dann sind die Nazis die Opfer und die anderen, einschließlich der Flüchtlinge eine Provokation, ohne die über das schöne Burgenland mit seiner bestens verankerten Naziszene jetzt nicht so viel Böses geschrieben würde.

Aber es gibt ja nicht nur den Herrn Schmökel, da sind auch all die anderen, die in Tröglitz und überall den Mund gegen solcherlei Unsinn aufmachen und sich nicht einschüchtern lassen. Was für ein Glück zu sehen, wie diese Engagierten in der Gesellschaft und der Verwaltung standhalten! Vor einigen Jahren wäre dies kaum passiert und noch seltener öffentlich so positiv zur Kenntnis genommen worden. Die Topographie des Terrors durch Rechtsextreme und ihre Unterstützer betraf ja nicht nur größere Ereignisse und Städte wie Rostock, Hoyerswerda oder Eberswalde. Es waren und sind auch die vielen kleinen Orte, an denen gebrandschatzt, geprügelt, beleidigt, gehetzt und getötet wurde und wird. Letzten Samstag marschierte eine rechte Bürgerwehr durch Güstrow mit denselben Leuten, die auf Demos flüchtlingsfeindlichen Rassismus propagieren. Wer erinnert sich noch an Pretzin, wo die Tagebücher der Anne Frank beim Volksfest verbrannt wurden? Oder Dessau, wo Alberto Adriano erschlagen wurde? Oder Merseburg, wo Schauspieler zusammengeschlagen wurden. Gollwitz, wo ein Schloss für Begegnungen der vielfältigen Art ausgebaut wurde, weil die Bürger dort partout keine Juden aus der ehemaligen Sowjetunion aufnehmen wollten? So ginge es weiter in Ost, West, Nord und Süd. Tröglitz.

Der Hass war immer da

Ist das Glas nun halbleer oder halbvoll? In einer besseren Welt wäre Tröglitz ausschließlich eine Katastrophe. In unserer steckt darin Hoffnung. Ein Paradoxon? Hoffnung heißt: auch die Polizei wird in Zukunft auf Rassismus in den eigenen Reihen achten, immer mehr Bürger und Bürgermeister werden öffentlich Haltung zeigen und nicht vor Rassisten zurückweichen und die Öffentlichkeit wird keinerlei Zweifel daran lassen, dass Hass verbal, viral oder physisch nicht Politik und Gesellschaft vor sich her treiben darf.

Die Amadeu Antonio Stiftung arbeitet wie viele Netzwerke seit vielen Jahren an diesen Fragen. Rechtsextremismus ist in dieser Arbeit Alltag. Hass und Drohungen auch. Etwas anderes zu erwarten, wäre wirklichkeitsfremd. Dass der Hass nun auch für Menschen sichtbar wird, die bisher damit nichts zu tun hatten, ist gut. Das Erstaunen mag zunächst groß sein und der Schreck darüber auch. Doch war der Hass immer da. Er ist nicht gerade erst entstanden. Wehe denen, die ihn von jeher fühlen mussten oder spüren konnten. Sie können ihn jetzt wenigstens teilen, so wie die Furcht und die Scham, den dieser Hass auslöst. Wenn die Gesellschaft in Deutschland das versteht, dann kann sie auch über das Positive staunen. Über die Tapferen in Tröglitz. Auch dieses Tröglitz ist überall. Aber vielleicht noch nicht genug gegen das gewaltige Ausmaß des Hasses. Deshalb die Frage:  Ist das jetzt halbvoll oder halbleer? Ist das wichtig?

Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).

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