
Kurz nach 12 Uhr, an Rosenmontag, fuhr ein Mann mit seinem Kleinwagen in eine Fußgängerzone in der Mannheimer Innenstadt. Eine 83-jährige Frau und ein 54-jähriger Mann kamen ums Leben. Elf Menschen wurden verletzt, mehrere von ihnen schwer. Der 40-jährige Täter flüchtete, ein Taxifahrer verfolgte den Täter und stellte ihn schließlich. Der Versuch einer Selbsttötung mit einer Schreckschuss-Pistole misslang.
Die Todesfahrt hatte nach bisherigen Erkenntnissen der Ermittelnden keinen extremistischen oder religiösen Hintergrund. Die Motivation könne eher in der Person des Täters begründet sein, erklärte Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU). Die Staatsanwaltschaft verwies auf Anhaltspunkte für eine psychische Erkrankung des Täters, weshalb sich die Ermittler auf diesen Aspekt konzentrieren. Am Dienstagabend veröffentlichte jedoch das Kollektiv Exif eine Recherche zum Täter, die nahelegt, dass er Teil einer Neonazigruppe gewesen sei.
Fotos zeigen den Täter, Alexander S. auf der rechtsextremen Demonstration „Wir für Deutschland“ 2018 in Berlin. Auf einem Bild ist Alexander S. neben Eric Graziani zu sehen, einem Neonazi-Kader aus Berlin. 2017 schloss sich der umtriebige Graziani dem flüchtlingsfeindlichen und rechtsextremen Verein „Wir für Deutschland“ an.

Der rechtsextreme „Ring Bund“
Laut der Exif-Recherche soll Alexander S. zumindest im Jahr 2018 Mitglied des „Ring Bund“ gewesen sein, einer Gruppierung mit Verbindungen zu einem rechtsextremen Waffennetzwerk. Sein Name soll auf einer Personenliste eines dort aktiven Mitglieds mit dem Vermerk „Ring Bund“ verzeichnet gewesen sein. Zudem soll er im September 2018 per E-Mail Anweisungen erhalten haben, wie Nachrichten über den Entwürfe-Ordner des „Ring Bund“-Accounts ausgetauscht werden können, um abhörsicher zu kommunizieren.
Der „Ring Bund“ will die bestehende Ordnung auflösen. Unter Punkt 2 der Satzung des „Ring Bund“ wird ihr antisemitisches Weltbild deutlich: „Wir haben erkannt, dass diese Geschehnisse nicht zufällig und versehentlich entstanden sind, sondern Ziel einer Globalisierungspolitik sind und ganz bewusst und gewollt hervorgerufen wurden. Verursacher ist nicht die einzelne und jeweils herrschende Regierung, sondern ein System, das von der weltweit beherrschenden Hochfinanz kontrolliert wird, in deren Abhängigkeit sich die Regierungen der meisten Länder der Welt befinden“. Der antisemitische Code einer jüdischen „Hochfinanz“ ähnelt dem nationalsozialistischen Terminus des „internationalen Finanzjudentums“. Heute ist er ein geläufiger Code in verschwörungsideologischen Kontexten.
Der „Ring Bund“ ist vernetzt mit der rechtsextremen Szene Deutschlands
Der „Ring Bund“ soll sich laut Exif unter anderem im Februar 2018 in dem Szene-Treffpunkt Guthmannshausen, Thüringen, getroffen haben, laut Teilnehmerliste sei S. jedoch nicht dabei gewesen. Das ehemalige „Rittergut“ Guthmannshausen ist Sitz des Vereins Gedächtnisstätte e.V. Gegründet wurde der Verein unter anderem von Holocaust-Leugner*innen wie der mittlerweile verstorbenen Ursula Haverbeck-Wetzel. Der niedersächsische Verfassungsschutz schreibt, der Verein versuche durch „die Relativierung der Opfer des NS-Regimes […] eine Revision der Geschichte zu betreiben“. Seit Bestehen war das „Rittergut“ in Thüringen ein bundesweit bedeutender Treff für Geschichtsrevisionist*innen, Holocaust-Leugner*innen, völkische und militante Neonazis. 2021 brannte der Dachstuhl des Szenetreffs. Guthmannshausen hat einen enormen ideellen Wert für die Szene.
Das „Ring Bund“-Treffen in Guthmannshausen fand unter dem Titel „Tag des Bündnisses und der Krisenvorsorge“ statt. Auf einem anderen Vortrag des „Ring Bundes“ in der Nähe von Ulm sei es um Themen wie die „Theorie der revolutionären Situation“, „gewaltsamen Widerstand“ und die angebliche Kontrolle der Welt durch die „Hochfinanz“ gegangen.
Das Waffennetzwerk um den „Ring Bund“
Das Waffennetzwerk, mit dem der „Ring Bund“ in Verbindung gestanden haben soll, wurde im Jahr 2020 aufgedeckt. Ermittlungsergebnisse legen nahe, dass es zwischen 2015 und 2018 Schusswaffen – darunter Uzis und Pumpguns – von Kroatien nach Deutschland geschmuggelt hat. Im Jahr 2022 wurden drei Männer vom Landgericht München zu Freiheitsstrafen von bis zu 4 Jahren und 3 Monaten verurteilt.
Laut der taz versuchten die Mitglieder dieses Waffenschmuggel-Rings, sich an andere rechtsextreme Gruppen anzudocken, etwa an die Identitäre Bewegung, Pegida, die „Europäische Aktion“ oder die AfD. Auch eine eigene Gruppe entstand: die „Patriotische Alternative“, mit der die AfD unterstützt werden sollte.
Laut einer Liste, soll das Netzwerk um den „Ring Bund“ zudem mit weiteren rechtsextremen Kadern in Verbindung gestanden haben, etwa mit Thorsten Heise, Tobias Schulz (bekannt als „Baldur Landogart“), Björn Höcke und dem Todesfahrer Alexander S. Mit ihnen sei man „persönlich bekannt“.
Wie tief der Täter aus Mannheim in die Gruppierung involviert war oder wie lange er Mitglied war, ist derzeit unklar. Fest steht jedoch, dass er nachweislich Zugang zur Kommunikationsstruktur hatte, einschließlich der E-Mail-Adresse des „Ring Bund“.
Nach Angaben der Staatsanwaltschaft war der Täter zudem mehrfach vorbestraft, unter anderem wegen eines Hasskommentars unter einem als rechtsextrem eingestuften Bildes auf Facebook im Jahr 2018. Hierfür sei der Mann zu einer Geldstrafe verurteilt worden.
Politisches Motiv darf nicht ausgeschlossen werden
Nach der Todesfahrt von Mannheim wurde ein Haftbefehl wegen zweifachen Mordes und mehrfachen versuchten Mordes gegen den 40 Jahre alten Alexander S.erlassen. Bei seiner Vorführung vor dem Haftrichter machte er keine Angaben. Das Motiv für die Tat sei daher weiterhin unklar, teilten die Staatsanwaltschaft Mannheim und das Landeskriminalamt Baden-Württemberg mit. Nach bisherigen Erkenntnissen könne ausgeschlossen werden, „dass es sich um eine politisch motivierte Tat handelt“, sagte Staatsanwalt Schüssler. Doch nach den neuesten Erkenntnissen, die uns Exif geliefert hat, kann ein politisches Motiv nun eben nicht mehr ausgeschlossen werden. Eine womöglich rechtsextreme Ideologie des Täters darf nicht bagatellisiert werden, auch wenn der Täter psychisch erkrankt ist. Rechte Gewalt tötet – und kann jeden treffen.