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Medienstrategien rechts-alternativer Akteur*innen Umwertung von Begriffen

Beispiele für die Medienstrategie: Umwertung von Begriffen. (Quelle: Amadeu Antonio Stiftng)

Die Neubelegung von Ausdrücken und gesellschaftlichen Konventionen ist wesentlicher Bestandteil der Verschiebung der Grenzen des Sagbaren. Zum einen sollen durch Umwertung bisher nicht akzeptierte Begriffe positiv besetzt werden – zum Beispiel solche, die im Einklang mit Teilen rechts-alternativer Ideologie stehen. Hierzu zählt die beiläufige Nutzung von Ausdrücken, die durch das nationalsozialistische Regime geprägt wurden, sowie die Relativierung von Handlungen der NS-Herrschaft. Zum anderen werden Teile des emanzipatorischen Diskurses gekapert und zweckentfremdet, um sich dessen Vorzüge zu eigen zu machen. Rechts-alternative Akteur*innen wollen etwa antidemokratische Begriffe von ihrer Vergangenheit lösen, um sie schließlich doch umsetzen zu können.

Auch wenn die Verwendung solcher zuvor inakzeptablen Begriffe manchmal beiläufig erscheint: Umwertung wird im rechts-alternativen Milieus vorsätzlich, strategisch und kontinuierlich betrieben. Zum Beispiel gehören zu den derzeitig beliebten plakativen Szenebegriffen der Rechts-Alternativen, die historisch belastet sind: „Lügenpresse“ (seit 1848 zur Verunglimpfung unabhängiger Medien genutzt, mit antisemitischem Unterton „jüdischer Drahtzieher“, seit 2001 bei Neonazis und seit 2014 bei Pegida und AfD beliebt), „Überfremdung“ (Goebbels 1933: „Überfremdung des deutschen Geisteslebens durch das Judentum“) und Begriffe rund um ein imaginiertes „Volk“: „Volksverräter“, „Umvolkung“, oder „völkisch“. Das Schlagwort „Volksverräter“ kommt vom Straftatbestand des Volksverrats, den die Nazis in das deutsche Strafrecht einführten. Auch „Umvolkung“ wurde von Nationalsozialisten verwendet, die sich damit auf die Ausweitung nach Osten und die damit einhergehende Vertreibung der Ansässigen bezogen. Für Rechts-Alternative beschreibt der Begriff heutzutage eine vermeintliche „Überfremdung“ Deutschlands durch Zuwanderung im Sinne der Verschwörungserzählung des „großen Austauschs“. Auch der Begriff „völkisch“ soll positiv besetzt werden.103 Die „völkische Bewegung“ gab es sei Beginn des 20. Jahrhunderts, doch ihre Ideologie erlangte im Nationalsozialismus größte Beliebtheit. Sie war geprägt durch biologistischen Rassismus, der sich in apokalyptischen Metaphern ergoss und eine Fülle an Untergangsszenarien und Feindbildern enthielt. Dazu gehörten die Ablehnung der Demokratie und von allem Internationalen sowie eine Rassenhierarchie, in der vor allem Antisemitismus eine wesentliche Rolle einnahm. Nicht allen Rechts-Alternativen mag die Geschichte dieser Ausdrücke bewusst sein. Doch selbst wenn es unbewusst geschieht, führt laut Sprachwissenschaftler Thomas Nier der sanktionsfreie Gebrauch eines solchen Vokabulars zur Verschiebung der Grenzen des Sagbaren nach rechts – und spricht ein rechtsextremes Publikum an. Zusätzlich werden wiederholt NS-Verbrechen durch Relativierung verharmlost und damit umgewertet.

Konkrete Beispiele von relativierenden bis geschichtsrevisionistischen Aussagen in Bezug auf die NS-Vergangenheit werden bezeichnenderweise nicht nur von randständigen Akteur*innen der Szene geliefert, sondern von zentralen Persönlichkeiten. Im Einklang mit der Strategie der Provokation spielte Gauland im Juni 2018 den Nationalsozialismus als „Vogelschiss“ in der deutschen Geschichte herunter. Später nannte er diese Äußerung zwar „missdeutbar und damit politisch unklug“, doch gerade solche Grenzüberschreitungen bescheren rechts-alternativen Akteur*innen Medienaufmerksamkeit und Applaus aus der eigenen Gruppe – zumal sich für Gauland keine juristischen Folgen ergaben, da die Staatsanwaltschaft Meiningen die Aussagen im Kontext der Rede als durch die Meinungsfreiheit gedeckt sah.

Schon 2017 forderte Alexander Gauland, dass Deutsche das Recht hätten, „stolz zu sein auf Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen“. Eine solche Umwertung der Erinnerungskultur wurde auch von Björn Höcke im Januar 2017 ausgedrückt mit seiner Aussage, „[w]ir brauchen nichts anderes als eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“. Höcke bezeichnete das Holocaust-Mahnmal mehrdeutig als „Denkmal der Schande“ und betonte, dass Hitler nicht „absolut böse“ gewesen sein könne. 2017 bezeichnete der sächsische AfD-Bundestagsabgeordnete Jens Maier die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit außerdem als „gegen uns gerichtete Propaganda und Umerziehung“ und als „Schuldkult“.

Solche Äußerungen bedienen die toxischen Narrative einer „Bedrohung von innen“, hier durch die „Umerziehung“. Zudem stellen sie einen Ansatz für eine Täter/Opfer-Umkehr dar, in der die Ein-dämmung nationalsozialistischen Gedankengutes als Einschränkung der Meinungsfreiheit dargestellt wird. Die Strategie der Umwertung befasst sich außerdem mit der Instrumentalisierung von emanzipatorischen Begriffen zu anti-emanzipatorischen Zwecken. Demokratisch konnotierte Begriffe sollen so mit einem rechts-alternativen Verständnis belegt werden.

Dieser Vorgang wird auch als politische Mimikry oder Diskurs-Piraterie bezeichnet. Eine Form der Umdeutung von Begriffen der politischen Gegner ist die sogenannte Retorsion. Dies ist etwa der Fall, wenn einzelne Konfliktfälle als vorgeblich grassierende und verschwiegene „Deutschenfeindlichkeit“ verkauft werden. Machtgefälle, die entscheidend für die eigentliche Bedeutung von Begriffen wie etwa Rassismus sind, werden ignoriert und die eigene, inszenierte „Unterdrückung“ mit der tatsächlichen Unterdrückung der Minderheit gleichgesetzt. So kann sich die „neue Rechte“ in der Opferrolle präsentieren und die ursprüngliche Debatte auf den Kopf stellen.


Politikwissenschaftler Pierre-André Taguieff definiert Retorsion als jene Handlungen, die Begriffe und Argumentationsstränge des politischen Gegners gegen sie selbst richten. Dies geschieht etwa, wenn gesellschaftlich Privilegierte emanzipatorische Inhalte durch Aneignung und Umwertung zweckentfremden. Ziel ist eine Täter-Opfer-Umkehr, die sich den Schutz der emanzipatorischen Begriffe zu eigen macht.


Retorsion nimmt Minderheiten die Chance auf eine Debatte, die deren Gleichberechtigung fördern könnte. Gleichzeitig ermöglicht sie es denen, die sie anwenden, ihrerseits neue Ansprüche zu erheben. So wird Feminismus – der sich schlicht für die Gleichwertigkeit aller Geschlechter und somit gegen Sexismus einsetzt – als „sexistisch“ verunglimpft, da er angeblich eine Unterdrückung von Männern beabsichtige. Dabei sind es Rechts-Alternative, die für eine patriarchale Gesellschaftsordnung und die Unterdrückung der Frau stehen. Andererseits werden Frauenrechte instrumentell verwendet, um Rassismus und Islamfeindlichkeit unter dem Deckmantel der „Frauenrechte zu verbreiten.

Die AfD will im Bundestags-Wahlprogramm von 2017 die „Geburtenrate der einheimischen Bevölkerung“ erhöhen (Narrativ des „Untergangs“ des deutschen Volkes). Ihr Konzept heißt „Willkommenskultur für Kinder“ (gemeint ist ein Abtreibungsverbot). Hier wird mit der Umwertungsstrategie der Retorsion eine Gegenerzählung zur Willkommenskultur für Geflüchtete entwickelt.

Ein weiteres Beispiel für rechts-alternative Retorsion stellt der Begriff des „Ethnopluralismus“ dar. Dieser, geprägt durch den Rechtsintellektuellen Alain de Benoist, ersetzt die biologistische Begründung für Rassismus und Feindlichkeit gegen Migrant*innen mit einer kulturellen. „Ethnopluralismus“ sagt, alle „Ethnien“ und „Rassen“ hätten ihre Daseinsberechtigung, aber damit die Reinheit der Völker gewahrt bleibe, sollten dies ihre als traditionell verstandenen Ursprungsräume nicht verlassen. Dieses Konzept einer vorgeblichen Unvereinbarkeit von verschiedenen Ethnien und Kulturen ist nur vermeintlich pluralistisch und liberal – es ist schlicht die neurechte Antwort auf den Multikulturalismus.

Wo Pluralismus die Achtung und Einbeziehung verschiedener sozialer Gruppen und Meinungen voraussetzt, schließt der Ethnopluralismus und sein „Recht auf Verschiedenheit“ die verschiedenen Ethnien aus allen außer ihren „angestammten“ Räumen aus. Das „Handbuch für Medienguerillas“ der Webseite „D-Generation“ rät zum Gebrauch der Retorsion des emanzipierten Diskurses als Offensivstrategie. Man solle die „Gegner mit ihren eigenen Waffen“ schlagen, und da es die „größte Angst der systemtreuen Lakaien [sei], des Rassismus verdächtigt zu werden“, wird empfohlen, „großzügig die Nazikeule“ einzusetzen und dem Gegenüber „Rassismus und Antisemitismus“ vorzuwerfen. Auch diese Taktik stellt eine Form der Umwertung da, werden die Begriffe doch aus ihrem eigenen Kontext gelöst und nicht mehr zum Kampf gegen, sondern zur Verteidigung von rassistischen Inhalten verwendet. All diese begrifflichen Umdeutungen sind Verwirrspiele, die das Publikum verunsichern sollen. Rechts-alternative Akteur*innen profitieren von der entstehenden Desorientierung und Unsicherheit. Wenn das Vertrauen in eine auf Fakten basierende Realitätswahrnehmung schwin-det, nährt die entstehende Ungewissheit letztendlich wahn-ähnliche „Alternativwirklichkeiten“.


Dieser Text ist ein Auszug aus der Broschüre

Amadeu Antonio Stiftung (Hrsg.):
Alternative Wirklichkeiten. Monitoring rechts-alternativer Medienstrategien
Erscheinungsjahr: 2020

Titelbild der Broschüre: „Alternative Wirklichkeiten“ der Amadeu Antonio Stiftung

PDF zum Download: Monitoring_2020_web

Print-Exemplar bestellen: https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/publikationen/alternative-wirklichkeiten/

Alle Artikel aus der Broschüre auf Belltower.News:

https://www.belltower.news/lexikon/alternative-wirklichkeiten/

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