Rechtspopulist*innen instrumentalisieren, wenn sie es können. Alice Weidels Umarmungsfoto mit „Achse des Guten“-Autor Hendryk M. Broder im Bundestag machte dessen Hoffnung zunichte, sich mit einer Rede mit kritischen Untertönen zugleich als Freund und Kritiker der AfD und damit als der Querdenker zu präsentieren, als den er sich vermutlich selbst verstanden wissen möchte. Nun müssen ehemalige journalistische Weggefährten des Autors Matthias Matussek erleben, dass es bei einer Einladung zu dessen 65. Geburtstag offenbar vor allem darum geht, rechtspopulistische bis rechtsextreme Netzwerke zu knüpfen und zu festigen – auch durch Öffentlichkeit.
Matusseks grundlegender Wandel zu einem Streiter für rechtspopulistische Politik und Ideologie dürfte derweil keinen Bekannten mehr überraschen. Spätestens nach dem „Ich bin homophob, und das ist auch gut so“-Eklat in der „Welt“ befand sich Matussek auf dem Weg einer öffentlichen Radikalisierung, die ihn später (2018) als Redner zu „Merkel muss weg“-Demonstration in Hamburg führte (BTN berichtete) und als Autor zu Publikationen wie dem rechtspopulistischen „Tichys Einblick“, der rechtspopulistischen Schweizer „Weltwoche“ (vgl. ZEIT), dem neurechten Magazin „Cato – Magazin für neue Sachlichkeit“ und der neurechten Publikation „Tumult – Vierteljahresschrift für Konsensstörung“ (BTN berichtete). Wer seine Texte dort liest, weiss, dass das inhaltlich passt.
Mit der “Identitären Bewegung” in Syrien
Eine Textserie auf „Tichys Einblick“ aus dem Dezember 2018 hätte dabei besonders interessant sein können, fand aber wenig Beachtung, wohl auch aufgrund von Matusseks unstrukturierter Sprache und Aussage in den Texten: Er bereist Syrien, betrachtet dort einerseits Christenverfolgung und christlichen Kult, und spekuliert andererseits über die jungen, kräftigen syrischen Männer, die in Deutschland Asyl suchten und in Syrien für den Wiederaufbau des Landes gebraucht würden – wenn sie nicht als ehemalige IS-Anhänger in Deutschland Unterschlupf gesucht hätten. Interessant dabei seine Reisegruppe, die er auch offen im Text beschreibt: „(…) dazu der Identitäre Sebastian Zeilinger mit seinem Kumpel.“ Der „Identitäre“ meint in diesem Fall ein Mitglied der rechtsextremen „Identitären Bewegung (IB)“. Matussek schreibt: „Zeilinger hat ein, nein, nicht von der IS, sondern von deutschen Vandalen umgeholztes Kreuz in den bayrischen Bergen eigenhändig ersetzt und hochgeschleppt.“ Die „Gipfelkreuz“-Aktion der IB war 2016 in Bayern. Heutzutage engagiert sich Zeilinger für „AHA“, die „Alternative Help Association“ der „Identitären Bewegung“, die laut Eigenaussage geflüchteten Syrer*innen im Libanon helfen will, damit sie nicht nach Deutschland kommen (BTN berichtete). Es muss eine anregende Reise gewesen sein, denn seitdem teilt Matussek auch IB-Videos über seinen Twitter-Account und sucht die Nähe zu der rechtsextremen Jugendorganisation offen.
Wer der IB-„Kumpel“ aus dem Text war, weiß seit Matusseks Geburtstagsparty, nun auch jeder: IB-Aktivist Mario Müller, Buchautor und Kopf der IB-Organisation „Kontrakultur“ in Halle (vgl. BTN), zuvor in der NPD-Jugend „Junge Nationaldemokraten“ aktiv und in der rechtsextremen „Aktionsgruppe Delmenhorst“, 2012 verurteilt wegen Körperverletzung, weil er einen Mann, den er als politischen Gegner wahrnahm, mit einem selbstgebastelten Totschläger schwer verletzt hatte. Matussek stört das offenkundig nicht, er schreibt begeistert auf Facebook: „Mit meinem Identitären Freund Mario, der mit mir in Maalula den Westhügel bezwang“. Dies spielt auf die Syrien-Reise an. Vor der Reise gab es übrigens bereits am 20.11.2018 ein Interview mit den IB-Aktivisten Müller und Zeilinger im AfD-nahen „Deutschlandkurier“. Autor: Matthias Matussek. In der Einleitung heißt es: „Nach Ansicht der etablierten Medien und Parteien ist die IB rechtsradikal oder sogar rechtsextrem.“ Offenkundig kein Hinderungsgrund für eine Geburtstagseinladung.
So steht Mario Müller auf von Matussek veröffentlichten Fotos und einem Video ganz vorn bei einem Geburtstagsständchen, das TV-Moderator und Produzent Reinhold Beckmann auf der Geburtstagsparty am 09.03.2019 für Matussek singt. Dies weiß die Öffentlichkeit, weil Matussek selbst Statements, Fotos und Videos der Party offen auf seinem Facebook-Profil veröffentlicht hat. Stolz zeigt sich Matussek etwa mit Erika Steinbach, Ex-CDU-Hardlinerin, einst Bundestagsabgeordnete und heute Leiterin der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung. AfD-Politiker Roger Lebien ist auch da.
Unter den anwesenden Journalisten sind „Spiegel“-Kolumnist Jan Fleischauer, der wohl auch eine „scharfzüngige Rede“ gehalten hat, die „Spiegel“-Journalisten Alexander Smoltczyk und Martin U. Müller, dazu Jochen Siemens („stern“) und Stefan Sattler („Focus“) , BILD-Kolumnist Franz-Josef Wagner, Alexander Kissler (aktuell „Cicero“) und Ulrich Greiner von der „ZEIT“ – der zuletzt gegen eine Broschüre der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus in Berlin (mbr) vorging, die „Kulturkampf von rechts“ zum Thema hatte (vgl. Übermedien). Alexander Wendt (u.a. ehemals Wirtschaftswoche, stern, Tagesspiegel) hat sich bereits mit dem Unterzeichnen von „Charta 2017“ und „Erklärung 2018“ (BTN berichtete) positioniert und hat, wie auf YouTube zu besichtigen, keine Berührungsängste mit der rechtsextremen sogenannten „neuen” Rechten“ in Schnellroda. Autorin und Journalistin Bettina Röhl schreibt aktuell für den Bertelsmann-Verlag und die Süddeutsche Zeitung , von 2016 bis 2017 allerdings unter anderem auch für die rechtspopulistische Publikation „Tichys Einblick“.
Zu den Akteuren der so genannten „alternativen Medien“ gehören Andreas Lombard, Chefredakteur des neurechten „Cato“-Magazin und Dieter Stein, Chefredakteur der rechtspopulistischen Zeitung „Junge Freiheit“.
Ebenfalls einmal Journalist war Michael Klonovsky, heute ist er persönlicher Referent des AfD-Vorsitzenden Alexander Gauland. Klonovsky ist mit seiner Frau Elena Gurevich auf der Party. Die israelische Pianistin gab, wie ein Video zeigt, ein Ständchen zur Gitarre zum Besten, und war damit Teil eines musikalischen Programm, zu dem auch Matusseks Sohn mit einem holprigen Rap gehörte, in dem unter anderem auch das Durchbrechen der Matrix durch Red Pilling vorkommt, ein bei rechtsextremen Verschwörungstheoretikern beliebtes Bild aus dem Film „Matrix“: wer die rote Pille schluckt, sieht die Welt nicht mehr, wie sie erscheinen soll, sondern so, wie sie wirklich ist (und das ist: Dem Untergang geweiht, wenn sich nichts ändert). Sebastian Moll trat mit einer Kabarett-Nummer auf. Er war zuvor bei der AfD politisch aktiv, die er 2014 aber wieder verließ. Moll verleiht mit der „Deutschen Sprachwelt“ einen nach seinem Vater benannten Preis „für verständliche Wissenschaft“. Preisträger setzen sich u.a. gegen geschlechtergerechte Sprache und werden dafür prämiert.
Unter den „kulturellen“ Gästen erwähnt Matussek noch „Susanne Dagen, die Buchhändlerin aus Dresden-Loschwitz“, die auch gern mit der neurechten Publizistin Ellen Kositza aus Schnellroda YouTube-Sendungen dreht (BTN berichtete) und Initiatorin der Charta 2017, sowie Heimo Schwilk, Autor und Herausgeber einer Reihe von Büchern über den Schriftsteller Ernst Jünger.
In diesem Konglomerat der kulturell interessierten Rechten fühlte sich offenbar vor allem einer unwohl, denn der hat es hinterher auf seiner Facebook-Seite beschrieben: Reinhold Beckmann. Er wollte offenbar als ehemaliger Wegbegleiter und kritischer Gast sehen, wohin sich Matthias Matussek bewegt hat, und hat nach dessen Veröffentlichung des Ständchens auf Facebook ebenfalls mit einem Facebook-Statement zu Wort gemeldet:
„Ich habe lange überlegt, dann beschlossen meinen Gitarrenkoffer zu nehmen und ihm mein vergiftetes Geschenk mitzubringen, meine Version des Bob Dylan-Klassikers „Things have changed“. Er sollte was zu kauen haben. Schluckbeschwerden bekommen. Ich wollte so meine Widerworte gegen seinen Irrweg setzen.“ Beckmann hat nun gesehen, dass das offenbar nicht funktioniert hat. Matthias Matussek hat ihn in seine Party aus Akteur*innen der Rechtsaußen-Szene einverleibt. Er hat einen wenig kritischen Teil des Songs veröffentlicht und sich öffentlich über Beckmanns Darbietung gefreut. Dabei ist ungewöhnlich, eine private Geburtstagsparty zu so einer öffentlich politischen Party umzukodieren, dass der Gastgeber selbst seine Gäste veröffentlicht und so eine Gemeinschaft darstellt, in der sich mutmaßlich nicht alles Anwesenden heimisch fühlen – spätestens, wenn es um den Rechtsextremen Mario Müller geht.