Provozierende Aussagen kommen mit einer Häufigkeit und Zuverlässigkeit von rechts-alternativer Seite, die Absicht und Bedacht nahelegen. Weil aber die Verschiebung der Grenzen des Sagbaren Ziel rechts-alternativer Akteur*innen ist, bemühen sie sich, die Grenzüberschreitungen in der Grauzone der Empörung zwischen gesellschaftlicher Akzeptanz und Ablehnung zu halten.
Im „Handbuch für Medienguerillas“ der IB-nahen Web-seite „D-Generation“ ist diese Taktik beschrieben: Die rechtsextremen Online-Aktivist*innen sollten die „Gegner bis zur Weißglut“ provozieren, damit diese sich „zu Aussagen hinreißen [lassen], die sie normalerweise nicht machen würden […]. So kann man manchmal Verbündete des Gegners zu seinen eigenen Verbündeten machen“. Zur Mäßigung wird aus taktischen Gründen geraten: „täusche Höflichkeit und Ruhe vor“ und „[m]ache keine strafrechtlich relevanten Aussagen und keine Drohungen, die Du nicht einhalten kannst. Drohe nicht mit Gewalt, sondern bring Deinen Gegner dazu, es zu machen. Dann kannst Du ihn melden und evt sperren lassen [sic]“. Auch die AfD schreibt in ihrem Strategie-Handbuch, sie müsse „ganz bewusst und ganz gezielt immer wieder politisch inkorrekt sein, zu klaren Worten greifen und auch vor sorgfältig geplanten Provokationen nicht zurückschrecken“. Gleichzeitig „muss die Seriosität allerdings gewahrt werden“, denn „Klamauk, Negativismus um jeden Preis und Hetze haben bei der AfD keinen Platz“.
Wer die aktuellen Provokationen der AfD kennt, kann hier seit 2017 eine Radikalisierung feststellen. Trotz-dem muss die Partei jedes Mal den Spagat zwischen Empörung und Duldung bewältigen. Doch das gehört zu Strategie. Das AfD-Handbuch sieht sogar Nutzen in der Ablehnung, die auf Provokationen folgen kann: „Je mehr [die etablierten Parteien] versuchen, die AfD wegen pro-vokanter Worte oder Aktionen zu stigmatisieren, desto positiver ist das für das Profil der AfD. Niemand gibt der AfD mehr Glaubwürdigkeit als ihre politischen Gegner“. Durch Provokationen können rechts-alternative Akteur*innen ihre politischen Gegner in Zugzwang bringen, um sich im Anschluss auf die erzwungenen Maßnahmen als Opfer zu inszenieren (siehe Umwertung von Begriffen).
Doch die hervorgerufene Empörung erfüllt zusätzlich zwei weitere Zwecke. Zum einen können provokante Aussagen die politische Debatte emotionalisieren und die eigenen Anhänger anstacheln. Das Aufhetzen der Öffentlichkeit durch provozierende Darstellungen von heiklen politischen Themen ist fester Bestandteil des Populismus. Solche Provokationen sollen beim Publi-kum Emotionen wie Wut und Empörung erregen, um – möglicherweise mildernde – Details zu kaschieren, die nicht in die eigene Narrative passen, (siehe das Fallbeispiel „War on Christmas“). Nach Einschätzung des Sozialwissenschaftlers Samuel Salzborn können provokante, tabuisierte Begriff außerdem Ressentiments, Einstellungen und Vorurteile verbreiten und sagbar machen. Wer solche Begriffe im Internet nachschlage, gelange oft auf Webseiten rechts-alternativer Akteur*innen, die vage Ansichten festigen können. In Sozialen Medien vergrößert die Empörungstaktik die Reichweite und Sichtbarkeit der provo-kanten Aussagen – denn Beiträge mit vielen Interaktionen werden vom Algorithmus bevorzugt ausgespielt. Auch in den traditionellen, reichweitenstarken Print- oder TV-Medien haben Provokationen Vorteile: Sie werden in der Berichterstattung aufgegriffen – und erhöhen damit wiederum die Reichweite des Gesagten. Die AfD profitiert von den Medien als Bühne, und den Medien bringen AfD-Provokationen Klicks und damit Werbeeinahmen. Man denke etwa an Alexander Gaulands Aussage, der Nationalsozialismus sei nur ein „Vogelschiss“ in der deutschen Geschichte.
In ihrem Strategiepapier von 2017 schreibt die AfD über ihren Wunsch nach „stärkerer Sichtbarkeit“ und „Medien aufmerksamkeit“, und auch die IB hebt in ihrem Handbuch die Bedeutsamkeit eines Medienbewusstseins hervor und beschreibt, wie während Aktionen mit den Medien umgegangen werden solle: bei Anfragen offen und freundlich, bei aus IB-Sicht falscher Berichterstattung mit Drohungen. Dass die Berichterstattung oft eher negativ ausfällt, schadet allerdings nicht: In vielen Fällen lassen sich rechts-alternative Anhänger auch nicht durch mediale Kritik beirren. Kritik durch die gescholtene „Lügenpresse“ nährt wahnhafte Erzählungen von einer angeblichen „Gleichschaltung der Presse“ oder „Meinungszensur“. (siehe Umwertung von Begriffen und Delegitimierung der etablierten Medien). Die Strategien der Andeutungen, des abwertenden Humors und der Umwertung von Begriffen können zweifellos eben-falls provozierenden Charakter aufweisen. Dennoch sind ihre jeweiligen Wirkungsweisen ausgeprägt und unterschiedlich genug, um sie nicht allein der Provokation zuzuordnen und sie stattdessen separat zu behandeln.
Medienstrategien rechts-alternativer Akteur*innen:
- Die Grenzen des Sagbaren verschieben
- Provokation
- Andeutungen/Dog Whistling
- Abwertender Humor
- Umwertung von Begriffen
Dieser Text ist ein Auszug aus der Broschüre
Amadeu Antonio Stiftung (Hrsg.):
Alternative Wirklichkeiten. Monitoring rechts-alternativer Medienstrategien
Erscheinungsjahr: 2020
PDF zum Download: Monitoring_2020_web
Print-Exemplar bestellen: https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/publikationen/alternative-wirklichkeiten/
Alle Artikel aus der Broschüre auf Belltower.News:
https://www.belltower.news/lexikon/alternative-wirklichkeiten/
Monitoring rechts-alternativer Medienstrategien
Einordnung relevanter Social Media-Plattformen
- Telegram
- YouTube
- Discord
- Chans, V-Kontakte, Gab.ai, Bitchute
- Die Zukunft?
Gegenstrategien
Erfahrungen aus der Arbeit gegen Rechtsextremismus und Hate Speech online