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Mahnung aus Mölln 20 Jahre nach den Brandanschlägen

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Ortsschild Mölln (Quelle: CC-by-sa 2.0/de/Foto: Joachim Müllerchen)

Es ist die Nacht zum 23. November 1992, als in der Möllner Polizeistation das Telefon klingelt. „In der Ratzeburger Straße brennt es. Heil Hitler.“ Wenige Minuten später geht auch bei der Freiwilligen Feuerwehr von Mölln ein Anruf ein: „In der Mühlenstraße brennt es. Heil Hitler.“ Zwei Anrufe, zwei brennende Häuser: Ratzeburger Straße 13 und Mühlenstraße 9. Die beiden Neonazis Michael P. und Lars C. haben Molotowcocktails in die Wohnungen geworfen, in denen vor allem Familien türkischer Herkunft leben. Neun Menschen erleiden in der Ratzeburger Straße schwere Verletzungen. In der Mühlenstraße sterben drei Menschen, die zehnjährige Yeliz Arslan, die 14-jährige Ayse Yilmaz und die 51-jährige Bahide Arslan.

Nach den Brandanschlägen von Mölln ging eine Welle des Entsetzens durch das Land. Dabei erscheinen sie in der Rückschau fast schon wie die zwangsläufige Eskalation der zuvor heftig geführten Debatte über eine angebliche „Schwemme von Flüchtlingen“ und vermeintlichen Asylmissbrauch. Begleitet wurde diese Debatte von einer Vielzahl rassistischer Übergriffe, darunter die Pogrome von Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen, bei denen die Ortsnamen zu Synonymen für die Anschläge wurden und ein rauschhafter Rassismus zu beobachten war. Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung beschreibt die Situation damals: „Eine von Ressentiments geladene Asylrechtsdebatte in Deutschland der 1990er Jahre schürte nicht nur den Hass auf Asylsuchende, sondern auch auf Menschen, wie die Familie Arslan, die bereits seit Jahrzehnten ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland gefunden hatten.“

Die faktische Abschaffung des Asylrechts

Zu jener Zeit wuchs auch das Trio heran, das heute als verantwortlich für die Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) gilt. Uwe Mundlos, Beate Zschäpe und Uwe Böhnhardt erlebten einen Staat, dessen Handeln viel zu oft aus Wegsehen bestand. Und eine fast schon pervertierte Logik: Wie oft wurde in der Zeit nach den Anschlägen argumentiert, die Bevölkerung sei durch den „geradezu ungebremsten Zustrom von Asylanten“ überfordert gewesen. In dieser Logik kann auch der so genannte Asylkompromiss gesehen werden, den die Spitzen von SPD, Union und FDP Anfang Dezember 1992 aushandelten. Darin heißt es, wenn Deutschland die Zuwanderung nicht begrenze, würden „Ängste und Unsicherheiten verstärkt, die für den inneren Frieden schädlich sind“.

Realistisch betrachtet wurde mit dem am 26. Mai 1993 vom Bundestag beschlossenen Änderungen des Asylgesetztes das Asylrecht abgeschafft. Die Bewilligung von Asyl ist seither nur in Fällen politischer Verfolgung vorgesehen. Hunger, Krieg oder die Verfolgung aufgrund des Geschlechts oder der sexuellen Orientierung sind keine gültigen Gründe, um Asyl in Deutschland zu erlangen. Durch die sogenannte „Drittstaatenreglung“ können Asylsuchende in Deutschland, die in ihrem Heimatland politisch verfolgt wurden und über Staaten einreisen, wo sie keine politische Verfolgung erfahren, kein Asyl mehr erlangen. Deutschland ist ausschließlich von Ländern umgeben, in denen niemand politisch verfolgt wird.

Wasser auf die Mühlen der Rechtsextremen

Ein Zeitsprung: 20 Jahre nach den Anschlägen von Mölln. Wieder wird eine Asyldebatte geführt, wieder verschärft sich deren Ton. Dieses Mal ist es unter anderem Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU), der einen „zunehmenden Asylmissbrauch“ beobachten will. Er sagt: „Der massive Zustrom serbischer und mazedonischer Staatsangehöriger muss unverzüglich gestoppt werden.“ Wieder ist von „Flüchtlingsströmen“ die Rede, dabei sind die Zahlen nur leicht gestiegen, nachdem sie in den Jahren zuvor stetig gesunken waren. So rief auch „Pro Asyl“ dazu auf, die Innenminister von Bund und Ländern die im Oktober gestiegenen Asylzahlen nicht zu dramatisieren. „Pro Asyl“ warnte davor, durch Rückgriffe auf das Vokabular der 1990er Jahre Stimmung gegen Flüchtlinge zu machen. „Dies ist Wasser auf die Mühlen der Rechtsextremen, die ausgerechnet in diesen Novembertagen zu Fackelmärschen und anderen Protesten gegen Asylsuchende aufrufen“, sagte Günter Burkhardt von „Pro Asyl“.

Es sollte darüber diskutiert werden, inwiefern der Ton der politischen Debatten Auswirkungen auf das Verhalten der rechtsextremen Szene hat. Eine Forderung, die auch nach den Anschlägen von Mölln erhoben wurde – und heute nichts von ihrer Berechtigung verloren hat. Ein weiterer Punkt, den Timo Reinfrank betont: „Auch 20 Jahre nach diesem schrecklichen Ereignis und nicht zuletzt vor dem Hintergrund der grausamen Mordserie des NSU wird deutlich, dass die Perspektive der Opfer sowohl bei Strafverfolgungsbehörden als auch in der öffentlichen Wahrnehmung weitestgehend unberücksichtigt bleibt.“ Eine wirksame Rechtsextremismusprävention erfordere jedoch genau diese Berücksichtigung, um die Gefahr von Rechts realitätsnah abzubilden.

Auseinandersetzung ohne Stigmatisierungen

Wie wichtig eine Debatte genau darüber ist, zeigt sich nicht nur in den Diskussionen um die Aufklärung der NSU-Mordserie oder den Studien, die eine zunehmende Verbreitung rechtsextremer Ansichten in der Mitte der Gesellschaften feststellen. Die Relevanz wird auch anhand vermeintlich „kleiner“ Schlagzeilen deutlich: Wenn etwa immer wieder Stolpersteine beschädigt werden, Nazis in öffentlichen Verkehrsmitteln unbehelligt rassistische Parolen grölen oder regelmäßig und quer durchs Land in kurzen Artikeln über rechtsextreme Schmierereien berichtet wird – so auch Anfang November in Mölln. Diese kleinen Meldungen gehen neben der Berichterstattung über den Nationalsozialistischen Untergrund, die Zukunft der deutschen Sicherheitsarchitektur oder ein mögliches NPD-Verbotsverfahren fast unter, sind aber ein ebenso wichtiger Mosaikstein für ein genaues Bild vom Rechtsextremismus in Deutschland.

Umso wichtiger ist es nun, auch mit Blick auf die Anschläge in Mölln, die Asyldebatte zu versachlichen. Dazu erklärt auch Timo Reinfrank: „Diese schrecklichen Geschehnisse von damals müssen uns wachrütteln, rechtspopulistischen Argumenten in der aktuellen Asylrechtsdebatte eine klare Absage zu erteilen, damit sich rechtsextreme Kräfte nicht als ausführender Arm einer stillen Mehrheit begreifen können.“ In der aktuellen Asylrechtsdebatte um Geflüchtete aus Mazedonien und Serbien sei deshalb eine sachliche Auseinandersetzung nötig, die frei von Stigmatisierungen und Vorurteilen geführt werde. Sonst könne eine ähnliche Drohkulisse wie im Deutschland der 1990er Jahre entstehen.

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