Ein massiver Sieg der CDU in der Wählerstimmen-Gunst in Sachsen-Anhalt: Das hatte in Vorwahl-Umfragen zur Landtagswahl am 6. Juni 2021 niemand kommen sehen (vgl. Belltower.News). Doch was heißt dieser Sieg? Ein Umfrage-Institut – ausgerechnet das AfD-nahe Insa-Institut, vgl. Belltower.News – hatte vorausgesagt, die AfD könnte die meisten Wähler:innen-Stimmen in Sachsen-Anhalt erhalten. Andere Umfrage-Institute sahen dies nicht, sagten aber zumindest ein sehr knappes Ergebnis zwischen CDU und AfD als stärkster Kraft voraus (vgl. Belltower.News). Nun stellt sich die Frage: Wie sehr haben diese Vorab-Umfragen das Wahlergebnis der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt verändert? Und wie strategisch wurden sie eingesetzt?
Erste Auswertungen zu Wähler:innen-Wanderungen zeigen deutlich: Der Zugewinn der CDU entsteht u.a. durch rund 46.000 linke, grüne, sozialdemokratische und liberale Wähler:innen, die diesmal ihr Kreuz bei der CDU gesetzt haben. Dies könnte einen politischen Rechtsruck in Sachsen-Anhalt darstellen, dem Bundesland, in dem es 1998 sogar der rechsextremen DVU gelang, 12,8 Prozent der Stimmen zu holen. Es könnte auch eine Personenwahl zugunsten von Ministerpräsident Reiner Haseloff zugrunde liegen. Zumindest in Teilen wird diese Wählerwanderung – und auch die Mobilisierung von rund 61.000 vorherigen Nichtwähler:innen – aber auch dem Umstand geschuldet sein, die erfolgsversprechendste demokratische Partei zu unterstützen, um eine AfD als stärkste Partei im Landtag zu verhindern (vgl. Spiegel).
Dies ist mit der Wahl der CDU ohne Zweifel gelungen, doch die anderen demokratischen Parteien liegen nun abgeschlagen und größtenteils einstellig-prozentig darnieder (vgl. Belltower.News). Hat sich dieser Preis gelohnt? Wie weit sind AfD und CDU in Sachsen-Anhalt voneinander entfernt?
Die AfD findet offenkundig: Die Kombination passt perfekt. 91 Prozent der AfD-Wähler:innen befürworten eine Koalition mit der CDU, immer noch 66 Prozent finden – trotz aller Hetze der AfD gegen die etablierten demokratischen Parteien –, dass Reiner Haseloff als Ministerpräsident einen guten Job gemacht hat. AfD-Bundesparteichef Tino Chrupalla schnurrt von einer „konservativ-bürgerlichen“ Wählermehrheit in Sachsen-Anhalt – natürlich auch, um die Tatsache zu verschleiern, dass seine Partei in Sachsen-Anhalt mit einem menschenverachtenden, antidemokratischen und rechtsradikalen Programm angetreten ist (vgl. Belltower.News). Oliver Kirchner, Fraktionschef der AfD in Sachsen-Anhalt, zeigte sich schon vor der Wahl offen für eine CDU-geführte Minderheitsregierung: „Wenn es eine bestimmte Stärke gibt von der CDU, dann sind wir der letzte, der nicht sagt: Passt mal auf, wir lassen lieber euch regieren als andere und würden das dulden. Aber das muss man eben dann absprechen, was dann für uns in diesem Fall drinnen wäre und wer dann bei der CDU die führenden Köpfe sind.“ (vgl. DLF). Inhaltlich ist die CDU als rechteste der demokratischen Parteien selbstverständlich auch der logische Bündnispartner für die AfD.
Die AfD allerdings ist offen rechtsradikal und wird vom Verfassungsschutz beobachtet. Und somit sie für den alten und mutmaßlich neue Ministerpräsident, Reiner Haseloff, kein legitimer Koalitionspartner. Dies hat Haseloff auch immer wieder betont: „Dass es für mich auch persönlich als Ministerpräsident (…) immer feststand, dass es keinerlei Zusammenarbeit, Kooperation, selbst indirekte Entscheidungsprozesse mit der AfD geben darf“ (vgl. DLF).
Andererseits hat Haseloff Teile seines Wahlkampfes auch mit Themen bestritten, die auch Herzen von AfD-Wähler:innen höher schlagen lassen: So setzte er auf Statements gegen Kommunismus, der Hauptfeind der Demokratie sei, gegen das Gendern in der Sprache („Im Osten definieren sich selbstbewusste Frauen über ihre Leistung und nicht über das Binnen-I“, so Haseloff eine Woche vor der Wahl, gegenüber Welt am Sonntag), gegen „Westmedien“ und „ihre“ Sicht auf „den Osten“. Wer nun in Sachsen-Anhalt die CDU gewählt hat, bekommt diese rechtspopulistischen Positionierungen dazu.
In der Vergangenheit nahm die CDU in Sachsen-Anhalt die Abweisung der AfD denn auch nicht immer so genau: Im Dezember 2020 etwa droht die Erhöhung des Rundfunksbeitrags um 86 Cent an Sachsen-Anhalt zu scheitern – CDU und AfD waren gemeinsam dagegen. In der Folge denkt Holger Stahlknecht, CDU-Innenminister und CDU-Landeschef, im Dezember 2020 in der Presse über eine Minderheitsregierung der CDU in Sachsen-Anhalt unter Duldung der AfD nach – eine Überlegung, die Haseloffs durch die Entlassung seines Innenministers beendet. Auch die Rundfunkgebühren-Debatte beendet er, indem er die Regierungsvorlage zurücknimmt, so dass es zu keiner gemeinsamen Abstimmung zwischen CDU und AfD im Landtag kommt (vgl. DLF).
Im Jahr 2019 hatten zwei damalige CDU-Fraktionsvizes in Sachsen-Anhalt, Ulrich Thomas und Lars-Jörn Zimmer, befunden, es sei an der Zeit zu prüfen, ob die AfD nicht ein besserer Bündnispartner sei als die SPD oder die Grünen: „Wir sollten eine Koalition [mit der AfD] jedenfalls nicht ausschließen. Stand jetzt ist sie nicht möglich – wir wissen aber nicht, wie die Lage in zwei oder fünf Jahren ist“, sagte Thomas der Mitteldeutschen Zeitung – zwei Jahre vor der gestrigen Landtagswahl. Thomas und Zimmer attestierten der AfD damals „ähnliche Ziele“, und die CDU verprelle konservative Anhänger*innen, weil sie „multikulturellen Strömungen linker Parteien und Gruppen“ nicht ausreichend entgegentrete. Die CDU-Politiker zeigten sich in ihrer „Denkschrift“ auch in ihrer Kritik an „ungesteuerter Migration“ und „Klimapolitik als Todesstoß für die Industrie“ AfD-nah und gipfelten in den Worten: „Es muss wieder gelingen, das Soziale mit dem Nationalen zu versöhnen.“ Der damalige CDU-Landesvorsitzende in Sachsen-Anhalt Holger Stahlknecht und die damalige Bundeschefin Annegret Kramp-Karrenbauer widersprachen. Die „Denkschrift“-Schreiber sind weiter in der CDU aktiv und wieder im Landtag vertreten (Listenplätze 3 + 4 auf der Landesliste).
2017 hatten CDU-Abgeordnete im Magdeburger Landtag einem AfD-Antrag zur Einrichtung einer Enquete-Kommission zur Untersuchung von Linksextremismus in Sachsen-Anhalt zugestimmt – da hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel interveniert (vgl. Volksstimme).
Immerhin hat Reiner Haseloff die CDU-Wähler:innen in der Ablehnung einer Zusammenarbeit mit der AfD auf seiner Seite: 71 Prozent sind gegen eine Koalition mit der AfD. Dies muss sich die CDU Sachsen-Anhalt nun als Auftrag nehmen: Sie wurde gegen die AfD gewählt, nicht mit der AfD.