Ein Beitrag von Verena Grün im Auftrag vom Netzwerk für Demokratie und Courage, Landesnetzwerk Hessen
Die Aktivitäten der extremen Rechten in Hessen blieben auch 2012 auf eher niedrigem, aber kontinuierlichem Niveau. In Hessen wurden verschiedene kleinere Aktionen durchgeführt, es gab Gewalttaten und Prozesse, hessische Neonazis beteiligten sich an vielen Aufmärschen in anderen Bundesländern. Doch die hessische Szene bleibt mobilisierungsschwach, die Zusammenarbeit zwischen NPD und Freien Kräften funktioniert nur sehr bedingt und mit der Gründung eines Landesverbands der Partei „Die Rechte“ und dem Auftritt der „Identitären Bewegung“ ergibt sich neues Konfliktpotenzial.
Fackelmarsch der JN
Für den 10. November rief die JN Hessen zu einem Fackelmarsch nach Hünfeld bei Fulda auf. Ein Verbot des Aufmarschs durch den Bürgermeister scheiterte vor dem Verwaltungsgericht Kassel. Dennoch reisten nur 80 Neonazis, größtenteils aus Hessen und Niedersachsen, an. Das Motto lautete „Damals wie heute – Freiheit erkämpfen”. Einen Tag nach dem Jahrestag der Novemberpogromen durchaus doppeldeutiger Slogan. Ein direkter Bezug darauf wurde von den Rednern jedoch vermieden. Man wolle an den Mauerfall und das Ende der DDR erinnern, daher habe man auch Hünfeld gewählt, als einen Ort ganz in der Nähe der damaligen innerdeutschen Grenze. Die Symbolik des Fackelmarschs und ein Transparent, auf dem SA-Männer abgebildet waren, weckten jedoch andere Assoziationen.
Während aus dem übrigen Hessen nur vereinzelt Aktivist_innen nach Hünfeld kamen, war Osthessen relativ stark vertreten. Mit der seit diesem Jahr in Erscheinung tretenden „Bruderschaft Hessen“, die sich in Fulda und Hanau zu verorten scheint, und dem neu auftauchenden „Sturm Fulda“ reisten zwei osthessische Kameradschaften mit eigenem Transparent an.
Im Vorfeld des Aufmarschs hatte der JN-Landesvorsitzende Martin Braun dem DGB in Fulda einen Besuch abgestattet. Unter falschem Namen und mit angeblichen Problemen in der Ausbildung wollte er sich anscheinend einen Eindruck vom „politischen Gegner“ verschaffen.
„Solidarität“ mit den verbotenen Kameradschaften aus NRW
Als Reaktion auf die Verbote von vier nordrhein-westfälischen Kameradschaften organisierten die Nationalen Sozialisten Ried am 25. August in Bensheim (Südhessen) einen Aufmarsch unter dem Motto „Gegen staatliche Repression – für echte Meinungsfreiheit“. Zu der nur intern beworbenen und als Eilversammlung angemeldeten Veranstaltung kamen 30 Neonazis aus der Region. Da nichts im Vorfeld bekannt geworden war, konnten sie ungestört durch die Innenstadt ziehen.
In der folgenden Woche offenbarte die Lokalzeitung „Starkenburger Echo“ eine ganz eigene Art journalistischer Absurdität: Ein Mitarbeiter führte ein telefonisches Interview mit dem Veranstalter. Teile des Interviews wurden in Textform völlig unkritisch unter der Überschrift „Der Organisator gibt Auskunft“ veröffentlicht.
Am Tag des verbotenen „Nationalen Antikriegstags“ in Dortmund beteiligten sich Mitglieder des Freien Netz Hessen an einer Kundgebung gegen die erlassenen Verbote in Erfurt.
Ein für den 1.September angekündigter Protest gegen das Verbot der von der hessischen JN kurzfristig angemeldeten Demonstration in Bad Arolsen wurde ohne Begründung wieder abgesagt.
Die NPD
Die NPD in Hessen kämpft weiterhin mit Mitgliederschwäche, Schwierigkeiten in bzw. Inaktivität von Kreisverbänden und internen Unstimmigkeiten. Daran änderte sich auch unter dem neuen Landesvorstand mit Daniel Knebel als Vorsitzendem nichts. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger, Jörg Krebs, der eher als Lückenbüßer galt, tritt Knebel immer wieder als Redner außerhalb Hessens in Erscheinung und ist stärker in die hessische Naziszene eingebunden. Doch weiterhin verharrt die Partei in Lethargie und ist mit sich selbst beschäftigt.
Vereinzelt gab es öffentliche Aktionen, man beteiligte sich beispielsweise an den Aktionstagen gegen den Euro mit Infoständen und Flugblattverteilungen – teilweise mit Eselsmasken.
Die Stationen des Flaggschiffs, das im Sommer mit NPD-Aktivisten durch Deutschland tourte und täglich zwei Kundgebungen durchführte, waren in Hessen nur kümmerlich besucht. Regionale Beteiligung gab es kaum.
Auch zu den zwei Kundgebungen anlässlich des Tags der offenen Moschee am 3. Oktober ließen sich kaum Mitglieder aktivieren.
Die JN wählte einen neuen Landesvorstand und Landesvorsitzenden. Diese Neubesetzung scheint zu einer kleinen Belebung der Struktur geführt zu haben. Neben der Teilnahme an verschiedenen überregionalen Aufmärschen mit eigenem Transparent (u.a. in Hamburg und Bad Nenndorf) und der Organisation des Fackelmarschs, wurde im Sommer auch ein Zeltlager am Edersse (Nordhessen) durchgeführt.
Gründung „Die Rechte“ Hessen
Gestern NPD-Bürgermeisterkandidat, heute Vorsitzender der Konkurrenz: So ließe sich die Karriere von Pierre Levien beschreiben. Bis vor kurzem war er Kreisvorsitzender im Main-Kinzig-Kreis, trat sogar für die NPD zur Bürgermeisterwahl in Gelnhausen an, dann verließ er die Partei im Streit und gründete einen Landesverband der Partei „Die Rechte“. Diese von dem langjährigen Neonazi Christian Worch im Mai gegründete Partei hat bisher nur einen weiteren Landesverband: in Nordrhein-Westfalen, wo Mitglieder der verbotenen Kameradschaften den Landesverband gründeten.
Nicht nur ist der NPD damit ein relativ aktiver Parteimann weggebrochen, auch könnte die neue Partei weitere mit der NPD unzufriedene Mitglieder abwerben und nicht zuletzt die szeneinternen Differenzen weiter vertiefen.
Echzell
In den beiden letzten Jahren hat Patrick Wolfmit seinen „Gaskammer-Partys“ makabre Berühmtheit erlangt. Im Frühjahr dieses Jahres erweiterte sich sein umfangreicher Anklagenkatalog um einen Verstoß gegen das Waffen- und das Kriegswaffenkontrollgesetz Die Waffen waren bereits im Vorjahr gefunden worden, worüber die Öffentlichkeit nicht informiert worden war.
Nach 15 Verhandlungstagen wurde Wolf am 3. Dezember wegen Drogenhandels, Beleidigung, Volksverhetzung und Verstößen gegen das Waffengesetz zu einer Haftstrafe von sechs Jahren und drei Monaten verurteilt.
Die „Identitären“
Die sogenannte Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) trat in Frankfurt zum ersten Mal aus dem virtuellen in den öffentlichen Raum – allerdings nur zu dritt. Bei der Eröffnungsveranstaltung der Interkulturellen Wochen in Frankfurt platzten drei junge Männer in den Saal und tanzten zu lauter Musik aus einem mitgebrachten CD-Player. Sie trugen Masken sowie Schilder mit der Parole „Multikulti wegbassen“ bzw. dem Kürzel IBD. Nach wenigen Minuten waren sie wieder verschwunden, ein selbstgedrehtes Video der Aktion mit dem Titel „Tanz die reconquista“ wurde schnell bei YouTube eingestellt. Bereits in den Wochen vorher waren etliche Facebook-Profile von Gruppen der „Identitären“ aus verschiedenen Städten deutschlandweit aus dem Boden geschossen. Eine Einordnung fällt derzeit noch schwer. Es bestehen Verbindungen in die Neonazi-Szene, aber auch zum Rechtspopulismus.
Am 1. Dezember fand ebenfalls in Frankfurt ein erstes Treffen statt, nach Eigenangaben mit 50 Teilnehmenden aus Deutschland, Österreich und Italien. Bestandteil des Treffens war eine ähnliche Tanzaufführung – dieses Mal vor einer Frankfurter Moschee.
Rassistische Polizeigewalt
Im Oktober sorgte ein rassistischer Vorfall in Frankfurt für große mediale Aufmerksamkeit. Dieses Malwaren allerdings keine organisierten Neonazis beteiligt, sondern Fahrkartenkontrolleur_innen und Beamte der Polizei. Der Deutsch-Äthiopier Derege Wevelsiep, seine Verlobte und ihr Kind wurden im Anschluss an eine Fahrkartenkontrolle von den Kontrolleur_innen und der Polizei drangsaliert und mit den Worten: „Ihr seid hier nicht in Afrika“ rassistisch beleidigt. Die von den Kontrolleur_innen hinzugerufenen Polizeibeamten nahmen Wevelsiep fest, , schlugen und traten ihn und verschafften sich unerlaubt Zugang zu seiner Wohnung, um den Ausweis, den er nicht bei sich getragen hatte, zu holen. Seine Verlobte fand Wevelsiep später bewusstlos im Schlafzimmer, worauf hin er in ein Krankenhaus eingeliefert wurde.
Der Vorfall ist leider kein Einzelfall, weshalb Amnesty International und hessische Politiker der Grünen, SPD und der Linken sich für eine unabhängige Beschwerdestelle aussprechen. Dieser Vorschlag wurde vom hessischen Innenministerium abgelehnt. Die Polizei, gegen deren Beamte Wevelsieps Anwalt Strafanzeige erstattet hat, und die zuständige Staatsanwaltschaft verweigern bisher jegliche Stellungnahme. In Hessen sorgte der Fall damit lediglich für eine kurze Diskussion um rassistische Polizeigewalt. Die Zivilgesellschaft demonstrierte gegen Rassismus in deutschen Behörden.
Erwartungen für 2013
Für 2013 sind keine größeren Veränderungen in der hessischen Neonaziszene zu erwarten. Interessant bleibt jedoch das Verhältnis zwischen NPD und Die Rechte. Neben den Bundestagswahlen stehen in Hessen auch Landtagswahlen an. Die Ergebnisse der NPD sind bis auf wenige Kommunen äußerst niedrig. Auch hieran dürfte sich nichts ändern. Lediglich der Wahlkampf könnte zu zunehmenden Aktivitäten der NPD und JN führen.
Wahrscheinlich mit Blick auf den Wahlkampf plant die NPD am 1. Mai eine „Großkundgebung“ in Frankfurt. Auch hier wird sich ablesen lassen, ob es der Partei gelingt, ihre Attraktivität und Mobilisierungsfähigkeit zu steigern.
Ein weiterer Faktor, der Bewegung in die Szene bringen könnte, ist das angestrebte NPD-Verbot.
Als sicher kann demgegenüber angenommen werden, dass sich am gesamtgesellschaftlichen Rassismus – und damit auch dem polizeilichen – leider! nichts ändern wird. Aber vielleicht gelingt es mit den Nachwirkungen des NSU und dem jüngsten Vorfall in Frankfurt, Sensibilität und Solidarität zu steigern.
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