Die aktuellen Umfrage-Prognosen zur kommenden Landtagswahl in Sachsen-Anhalt sind, aus demokratischer Sicht, dramatisch: AfD und CDU liefern sich in der Gunst der Wähler*innen ein Kopf-an-Kopf-Rennen, und die AfD hat Chancen, es auch zu gewinnen (vgl. dawum.com). Und dies, obwohl – oder auch: weil – die AfD in Sachsen-Anhalt ein offen rechtsradikales Wahlprogramm vorlegt und dies kaum mehr zu verschleiern versucht, anders als noch bei den Landtagswahlen im März in den westlichen Bundesländern Baden-Württemberg (Querdenker-Fokus) und noch mehr in Rheinland-Pfalz (scheinbürgerlicher Fokus). Erfolgreich waren beide Modelle nicht (vgl. Belltower.News).
Wobei die Facebook-Seite der AfD Sachsen-Anhalt noch aussieht, als gelte es 2021, „Inhalte zu überwinden“, wie es einst „Die Partei“ als Satire verbreitete. Wahlkampf-Veranstaltungen haben nicht einmal mehr einen Titel oder ein Thema, ein müdes „Widerstand an der Wahlurne“ hier und ein „Für unsere Heimat“ da scheint die Hauptbotschaft – den Wähler*innen macht das wenig:
Der Instagram-Account wird offenbar von Fans von Hans-Thomas Tillschneider betrieben, hier finden sich jedenfalls viele Tillschneider-Sharepics mit vielen Emotionen: Tillschneider schimpft auf „Barbaren“ (das aktuell gewählte Parlament) und „traurige Figuren“ (Studierende, die die AfD nicht aufs Podium setzen wollen), die AfD schimpft auf „Deutschenhasser“, „Kinderquäler“ und den Deutschen Ärztetag, der Kindern eine „Massenimpfung“ verpassen wolle.
Aber was will die AfD in Sachsen-Anhalt, in der Zukunft?
Im Wahlwerbespot der Partei nutzt die AfD Sachsen-Anhalt den Rahmen, den sich die Gesamtpartei auch zur Bundestagswahl gesetzt hat: „Deutschland, aber normal“, hier also in „Sachsen-Anhalt, aber normal“. Dies lässt sich so zusammenfassen: „Normal“ sind Familie, Feiern, nah an anderen stehen (ohne Infektionsschutz), zur Arbeit gehen, sichere Grenzen, (aber?) „freie Fahrt für freie Bürger“, Nationalismus. Nicht normal sind: Lockdown und Corona. Total verrückt sind: Klimaschutz, Demonstrationen, Antifa, G20-Proteste. Die haben zwar nichts mit Sachsen-Anhalt zu tun, aber die Bilder nutzt die AfD so gern.
So weit, so vorhersehbar, so wenig aussagekräftig. Ein Online-Video soll das Wahlprogramm in 90 Sekunden zusammenfassen. Hier wird zu Beginn die Gruppe der Pandemieleugner*innen umgarnt: „Selbstbestimmtes Leben“ statt Lockdown, Läden auf, Schulen auf, alles auf. Die AfD benennt sich als Akteur, der wichtige Themen anspreche, auch wenn die nicht „politisch korrekt“ wären. Dazu gehört eine Zukunft für das „deutsche Volk“ (als wenn das jemand in Abrede gestellt hätte) und Demonstrationsteilnahmen auf rechtsradikalen und verschwörungsideologischen Demonstrationen, die als „Bürgerdialoge“ mit „dem Volk“ geframet werden – im östlichen Bundesländern nur echt mit „Wir sind das Volk“-Sprechchören im Hintergrund. Dann kommen eine Menge sehr teurer Sozialversprechen (kostenlose Kitas, mehr Rente, mehr Ärzte, schnelles Internet), die angeblich alles möglich wären, wenn der Staat die „linksextremen Versorgungsnetzwerke“ „der Antifa“ beenden würde und „illegale und straffällige Migranten“ abschieben würden. Rechnen ist wohl nicht die Stärke der AfD.
Die AfD Sachsen-Anhalt scheint darauf zu setzen, dass das die maximale Recherchetiefe ihrer Wähler*innen ist. Zumindest derjenigen, die die AfD wählen, weil sie die demokratischen Parteien nicht wählen wollen: Denn die AfD hat in Sachsen-Anhalt laut den Umfragen nicht wirklich Wählerstimmen dazugewonnen – die CDU hat sie verloren, und die anderen demokratischen Parteien sind trotz Zuwächsen bisher schwach.
Denn ein Blick ins Wahlprogramm zeigt die voranschreitende Rechtsradikalität der Partei. Bisweilen klingt das Programm wie eine aufgepeitschte und hasserfüllte Telegram-Kommentarspalte, die mutmaßlich auch die Zielgruppe ist.
Rassismus
Dann ist die Rede von „zehntausenden Wohlstandsmigranten“, die „die Regierung“ „geholt“ habe, oder von „Gewaltkriminalität durch zügellose Masseneinwanderung“, jeweils in Verbindung gebracht mit einem einzigen Fall in Sachsen-Anhalt, in dem Versagen der Justiz zu Empörung führte. Man brauche „Schulen statt Flüchtlingsheime“.
Später im Programm heißen Migrant*innen nur noch „Asylforderer“ und die Menschenverachtung und der Rassismus werden ausbuchstabiert. Geflüchtete sollen etwa in Waldrandheimen wie in den 1990er untergebracht werden („von Innenstadtlagen ist (…) Abstand zu nehmen“) und nur mit Sachleistungen versorgt und dann schnellstmöglich abgeschoben werden. Jede Art von Maßnahmen, die einer Integration und Verständigung dienen, seien „Willkommenspropaganda“ und sollen gestoppt werden, denn die Geflüchteten sollten sich auf keinen Fall heimisch fühlen und deshalb sollten sie auch unter keinen Umständen eingebürgert werden.
Und als wäre es nicht menschenverachtend genug, dass Menschen, die vor Krieg Schutz suchen, traumatisiert in Heime gepfercht werden sollen, um sich dort möglichst unwohl zu fühlen – die AfD hat auch ganz spezielle Gedanken zu den Kindern, die sie womöglich mitbringen. Diese Kinder, so sagt es die AfD, sollen auf keinen Fall mit deutschen Kindern zusammen unterrichtet werden, sondern in Sonderklassen in Flüchtlingsunterkünften durch geflüchtete Lehrer*innen passend zu „Lehrinhalten in ihrer heimischen Schule“ – denn: „Flüchtlingskindern“ soll „so die Botschaft vermittelt werden, dass ihr Aufenthalt in Deutschland nur ein vorrübergehender ist.“
An anderer Stelle verweist die AfD darauf, dass es in Deutschland „echten Rassismus kaum noch gibt“ und es deshalb keine Antirassismusprogramme brauche. Denn wenn Kinder erleben, dass Sensibilität gegenüber Abwertungen und Einsatz gegen Ungerechtigkeit allen in der Gesellschaft hilft, passiert laut AfD folgendes: „Unter dem Deckmantel, Rassismus zu bekämpfen, wird gegen legitime rechte und patriotische Einstellungen vorgegangen. Schüler werden unter Druck gesetzt, sich der Vorherrschaft linker Ideen zu beugen. So fördert das Programm [gemeint ist das ausgezeichnete „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“] keinen Mut, sondern Duckmäusertum und Konformismus.“ So viel Projektion in so wenigen Sätzen.
LGBTIQ*-Feindlichkeit und Familienbild
Die AfD mag kein „unnatürliches Familien- und Gesellschaftsbild“, und das entsteht offenbar, wenn Kinder erfahren, dass es auch gleichgeschlechtliche Liebe und Gleichberechtigung von Mann und Frau gibt. Deshalb wird gegen Sexualkundeunterricht gewettert, der dies einschließt (hier: „perverse Frühsexualisierung“), und gegen die „Wahnidee“ eines „Gender Mainstreaming“ (also die Umsetzung der Gleichstellung von Frauen und Männern). Damit „nehmen linke Ideologen die Seelen unserer Kinder ins Visier“, heißt es mahnend. Man brauche Geld für Familien statt für „Gender-Indoktrination und Antirassismusprogramme“. Denn der „linke Zeitgeist zersetzt (…) das tradierte Leitbild von Familien“, und das passiert übrigens schon, wenn ein Fernsehsender ein Interview mit zwei jungen Frauen zeigt, die sich persönlich dafür entschieden haben, keine Kinder bekommen zu wollen (steht so im Wahlprogramm). Das sei schon Propaganda im Stil von „Still loving Volkstod“. Was für ein fragiles Weltbild.
Mit dem Geld soll es eine „Willkommenskultur für Kinder“ geben und hohe Gebährpräminen pro Kind – ab 2.000 Euro aufwärts –, aber nur für deutsche bzw. sachsen-anhaltinische Kinder. Statt Gleichstellungsbeauftragte solle es Familienbeauftragte geben, die alles auf Familienfreundlichkeit testen (und dann?). Rechte bekommen die Kinder allerdings nicht, denn die Einführung von Kinderrechten hält die AfD für Bevormundung von Eltern. Elternrechte, die sollen in die Landesverfassung! Und zwar sollen die beinhalten, dass der „übergriffige Staat“, Eltern nicht die „Erziehungshoheit streitig“ mache – was aktuell nur bei Kindeswohlgefährdung der Fall ist, die die AfD damit wohl gutheißt.
Sehr schön auch später im Programm der Absatz zur Gleichstellungspolitik von Universitäten. Weil die vorsieht, qualifizierte Frauen einzustellen, wenn sie sich bewerben, sieht die AfD „systematische Privilegierung von Frauen“, die nicht etwa einen bisherigen Missstand auszugleichen versuche, sondern gezielt Männer diskriminiere: „Männer werden entmutigt, eine akademische Karriere zu verfolgen. (…) Das Niveau der akademischen Leistung sinkt, die Wissenschaft nimmt Schaden“. Denn mit Frauen ist Wissenschaft offenbar nicht zu machen.
Demokratie = Linksextremismus
In Sachsen-Anhalt ist „Linksextremismus“ offenbar Feindbild Nummer eins, etwa als „linke Vereinsmafia“, die durch „linke Programme“ (für Demokratie) finanziert werde und „Krieg gegen die eigene Bevölkerung führe“ (was heißt, dass etwa Rassismus oder Antisemitismus öffentlich kritisiert werden). Das mit dem Krieg treffe aber auch auf „die Regierung“ zu, die „jeden Bürger, der grundsätzliche Kritik übt, als ‚Rechtsextremisten‘ oder ‚Verschwörungstheoretiker‘ diffamiert“. Wobei die AFD offen lässt, ob für sie zur ‚grundsätzlichen Kritik‘ auch der Wunsch nach einem Systemsturz gehört oder wo sie die Grenze ziehen würde.
Der Vorwurf trifft auch renommierte staatliche Strukturen wie die Landeszentrale für politische Bildung, die sei auch eine „linke Indoktrinationsanstalt“, wenn sie sich für Demokratie einsetze. Die AfD will stattdessen ein „Landesinstitut für staatspolitische Bildung und kulturelle Identität“ [sic]. Wenn das nicht nach Gedankenpolizei klingt, was dann?
Ebenfalls „linksradikal“ übrigens: Der Verfassungsschutz. Denn der schütze nicht die freiheitlich-demokratische Grundordnung, sondern nutze jeden Vorwand, „um die Opposition, vor allem die patriotische Opposition, zu diskreditieren und zu schwächen.“ Er beobachte jeden, der sich gegen die „linkradikalen Kerndogmen der Altparteien“ (aka Demokratie) wende. Hier zeigt das Weltbild mit den vielen Feinden plötzlich recht paranoide Züge. Als potenziell verfassungsfeindlich soll übrigens zukünftig nur noch beobachtet werden, wer Gewalt anwende oder Gesetze breche (also niemand, denn dann greift ja schon das Strafrecht). Ein besonderer Dorn im Auge, aus der eigenen Perspektive verständlich, ist der AfD die „Kontaktschuld“, „wonach jeder, der mit einem Extremisten Umgang pflegt, selbst des Extremismus verdächtigt wird.“ Das mag sie nicht, wenn ihr Kontakte zu Rechtsextremen vorgeworfen werden – macht es andererseits bei demokratischen Institutionen selbst sehr gern.
Behindertenfeindlichkeit
Die wird im Wahlprogramm explizit ausgeschlossen. Behindertenfeindlichkeit, das will die AfD nicht! Allerdings will sie auch nicht, dass Kinder mit Behinderungen in die gleichen Schulen gehen wie Kinder ohne Behinderung. Und die vielen Behindertenparkplätze seien auch ein Ärgernis in den Innenstädten, müsse das denn sein – die sind zu streichen.
Klimaschutz
Das Weltklima sei doch nicht in Sachsen-Anhalt zu retten. Deshalb lieber weiter Kohleindustrie und billige Strompreise und Heizöl statt Klimaschutz. Und Lastenfahrräder seien auch Teil der „Klimaideologie“ und nichts Gutes, wird später explizit ausgeführt.
Um das Umweltthema dann nicht ganz zu verleugnen, finden sich im Wahlprogramm Sätze wie: „Der Schutz von Flora, Fauna und Boden gehört zum ureigensten konservativen Denken.“ Heimatschutz war auch beliebt als Teil der Blut-und-Boden-Ideologie im Nationalsozialismus, aber das wollte die AfD wohl lieber nicht schreiben. Dabei ist der ganze Absatz von rechtsextremen Umweltschutzdiskursen der 2000er abgeschrieben: Es geht noch um Schächtverbot (d.i. eigentlich Muslimfeindlichkeit und Antisemitimus) und darum, „Raumfremde Arten zurückzudrängen“ – gemeint sind nicht-einheimische Tier- und Pflanzenarten.
Patriotismus fördern
Die AfD betont sich wieder und wieder als eine Partei der Freiheit: „Wir brauchen keine Politik, die (..) uns bevormundet und uns vorschreibt, was wir zu denken haben; eine Politik, die gesunde Einstellungen wie Familiensinn und Nationalgefühl bekämpft, als wären sie eine Gefahr; eine Politik, die Wahnvorstellungen propagiert, Angst verbreitet und Panik schürt, um ihre Maßnahmen zu rechtfertigen.“ Man fordere „unsere volle Meinungsfreiheit und all unsere Bürgerrechte zurück.“
Dieses autonome, ungehinderte Freidenken hat allerdings Grenzen: Im Kunst- und Kulturbetrieb soll dann Schluss damit sein.
Zwar sollen auch Schulen „Patriotismus fördern“, aber vor allem Kunst- und Kulturbetriebe. Das, findet die AfD, machen sie aber nicht. Und wenn sie es nicht machen, dann gibt es „Kein Staatsgeld für antideutsche Kunst und Kultur“ – und wer hier kurz an die „entartete Kunst“ des Nationalsozialismus denkt, den mag ein Schaudern überkommen.
Nicht ganz zu Unrecht, denn als Vorbild für die Pflege der „deutschen Identität“ über Theater, Musik und Museen wird der ungarische Autokrat Viktor Orban genannt, als „Vorbild und Inspiration“ für eine „kulturpolitische Wende“. Orban hat unter anderem die Kunst-, Presse- und Wissenschaftsfreiheit in Ungarn so massiv beschnitten, dass von einer demokratischen Kultur nicht mehr die Rede sein kann.
Zähneknirschend schreibt die AfD im Wahlprogramm, dass sie auch „nichtssagende Unterhaltung, Abseitiges [alles gegen die AfD] oder Internationales“ als „Kunst“ akzeptieren müsse. Aber staatlich gefördert werden soll nur noch Kunst, „die ihrer eigenen deutschen Kultur grundsätzlich bejahend gegenübersteht“. Was genau die AfD damit meint, wird nicht ausgeführt. Wohl aber Konsequenzen, wie die Halbierung (!) aller (!) Theater-Etats, denn die betrieben eine „Agitation gegen das eigene Volk“. Nun, das sehen die Theater-Besucher*innen wohl anders.
Fazit
Unter dem Deckmantel, angeblich für „Freiheitsrechte“ einzutreten, will die AfD Sachsen-Anhalt autoritär in sehr viele Lebensbereiche eingreifen, sehr viele Entscheidungsspielräume beschneiden und verfolgt dabei antidemokratische, freiheitsfeindliche und menschenfeindliche Ideen. Aufgeschrieben hat sie das Programm in einer Sprache, die viele rechtsextreme Parteien und Gruppen vor ihr erprobt und etabliert haben. Sie versteckt ihre Ideologie nicht. Wenn die rechtsradikale Partei noch einmal zeigen wollte, warum der Verfassungsschutz in Sachsen-Anhalt die AfD seit Januar 2021 beobachtet, hat sie es explizit geschafft.