Obwohl das Grab von Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß bereits vor drei Jahren aufgelöst wurde, pilgern Neonazis noch immer jedes Jahr für ihr „Heldengedenken“ in das oberfränkische Wunsiedel. Bislang konnten sie dort zumeist ungestört demonstrieren, Proteste in unmittelbarer Nähe zur Route waren in der Vergangenheit jedenfalls kaum möglich. Lediglich weit entfernt konnten die Bürgerinnen und Bürger der Stadt bisher Flagge gegen den rechten Spuk zeigen. Beeindruckt hat die rechtsextreme Szene das aber wenig bis gar nicht. Für das zwischenzeitlich verbotene „Freie Netz Süd“ (FNS) war die Demonstration unter anderem auch wegen der Ungestörtheit seit jeher fester Bestandteil im braunen Veranstaltungskalender.
Doch 2014 wurden die Pläne der Neonazis erstmals durchkreuzt. Nachdem es keine Chance auf eine Verhinderung der rechtsextremen Aktion gegeben hat, haben die Wunsiedler nämlich kurzerhand zu einer kreativen Protestidee gegriffen: Mit finanzieller Unterstützung lokaler Unternehmen und einiger Privatpersonen hat die Projektstelle gegen Rechtsextremismus in Bad Alexandersbad gemeinsam mit zahlreichen Initiativen sowie engagierten Bürgerinnen und Bürger das martialisch inszenierte „Heldengedenken“ der circa 200 Neonazis einfach umfunktioniert – zum „unfreiwilligsten Spendenlauf Deutschlands“. Das Konzept war genauso simpel wie genial: Pro Meter, den die Neonazis zurückgelegt haben, wurden jeweils 10 Euro gespendet, die der Aussteigerorganisation „EXIT Deutschland“ zugute kamen. Gestärkt mit „deutschen Bananen“ und angefeuert durch Banner wie „Auf die Nazis, fertig los“, „Zäh wie Leder, hart wie Kruppstahl – und so lauft ihr auch“ oder „Endspurt statt Endsieg“ erkämpften die Neonazis am Ende insgesamt mehr als 10.000 Euro für die Berliner Organisation.
Auch wenn die Szene die Aktion weitgehend zu ignorieren versuchte, erwies sich der Protest trotzdem als Geniestreich, der die Neonazis einem noch nie dagewesenen Spott ausgesetzt hat. Innerhalb kurzer Zeit schlug die Aktion bundesweit Wellen; in diversen großen Medien wurde der Protest ebenso bejubelt wie in Sozialen Netzwerken. Schnell waren die Neonazis um die Partei „III. Weg“ mit beispielloser Häme konfrontiert, die inzwischen auch in internationalen Medien wie der BBC, dem Guardian, der Washington Post oder dem Rolling Stone über die Szene hereinbricht. Sogar im weit entfernten Australien wird die Aktion mittlerweile amüsiert zur Kenntnis genommen. Für die Neonazis selbst dürfte der Aufmarsch indes zu einem Debakel geworden sein, denn aus der theatralischen Inszenierung wurde eine riesige Lachnummer — ohne dass sie dem auch nur im geringsten hätten entgegenwirken können.
Eine dieser Engagierten, die den Neonazis unter dem Motto „Rechts gegen Rechts“ ihren Tag vermiest haben, ist Svenja Fassbinder, die mit ihrer Partnern von der Jugendinitiative Wunsiedel an der Gestaltung der Aktion mitgewirkt hat. Im Gespräch mit Belltower.news erklärt sie nun die Hintergründe des ungewöhnlichen Protests und zieht eine erste Bilanz zur Aktion.
Frau Fassbinder, die von ihnen mitorganisierte Aktion, bei der Neonazis unfreiwillige 10.000 Euro für die Aussteigerorganisation „EXIT Deutschland“ gesammelt haben, hat bundesweit und international für viel Aufsehen gesorgt. Doch wie kam es überhaupt zu der Idee für diesen ungewöhnlich Protest gegen den jährlichen Aufmarsch?
Die Idee für die Aktion gab es schon vor eineinhalb Jahren. Das war damals ein Aktionstag mit EXIT im örtlichen Jugendzentrum mit Mo Asumang. Und dieses Jahr konnte die Idee realisiert werden. Im Vorfeld wurde mit einer Eventagentur aus Hamburg Kontakt aufgenommen. Die haben die Plakate und alles Zubehör, was wir brauchten, organisiert und auch für die Verbreitung über Medien gesorgt. So ist das entstanden.
Nach der Idee steht ja bekanntlich immer die konkrete Planung an. Skizzieren Sie uns doch bitte, wie die Umsetzung erfolgt ist — vom Anfang bis zum Ende der Vorbereitungen?
Zunächst brauchten wir Spendengelder für die Protestaktion, die entweder von Privatpersonen aus ganz Deutschland oder aus der lokalen Wirtschaft gekommen sind. Ein großer Betrag kam noch von uns, der Jugendinitiative, hinzu. Es ist kein Geld vom Staat gewesen, sondern es kommt wirklich von privaten Leuten oder aber aus der Wirtschaft, die ein Zeichen gegen Rechtsextremismus und für EXIT setzen wollten. Die Aktion selbst haben wir bis zum Morgen des fraglichen Tages geplant; bis dahin wusste nur ein sehr begrenzter Kreis davon, was am 15. November ablaufen wird. Erst am Morgen des Tages haben wir dann auf der Strecke Plakate angebracht und Markierungen für den Spendenlauf auf die Straße gesprayt. Wir sind immer noch ganz aus dem Häuschen, dass das am Ende alles problemlos funktioniert hat. Denn schließlich wussten wir am Abend vorher, als wir den ganzen Tag vorbereitet und geplant haben, noch nicht, ob es wirklich funktioniert. Das Gelingen dieser konspirativ geplanten Aktion ist natürlich Teil der Freude, die wir jetzt mit dieser Aktion haben.
Nun liegt die Aktion inzwischen ja schon einige Tage zurück und es war Zeit für eine erste Bilanz: Wie fällt die aus? Sind Sie mit der Protestaktion und deren Verlauf denn zufrieden?
Ich bewerte die Aktion als zu 100 Prozent erfolgreich. Seit Samstag, als die Nachricht ins Netz gegangen ist, kommen bei uns jeden Tag unzählige neue Meldungen rein, wo dazu denn was erschienen ist. Inzwischen hat selbst die „Washington Post“ in den USA und der britische „Guardian“ berichtet – es kommt fast so rüber, als würde die ganze Welt über die Aktion schmunzeln. Und wir haben größtenteils echt positive Resonanz bekommen, wo es zum Beispiel heißt: Hey, das war ja mal eine ganz neue Idee. Das war ja auch, was wir wollten: Den Neonazis nicht mit Blockaden oder etwas ähnlichem, sondern einmal mit Spott entgegentreten: „Hey, ihr lauft gegen euch selbst!“ Wir wollten sie damit in einen Zweispalt drängen: Entweder sie wären nicht gelaufen, was ja auch ein großer Erfolg für uns gewesen wäre, oder – wie sie es gemacht haben – sie sind gelaufen, und machen sich vor ganz Deutschland, vor ganz Europa und vor der ganzen Welt zum Deppen, weil sie für den eigenen Ausstieg gelaufen sind. Insofern bewerte ich das als sehr, sehr positiv.
Haben Sie denn im Vorfeld der Aktion mit dieser großen internationalen Resonanz gerechnet?
Wir haben im Vorfeld natürlich spekuliert und gehofft, dass es deutschlandweit Resonanzen geben wird. Aber dass es so einschlägt, hätten wir uns wirklich nicht vorstellen können. Als wir am Samstagabend in dem kleinen Büro gesessen haben, in dem wir uns um die Internetpräsenz der Aktion gekümmert haben, haben plötzlich Lena Meyer-Landrut und Hans Sarpei die Aktion auf Facebook geteilt – also Berühmtheiten! Da waren wir dann ganz aus dem Häuschen. Und dann hat sich die Präsenz der Aktion von Tag zu Tag sogar noch gesteigert, es gab Artikel in immer größeren Zeitungen. Wir sind immer noch überrascht, was jetzt jeden Tag passiert.
Neben Lob gab es auch Kritik. So wurde beispielsweise bemängelt, dass mit der Spendenaktion der Aufmarsch toleriert und bejubelt wurde und ihr ja sogar vom Marsch der Nazis profitiert hättet. Ist das berechtigt?
Das weise ich wirklich von mir. Blockaden haben auch ihre Berechtigung. Aber eine Blockade-Aktion funktioniert in Wunsiedel nicht. Das haben diverse Initiativen in letzten Jahren oft versucht, aber die Polizei konnte immer verhindern, dass Gegendemonstranten auf die Strecke kommen. Daher finde ich unseren kreativen und innovativen Weg sinnvoll. Denn wir haben den Spieß umgedreht. Es war deutlich, dass es die Nazis wirklich genervt hat, dass sie gelaufen sind. Die waren hinterher auch so schnell weg, wie schon lange nicht mehr, sind schnell in die Busse gestiegen und weg waren sie. Auch deswegen glaube ich, dass die Aktion viel gebracht hat.
Jetzt ist der Aufmarsch ja vorerst vorbei, die Spendengelder sind eingesammelt. Wie geht es nun weiter? Planen sie bereits wieder für das kommende Jahr eine neue Protestaktion?
Wir gehen davon aus, dass die Nazis nächstes Jahr wieder einen Marsch anmelden, auch wenn die Zahl der Teilnehmer eigentlich lächerlich ist. Es wird dann sicher auch wieder eine Gegenaktion geben, doch geplant ist noch nichts. Bewährt hat sich für uns die Kooperation mit EXIT, die haben uns toll unterstützt. Müde werden wir auf jeden Fall nicht — gerade mit dem Hype im Rücken.
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