Demonstration mit „Wolfsgrüßen“
Das Brummen der Zweiradmotoren, starke, trainierte Männer. „Es sind schon ein paar Stiernacken dabei“, resümiert ein Polizist. „Was ist eigentlich mit den rechtsradikalen Handzeichen? Sollen wir die dokumentieren?“ fragt er seinen Kollegen. Schnell bildet sich ein kleiner Kreis, in dem einigen Beamten nochmals erklärt wird, worauf sie zu achten haben. Und es ist schon ein wichtiges Wort gefallen: Rechtsradikal. Ja, diese Demonstration, ausgehend ausgerechnet von Menschen mit selbst scheinbar ausschließlich türkischem Migrationshintergrund verdient letztendlich genau diese Bezeichnung. Die Stimmung war auch für nicht-sachkundige Beobachter gespenstisch. Bis zu 500 Teilnehmer waren erschienen. Einen Tag zuvor lief genau hier eine Demonstration von verfeindeten kurdischen Kräften und ihren Unterstützern aus der linken Szene entlang. Es dürften lediglich minimale Unterschiede in der Teilnehmerzahl gewesen sein. Schon bei dieser Demonstration kam es zu einer beinahe-Eskalation, als sich mehrere türkische Nationalisten am Strassenrand mit dem „Wolfsgruß“ zu erkennen gaben. (1)Das Aufmarschieren einen Tag später, unterstützt durch schweres motorisiertes Gerät, hatte unter diesem Aspekt eher den Anschein einer Säuberung, denn einer politischen Demonstration.
Mehrmals blieben dabei alle Räder und Beine – denn nur an der Demospitze befanden sich auch tatsächlich Motorräder – stehen. Mal seien zu viele Fahrzeuge im Zug gewesen. Mal hieß es, die Teilnehmer mögen sich doch bitte ordnungsgemäß behelmen – es gelte schließlich die Straßenverkehrsordnung. Doch mit dem Helm ergibt sich die Vermummung – die dann eben das Versammlungsrecht sticht. Helme wieder runter. Nicht die einzige Unstimmigkeit an diesem Tag.Im Hauptbahnhofsviertel, wo es Tags zuvor zu Anfeindungen und kritischen Blicken gegenüber der Pro-kurdischen Demonstration kam, wurde den „Turkos“ häufig Beifall geklatscht. Als eine Frau das „Peace“-Zeichen aus ihrem Fenster zeigte, drohte die Situation jedoch auch hier, beinahe an derselben Stelle wie am Vortag, zu eskalieren. Polizei und Demo-Ordner konnten die Lage jedoch schnell beruhigen. Im übrigen verhielten sich die Rocker allerdings betont friedlich.
Massenschlägerei aus 2011 wirft neue Fragen auf
Wer sich im Vorfeld über die Veranstalter informieren wollte, dem boten sich ebenfalls lediglich neue Fragen. Das einzige, was sich im Internet über die Aktivitäten des Rockerclubs erfahren lässt, ist eine etwas zurückliegende Massenschlägerei in München-Pasing aus dem Jahr 2011. Über 200 Beamte waren damals im Einsatz. Etliche Waffen wurden beschlagnahmt, mehrere Verletzte registriert, zig mutmaßlich Tatbeteiligte in der Nacht gefasst. Doch zu Hintergrund und Ablauf der Gewaltorgie erfuhr die Polizei auch in späteren Ermittlungen – wenig überraschend – nicht viel. Schweigsam, wie es sich für einen Rocker-Club gehört, dürfte auch die Fortsetzung der dubiosen Auseinandersetzung unter Ausschluss jeder Öffentlichkeit stattgefunden haben. Bescheid weiß in diesen Kreisen nur, wer dazu gehört. Das elitäre Selbstverständnis der Rocker gipfelt sich in dessen Mitgliedsstatuten in folgender Aussage: „Out in Bad Standing„: Rausgeworfenes Mitglied, praktisch „zum Abschuss freigegeben“. So will die Organisation mit „Verrätern“ umgehen. Ein Satz, mit dem sich deutsch-nationalistische Organisationen eher nicht ganz so öffentlich auf ihren Webseiten schmücken würden, wenn es auch dem entspricht, wie die deutsche Neonazi-Szene über den Umgang mit Aussteigern denkt.
Standesgemäß bei einer Rocker-Demonstration: Motorräder an der Spitze. Foto: Thomas Witt
Guter Terror, böser Terror: PKK und MHP
Beobachter vor Ort hatten am Demonstrationstag keine Mühen, den teilmotorisierten Aufmarsch politisch und ideologisch einzuordnen. Dutzende „Wolfsfahnen“ wehten über dem Sendlinger Tor-Platz, auch die Partei MHP, eine Partei mit rechtsterroristischer Vergangenheit, derem Umfeld mehrere tausend Morde – vor allem an Kurden – zugerechnet werden, ist mit Fahnen vertreten. Besonders dieser Aspekt lässt die Forderung der Demonstranten, am PKK-Verbot unbedingt festzuhalten und kurdische Verteidigungskräfte nicht mit Waffen zu unterstützen, etwas absurd klingen.
Hunderte Hände recken zum Himmel, als zur Parole Kemal Atatürks „Ne mutlu Türküm diyene“ ( glücklich [ist] derjenige, der sich als Türke bezeichnet) zum ersten Mal der Wolfsgruß gezeigt wird. Ein Gruß, der Angst verbreiten soll. Angst, (eigene) Stärke und Überzeugung. Doch ganz so einfach, wie bei einem Aufmarsch deutschstämmiger Nationalisten, ist der Umgang mit diesem Phänomen nicht. Eine Demonstrantin weist auf einen interessanten Denkaspekt hin:„Unser ‚Vater‘ ist Atatürk. Wir stehen hier nicht alle hinter Erdogan. Aber Erdogan nimmt Flüchtlinge auf, jeden Tag.“ Während Deutschland „sogar Terroristen zu uns abschiebt, die damit für die Türkei unkontrollierbar direkt an der Grenze zum Kriegsgebiet“ stehen. „Jeder Türke in Deutschland“ würde jetzt dafür verantwortlich gemacht, „dass der IS Krieg führt!“ Nun, auch diese Denkweise ist vereinfacht, aber sie zeigt: Einige Demonstranten scheinen selbst mit Diskriminierung zu kämpfen zu haben – und ein geschlossenes Weltbild sieht anders aus.
Verfassungsschutz: Gentrifizierungsgegner gefährlicher als Rechtsextremisten? Bei aller Solidarität mit den kurdischen Freiheitskämpfern, die besonders in Syrien und dem Nordirak um das nackte Überleben kämpfen und zittern, darf bei der Auseinandersetzung in Deutschland ein Aspekt nicht vergessen werden: Türkenfeindlichkeit. Türkischstämmige Einwanderer und ihre Nachfolgegenerationen stellen seit langem eines der Hauptfeindbilder für deutsch-rassistische Gruppierungen dar. Doch diese Tatsache darf rechtsradikale, fundamental-rassistische Strömungen nicht relativieren. Sie zeigt lediglich: Im Zusammenhang mit den „Grauen Wölfen“ müssen Hintergründe und Sozialisation der Anhänger genauer betrachtet werden, um Erklärungen und vor allem Lösungen zu finden. Der Bundes-Verfassungsschutzbericht 2013 jedoch widmet den „Grauen Wölfen“ lediglich drei Buch-Seiten. Zum Vergleich: Unter „Linksradikalismus“ sind vier Seiten alleine dem Thema „Gentrifizierung“, also dem Kampf um sozialen Wohnraum, um ein bisschen mehr Platz in der Stadt, gewidmet.
Zivilgesellschaft zuverlässig: Zentrum Demokratische Kultur klärt auf Doch auch im Bereich „türkischer Nationalismus“ leistet die Zivilgesellschaft eben genau da Abhilfe, wo staatliche Stellen keine Ansprechpartner mehr sind. Die „Arbeitsstelle Islamismus und Ultranationalismus“ des Zentrums für demokratische Kultur (ZDK) aus Berlin beobachtet die „grauen Wölfe“ seit langem. Für sie ist klar: Der türkische Nationalismus ist die – nach dem deutschen – am weitesten verbreitete Form des Rechtsradikalismus in Deutschland. Und er wird immer populärer. „Es lässt sich von einer Jugendsubkultur sprechen, die sich nicht zuletzt über die neuen Medien entwickelt hat, wobei sich viele Jugendliche des komplexen Sinnzusammenhanges der von ihnen verwendeten Symbole nicht wirklich bewusst sind.“(2) Diese Symbole wären die drei Halbmonde, der heulende Wolf und das Wolfskopf-Handzeichen. Die drei Halbmonde stellen das Logo der „Turkos MC“, der „heulende Wolf“ zierte etwa jede vierte Türkei-Fahne, der als „Wolfsgruß“ bekannte „Wolfskopf-Handgruß“ wurde die gesamte Demonstration über gezeigt. Nach der fachlichen Analyse ist klar: Es handelte sich tatsächlich um einen rechtsradikalen Aufmarsch. Doch ist klarzustellen: Die Ideologie der „grauen Wölfe“ unterscheidet sich signifikant von Vorstellungen anderer europäischer Nationalisten, allem voran von denen deutscher Neonazis. Türkenfeindlichkeit (auch in Zusammenhang mit rechtspopulistischer „Islamkritik“) ist in der deutschen Neonazi-Szene einer der populärsten ideologischen Faktoren. Somit stellen die Aufmärsche der „grauen Wölfe“ keine Stärkung der deutschen Neonazi-Szene dar. Sie bieten ihr ein zusätzliches Feindbild. Angesichts der Ereignisse aus Köln dürfte sich die Situation allerdings auch dadurch bestimmt nicht entspannen, mehr noch: Wenn sich jetzt auch noch „graue Wölfe“ in den Kampf um die Vormachtstellung auf der Strasse einmischen, wird die Situation vermutlich weiter eskalieren.
In Bayern werden die Aktivitäten der grauen Wölfe übrigens beim Verfassungsschutz unter dem Titel „Ausländerextremismus“ geführt. Dabei könnten sie ideologisch klar unter „Rechtsextremismus“ laufen – und, was die Strukturen des Rockerclubs „Turkos MC“ betrifft, beobachtet der Verfassungsschutz in Bayern auch unter dem Thema „organisierte Kriminalität“ das Treiben von Rocker-Banden. Wichtiger scheint für die Behörde aber die Einstufung, dass es sich hier um „Ausländer“ handelt.
Rassismus ist eben vielseitig.
(1) vgl. Video ab 00:58 http://youtu.be/ppLaq9rWeT4?t=58s
(2)vgl: Broschüre „der ideale Türke“, Zentrum Demokratische Kultur (ZDK, Berlin)