Am 22. Juli 2016 tötete der rechtsextreme 18-jährige David Sonboly am Münchner Olympia-Einkaufszentrum (OEZ) neun Menschen. Fünf weitere Personen verletzte er mit Schüssen. Sonboly zielte vor allem auf junge Menschen mit Migrationshintergrund. Anschließend tötete er sich selbst. David Sonboly hatte seine Tat akribisch geplant. Selbst Datum und Uhrzeit waren nicht zufällig gewählt. Zur selben Tageszeit, fünf Jahre zuvor, tötete der rechtsextreme Massenmörder Andres Behring Breivik mit der gleichen Tatwaffe in Norwegen 77 Menschen.
Lange Zeit galt die Tat als „Amoklauf“. In einem am Freitag veröffentlichten Abschlussbericht des bayerischen LKA wird die Tat nun als politisch motivierte Tat rechts eingestuft. Es gebe zwar ein „Motivationsbündel“, heißt es in dem Bericht, es gebe jedoch „Anhaltspunkte für das tatleitende Motiv der Rache als auch einer rechten Orientierung“. Abschließend stufe man die Tat aber als „Politisch Motivierte Gewaltkriminalität – rechts“ ein – so der offizielle Begriff. Der Bericht kam nach Druck aus dem Landtag unter anderem durch den SPD Politiker Florian Richter zustande.
„Ein wichtiges und längst überfälliges Signal“
Auch die Amadeu Antonio Stiftung begrüßt diese Einstufung. „Damit werden das rassistische Tatmotiv und die rechtsextreme Ideologie des Täters endlich anerkannt. Das ist ein wichtiges und längst überfälliges Signal in der Auseinandersetzung mit Rechtsterrorismus.“ Die Anerkennung des rassistischen Tatmotivs durch Behörden und Öffentlichkeit seien zudem für die Aufarbeitung und Verarbeitung der Angehörigen unerlässlich, heißt es in einer Pressemitteilung. „Die Einordnung ist notwendig aber Sie kommt viel zu spät!“, meint auch Claudia Neher, die Rechtsanwältin einiger Angehöriger der Opfer von München.
Das Gutachten verkennt das digitale Umfeld
Allerdings verkennt das Gutachten das toxische rechtsextreme Netzwerk in dem Sonboly aktiv war. In diesem Jahr tötete Brenton Tarrant im neuseeländischen Christchurch 51 Menschen und verbreitete seine Tat via Livestream. Er diente dem antisemitischen Mörder von Halle, Stephan Balliet, als Vorbild. Die Diskussion, die wir heute über das digitale Umfeld und online Radikalisierungsprozesse führen, hätte schon damals geführt werden können. Doch die OEZ-Morde wurden lange Zeit mit psychischen Problemen des Täters und Schulmobbing erklärt. Und offenbar gebe es auch jetzt laut LKA keine Hinweise auf Mitwisser und Mittäter. So heißt es im aktuellen Bericht:
„Die Tat des David S. wird zwar von Personen im Internet, so z. B. auf den Plattformen ‘YouTube‘ und ‘STEAM‘, teilweise verherrlicht, die Ermittlungen ergaben jedoch nicht, dass David S. in einem rechten oder sonstigen Netzwerk agierte oder Dritte von seiner bevorstehenden Tat informiert hatte.“
Grobe Fehleinschätzung
Das ist wohl eine grobe Fehleinschätzung. In kaum einen anderen Terror-Fall wird die digitale Vernetzung der Szene so deutlich wie bei dem OEZ-Mörder:
Durch aufmerksame Internet-User*innen wurde die Polizei kurz nach dem OEZ-Anschlag auf einen weiteren potentiellen Amokläufer aufmerksam. Es kam bei dem damals 15-Jährigen David F. in Baden-Württemberg zu einer Hausdurchsuchung. Die Ermittler*innen fanden Fluchtpläne eines Gymnasiums, Chemikalien für Sprengsätze und Rohrbomben sowie Munition für Schusswaffen. David F. war offenbar in unmittelbarer Vorbereitung auf ein Attentat.
F. und Sonboly standen wohl in engem Kontakt. „F. hatte Sonboly angeboten, dessen Manifest nach der Tat zu verbreiten“, so der Journalist Roland Sieber, außerdem hat F. über die Zugangsdaten für einen von Sonbolys „Steam“-Accounts verfügt und sich dort zwei Tage nach dessen Blutbad eingeloggt. Fünf Monate vor München schrieb F. auf eines der „Steam-Profile“ von Sonboly: „Free your Hate!“ (befreie deinen Hass).
William Atchison, der spätere Attentäter aus den USA
Was ist aber das verbindende Element zwischen Sonboly und David F.? Beide chatteten auf „Steam“ immer wieder mit der selben Person: Mit dem späteren US-Attentäter William Atchison (21). Dieser hatte ein „Steam“-Forum namens „Anti-Refugee-Club“ gegründet, in dem er sich mit Gleichgesinnten, darunter Sonboly und F. über rechtsextreme, rassistische Inhalte, Waffenbeschaffung und Mordfantasien austauschte.
David F. hatte William Atchison eines Tages gefragt, ob der Amerikaner noch mehr Personen in Deutschland kenne, die sich für Amokläufe interessieren. Atchison verwies den 15-Jährigen daraufhin an Sonboly. Nach den Morden am OEZ feierte Atchison den Münchner Attentäter im Internet als Held – und verhöhnte die Mordopfer. Nach dem Anschlag von München verfasste Atchison als Admin in dem Wikipedia nachempfundenen Szenen-Wiki „Encyclopedia Dramatica“ einen lobenden Eintrag über Sonboly. Am 7. Dezember 2017 wurde der Amerikaner in Aztek, im Bundesstaat New Mexico, selbst zum Mörder: Er erschoss an einer Schule zwei Mexikaner. Danach beging er Selbstmord. Wie Sonboly pflegte auch der Amerikaner Sympathien mit der heimischen Rechten: Atchison trieb sich auf Foren der Alt-Right herum und postete Beiträge, in denen er Trump und Hitler feierte.
„[Die] Überprüfungen haben keine Hinweise auf einen Austausch von Tatplanungen zwischen David S. und William A. oder tatsächliche Anhaltspunkte für eine strafrechtlich relevante Involvierung des William A. oder anderer Dritter in die Taten des David S. ergeben. Eine direkte Beeinflussung, Anstiftung oder direkte Radikalisierung bzgl. der Tat von David S. durch William A. oder Dritte konnte im Rahmen der Überprüfungen ebenfalls nicht festgestellt werden“, heißt es nun allerdings im aktuellen Bericht.
Wie ein Sheriff in den USA allerdings aussagte, stand Atchison sehr wohl mit Sonboly in Kontakt.
Die digitale Vernetzung rechtsextremer Terroristen
Es müsse zwar differenziert werden zwischen einer politischen Bewertung und einer Aussicht auf eine erfolgreiche Anklage durch die Staatsanwaltschaft, so der Szene-Beobachter Roland Sieber, „aber der Bericht der Bayerischen Staatsregierung bleibt an einigen Stellen hinter dem eigenen Gutachten des Bayerischen Landeskriminalamts (BLKA) zurück, in dem vom ‚Mitwisser‘ und ‚potentiellen Nebentäter‘ die Rede ist.“
Besonders in Hinblick auf die grausame Tat in Halle, als Stephan Balliet am jüdischen Feiertag Jom Kippur ein Massaker in einer Synagoge anrichten wollte, eine Holztür ihn davon abhielt und er stattdessen eine Passantin und einen Besucher eines Döner-Ladens tötete, verkennt das aktuelle Gutachten das virulente Netzwerk aus dem diese Täter hervorgehen.
Netzwerke dieses neuen rechtsextremen Tätertyps haben kaum mehr etwas mit klassischen Neonazi-Strukturen gemein. Das birgt sowohl für Zivilgesellschaft als auch für Ermittlungsbehörden neue Herausforderungen, sowohl im Umgang damit, als auch im Deradikalisierungs-Prozess. Genau wie der Täter von Halle, war auch David Sonboly im virtuellen Raum vernetz.
„Trotzdem ist der jetzige Schritt des bayerischen LKA ein sehr wichtiger, auch wenn er viel zu spät für die Angehörigen und unsere Gesellschaft kommt“, so die Nebenklageanwältin Claudia Neher. Der nächste Schritt muss nun die Löschung der virtuellen Platform von Atchison an Sonboly sein, wo die Angehörigen bis heute verhöhnt werden.“