Die Meldung schlug in der letzten Woche ein wie eine Bombe: Michael Wendler zurück in den „Mainstreammedien“. RTL Zwei kündigte am 14. März eine „intime“ Dokusoap mit dem Schlagersänger (50) und seiner schwangeren Frau Laura Müller (22) an. „Vom Geburtsvorbereitungskurs bis zum Babybett-Kauf“ wollte sich das Paar vom Produktionsteam des Privatsenders begleiten lassen. „Eine Ausstrahlung inklusive der Geburt als Staffel-Highlight ist noch in diesem Jahr geplant“.
Nichtmal 24 Stunden später dann das TV-Aus für den Verschwörungssänger und seine schwangere Frau, die ganze zwei Jahre älter ist als Wendlers Tochter aus erster Ehe. Zahlreiche Kommentator*innen hatten die bizarre Ankündigung von RTL Zwei kritisiert. Der Fernsehsender RTL, der 35 Prozent an RTL Zwei hält, schloss eine Ausstrahlung der Show auf seinen eigenen Streamingdiensten aus. Carmen und Robert Geiss, Stars des Realityformats „Die Geissens“ auf RTL Zwei, distanzierten sich deutlich und drohten damit, die Zusammenarbeit mit dem Sender einzustellen, sollte die Babydoku tatsächlich produziert und ausgestrahlt werden. RTL Zwei versuchte zunächst das Skandalformat zu verteidigen, kündigte aber schließlich – inklusive Nichtentschuldigung – die Zusammenarbeit mit dem Verschwörungsstar wieder auf.
Vom Sexshop ins Dschungelcamp
Es dürfte ein schwerer Schlag für den Sänger sein, der eigentlich Michael Norberg heißt. Denn seine bisherige Karriere basiert auch auf unterschiedlichen Realityshows aus dem Privatfernseh-Universum. In den 1990er Jahren stieg der mittlerweile 50-Jährige in die verschuldete Speditionsfirma seines Vaters ein, betrieb Sexshops und musste 2002 Privatinsolvenz anmelden. Noch während das Verfahren lief, gründete er zusammen mit seiner damaligen Frau Claudia Norberg das Musiklabel CNI Records, er fungierte damals als einfacher Angestellter. Seine Karriere nahm 2007 Fahrt auf, als er zum Plattenlabel Ariola wechselte. 2008 landete er mit dem Album „Unbesiegt“ zum ersten mal in den Charts.
Wendlers TV-Karriere beginnt 2014 im Dschungelcamp. Danach folgen Stationen bei „Schlag den Star“, „Promi Big Brother“, „Let‘s Dance“, „Goodbye Deutschland“ und „Das Sommerhaus der Stars“. Im Oktober 2018 geben Wendler und seine Frau Claudia die Trennung nach einer 29-jährigen Beziehung bekannt. Die gemeinsame Tochter des Paares, Adeline Norberg, war damals 17. Im gleichen Monat wurde Wendlers Beziehung mit der damals 18-jährigen Laura Müller bekannt. „Laura und der Wendler – Jetzt wird geheiratet!“, hieß die passende Dokusoap, die auf VOX ausgestrahlt wurde.
Während seiner gesamten Karriere gab es regelmäßige Konflikte, die vor Gericht ausgetragen wurden. Dazu gehörten ein Namensstreit mit einem anderen Sänger, der ebenfalls unter dem Namen Michael Wendler auftrat, der Chefin eines Wendler-Fanclubs schenkte er ein Auto, um es kurz danach wieder zurückzufordern, den Betreiber*innen eines Fan-Cafés auf Mallorca musste er nach einem Streit um den Namen und Fan-Artikeln, fast 40.000 Euro zurückzahlen. 2018 stand ein Gerichtsvollzieher wegen nicht gezahlter Forderungen von Gläubigern kurz vor einem Auftritt vor der Tür. Nachdem der Sänger 2021 nicht zu einem Gerichtstermin wegen eines Strafbefehls zu Insolvenzen seines Labels und einem Musikverlag aufgetaucht war, wurde ein Haftbefehl erlassen, der aber im Oktober 2021 wieder aufgehoben wurde.
KZ-Vergleich: Endgültiges Aus bei RTL
Aber Skandal-Schlagzeilen änderten lange Zeit nichts an Wendlers Erfolgsgeschichte. Im August 2020 wurde der Schlagersänger Jurymitglied bei „Deutschland sucht den Superstar“ (DSDS). Ausgerechnet als Ersatz für Xavier Naidoo, dessen Antisemitismus und Verschwörungsglauben nach Jahren Konsequenzen nach sich gezogen hatte und der die Sendung im März des Jahres verlassen musste. Doch auch mit Wendler hatte die Castingshow kein Glück. Schon im Oktober fehlte Wendler für eine Aufzeichnung, weil er mitsamt Müller außerplanmäßig zurück nach Florida, dem gemeinsamen Wohnsitz geflogen war. Von jetzt an geht es weiter bergab.
Wendler kündigt wenige Tage später via Instagram seinen Telegramkanal an. Er wirft der Bundesregierung „grobe und schwere Verstöße“ gegen das Grundgesetz im Rahmen der „angeblichen“ Covid-Pandemie vor. Laut Wendler tragen aber auch die Medien, darunter nennt er explizit RTL, Schuld an der Misere, weil sie „gleichgeschaltet“ und „politisch gesteuert“ seien. Laut dem Geschäftsführer von RTL kündigte Wendler die entsprechenden Verträge mit dem Sender. In unterschiedlichen Videointerviews mit anderen Verschwörungsgrößen behauptet Wendler das Gegenteil. Wendlers Manager sagte in einem Interview, der Sänger habe vor seinem Statement mit Atilla Hildmann gesprochen, der zu diesem Zeitpunkt schon eine feste Größe in der (rechtsextremen) Verschwörungsszene ist.
Von Anfang an gibt Wendler den üblichen Verdächtigen der Szene eine Plattform auf seinem schnell wachsenden Kanal. Er teilt die Posts von Anwälten der Szene, etwa Reiner Fuellmich, aber auch von Hildmann, Eva Herman, QAnon-Gläubigen und diskreditierten Wissenschaftlern. Er ruft zum Widerstand gegen die „lächerlichen“ Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie auf.
Im Januar 2021 folgt dann der vorläufige Höhepunkt der Radikalisierung. Für Bewohner*innen eines Landkreises mit zu hoher 7-Tage-Inzidenz wird der Bewegungsradius auf 15 Kilometer eingeschränkt. Wendler schreibt dazu auf Telegram: „KZ Deutschland??? Es ist einfach nur noch dreist, was sich diese Regierung erlaubt! Das Einsperren von freien und unschuldigen Menschen ist gegen jegliche Menschenwürde.“ Noch am selben Tag gibt RTL bekannt, dass Wendler aus allen bereits produzierten DSDS-Folgen herausgeschnitten wird.
Selbstbewusst im Verschwörungssumpf
Spätestens ab jetzt ist Wendler vollkommen im Verschwörungssumpf angekommen. Über Telegram verbreitet er kontinuierlich und in hoher Schlagzahl Falschnachrichten, meist sind es weitergeleitete Beiträge aus der Szene, hin und wieder äußert er sich auch persönlich. Er behauptet zum Beispiel, Deutschland würde kurz vor einer Hungersnot stehen. Im August 2021 behauptet er, alle Geimpften würden im Folgemonat sterben und beruft sich auf einen dubiosen, ebenfalls aus Deutschland in die USA ausgewanderten, Wunderheiler.
Wendler tritt jetzt regelmäßig in den Videoformaten der Szene auf und hat – wenig verwunderlich – keinerlei Berührungsängste. Schon im Dezember 2020 gibt er der ehemaligen Tagesschausprecherin Eva Hermann ein fast einstündiges Interview. Wendler, der gerne von sich in der dritten Person spricht, behauptet: „Deutschland ist im Faschismus schon angekommen“. Sein Rauswurf bei RTL sei eine „Atomschlag“ für den Sender gewesen. Seine Frau Laura und er selbst seien die „stärksten Pferde im Stall“ gewesen. Oliver Pocher, der schon in der Zeit vor Wendlers endgültigem Absturz eine ausgedehnte, publikumswirksame Fehde mit dem Schlagersänger führte – die wenig überraschend in einer RTL-Show mit dem Titel „Pocher vs. Wendler: Schluss mit lustig“ gipfelte – gehöre zum Deep State. Also der schattenhaften Organisation, die laut QAnon und anderen Endzeitverschwörungserzählungen, im Hintergrund die Geschicke der Welt lenkt. Im Video bestätigt der Sänger sein Weltbild: „Ich habe meine Meinung und die ist gefestigt“. Seine Zukunft im Fernsehen sieht er düster: „Ich halte es sowieso für ausgeschlossen, dass es in Zukunft in Deutschland weiter Formate geben wird oder dass das deutsche Fernsehen noch weiter existieren wird“.
Ende April 2021 gibt der Sänger dem rechtsextremen Compact-Magazin, das vom Verfassunsschutz beobachtet wird, ein Videointerview. Auch hier geht es wieder um den Deep State, angeblichen Faschismus in Deutschland und die „angebliche Pandemie“. Auch diesmal beweist der Sänger, wie tief er im antisemitischen Verschwörungssumpf steckt: „In Wahrheit werden wir ja nicht von einer Kanzlerin Merkel regiert oder irgendwelchen Parteien, sondern von Menschen, die dahinterstehen, nämlich von reichen Eliten, die meinen, die Welt regieren zu dürfen“.
Er geht auf seine unsägliche KZ-Behauptung ein und bekräftigt, was er schon früher behauptet hatte. Mit der Abkürzung habe er nämlich keineswegs die Konzentrationslager der Nazis gemeint: „Mit KZ meine ich nicht Konzentrationslager, sondern Krisenzentrum. Und das hab‘ ich auch sofort erklärt und das war allen klar.“ Nur um die eigene absurde Rechtfertigung im nächsten Satz ad absurdum zu führen: „Selbst wenn ich KZ gemeint hätte, hat sich das ja bewahrheitet. Denn die Bundesregierung sperrt ja die Menschen tatsächlich ein.“ Auch in diesem Interview beweist der Sänger vor allen Dingen sein großes Ego: Sein eigentliches Ziel sei es gewesen, die Bundesregierung zum Umdenken zu bewegen. Schon früher hatte Wendler behauptet, das Ausbleiben der angekündigten Hungersnöte sei eigentlich ihm und seinen Verschwörungsfreunden zu verdanken: Die Regierung habe gemerkt, dass „das natürlich auf vielen Widerstandskanälen auf Telegram verkündet worden ist. Da hat die Bundesregierung dann drauf reagiert, und um keine Panik zu verursachen, hat sie natürlich gegengesteuert“, sagte er dem Tagesspiegel. Die eigene Wichtigkeit betont er auch im Compact-Interview. Seine Karriere sei „bewusst zerstört worden“. Und weiter: „Das kam aus politischer Ecke, dass man Michael Wendler mundtot macht.“
Babydoku als Ausstieg aus der Szene?
Kurzzeitig vermittelte Wendler nun allerdings den Eindruck, zumindest teilweise aus der Szene aussteigen zu wollen. In der Pressemitteilung von RTL Zwei wird er zitiert: Was seine Frau und das Kind „am allerwenigsten brauchen, sind die Konflikte und Kontroversen, die in letzter Zeit mit meinem Namen verbunden waren. Von einigen meiner Äußerungen der Vergangenheit möchte ich mich klar distanzieren. Laura und ich sehen dieses Format als Möglichkeit zum Neustart für uns an.“ Und tatsächlich herrschte auf Wendlers Telegramkanal seit 6. Februar 2023 Funkstille. Zu dem Zeitpunkt war gerade die Schwangerschaft von Laura Müller bekannt geworden. Am 12. März, also zwei Tage vor der Ankündigung von RTL Zwei gibt Wendler dann bekannt, den Kanal löschen zu wollen. Nach dem öffentlichen Aufschrei und dem Aus für das Format meldet sich Wendler offenbar nochmals zu Wort und beschwert sich darüber, dass man ihm eine „Rehabilitierung“ verwehre, um im gleichen Statement wieder seinen KZ-Vergleich zu verteidigen und zu behaupten: „Es ist Zeit für Versöhnung“.
Handelt es sich also um einen tatsächlichen Ausstiegsversuch? Tobias Meilicke ist skeptisch. Er leitet die Beratungsstelle Veritas in Berlin, die sowohl Angehörige und das Umfeld von Verschwörungsgläubigen berät, als auch tatsächliche Aussteiger*innen begleitet: „Ich habe kein Gespräch mit ihm geführt, aber aus meiner Sicht geht es bei diesem angeblichen Ausstieg eher um finanzielle Fragen. Er hat sich ja auch nicht distanziert, sondern lediglich den Telegramkanal für kurze Zeit stillgelegt.“
Meilicke betont aber auch, dass ein Ausstieg generell möglich sein muss: „Es ist wichtig, dass Menschen die Chance bekommen, wieder Teil der Gesellschaft zu werden. Wir dürfen Ausstiegswillige nicht an den Pranger stellen, aber sie müssen auch Verantwortung übernehmen.“ Das Stichwort heißt also Verantwortung. Denn bei Personen wie Michael Wendler handelt es sich eben nicht um Privatleute, die einen fragwürdigen Telegramkanal abonniert haben und schlimmstenfalls ihr Umfeld durch wahnhaftes Verhalten vor den Kopf stoßen. Fast jeden Tag setzte Wendler Dutzende Posts für seine über 100.000 Telegram-Abonnent*innen ab. Beispielhaft etwa am 28. Januar 2023. Angefangen in den frühen Morgenstunden und bis spät in die Nacht postet Wendler 28 Mal. Am 25. Januar sind es sogar 52 Posts. Unterbrochen wird die Desinformationsflut nur von Werbung für Produkte und Bücher des Kopp-Verlags.
Bei solchen Verschwörungsinfluencern gelten also höhere Maßstäbe. Das bekräftigt der Veritas-Chef: „Gerade bei Prominenten ist eine öffentliche Distanzierung notwendig. Ihr Engagement hat dazu geführt, dass andere mit der Szene in Berührung gekommen und reingerutscht sind. Sie haben größere Reichweite. Und sie haben damit zur Polarisierung beigetragen, die wir in den letzten Jahren erlebt haben. Das heißt, sie haben eine andere Verantwortung.“ Personen mit so großer Reichweite, die womöglich sogar durch Werbeeinnahmen oder Spenden profitiert haben, sollten auch beim Ausstieg größeres Engagement beweisen: „Eine Möglichkeit wäre, Projekte zu unterstützen, die über Verschwörungsideologien aufklären und etwas dagegen tun“, so Meilicke. Und auch für das Verhalten findet der Verschwörungsexperte deutliche Worte: „Es ist unverantwortlich, solchen Menschen so eine große Reichweite zu geben. Was RTL zwei geplant hatte, ist ein Paradebeispiel dafür, was eigentlich nicht passieren sollte.“