Wie rechtsextrem denken Menschen in Deutschland? Dieser Frage gehen Elmar Brähler, Oliver Decker und Johannes Kiess von der Universität Leipzig seit 2002 nach. Denn nicht nur bekennende Neonazis stimmen rechtsextremen Denkmustern zu – gefährlich ist gerade, dass manche Anteile des rechtsextremen Weltbildes auch in der gesamten Bevölkerung verbreitet sind. Alle zwei Jahre ist seit 2002 eine Studie zum Rechtsextremismus in der „Mitte“ erschienen.
Die Ergebnisse für 2014
Geschlossenes rechtsextremes Weltbild 5,6 % (2002: 9,7 %)
Ausländerfeindlichkeit 18,1 % (2002: 26,9 %)
Chauvinismus 13,6 % (2002: 18,3 %)
Antisemitismus 5,1 % (2002: 9,3 %)
Befürwortung einer Diktatur 3,6 % (2002: 7,7 %)
Sozialdarwinismus 2,9 % (2002: 5,3 %)
Verharmlosung des NS 2,2 % (2002: 4,1 %)
Neu in 2014:
Abwertung von Flüchtlingen 55 – 76 %
Abwertung von Roma 47 – 55 %
Abwertung von Muslimen 36 – 42 %
So analysieren die Wissenschaftler
Weiterhin werden in allen Bevölkerungsgruppen rechtsextreme Einstellungen nachgewiesen (also z.B. auch bei Menschen, die sich politisch eher links oder unpolitisch verorten würden.Die Zustimmung zu rechtsextremen Aussagen sank allerdings 2014 im Vergleich zu den bisherigen „Mitte“-Studien deutlich.Eine mögliche Erklärung wäre Deutschlands positive wirtschaftliche Gesamtentwicklung – der enge Zusammenhang zwischen Wirtschaft und politischer Einstellung ist erwiesen.Bildung ist der wichtigste Schutz vor rechtsextremen Einstellungen: etwa sind „nur“ 6,8 Prozent mit Abitur ausländerfeindlich, aber 20,8 Prozent ohne AbiturZustimmung zu rechtsextremen Aussagen gibt es bei Anhänger*innen aller politischen Parteien – am meisten aber bei den Anhänger*innen der AfDMänner sind etwas mehr rechtsextrem eingestellt als Frauen, Ostdeutsche etwas mehr als Westdeutsche.Während die Zustimmung zu allgemein rassistischen Aussagen sinkt, fokussiert sich Rassismus auf bestimmte Gruppe von Migrant*innen: Diejenigen, die den Befragten als „grundlegend anders“ erschienen oder so, als „hätten sie ein gutes Leben ohne Arbeit“. Die Forscher sehen hier auch die Folge davon, rassistische Diskurse aktuell kulturalistisch zu verschieben (also nicht mehr von „anderen Rassen“ zu sprechen, aber von „anderen Kulturen“, wie es etwa gern bei Islamfeind*innen geschieht).Interessant: Während primäre autoritäre Strukturen in der Gesellschaft zunehmend wegfallen (Führer, schlagende Eltern etc.), scheinen immer mehr Menschen stattdessen das gesellschaftliche Diktat der Ökonomie als autoritäre, ihr Leben beschränkende Größe zu erleben. Die Forscher sprechen von „sekundärem Autoritarismus“.
Der „neue“ Rassismus
Diesen Aussagen haben in Prozent zugestimmt:
Muslimen sollte die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden – 36,6 %
Durch die vielen Muslime hier fühle ich mich manchmal wie ein Fremder im eigenen Land. – 43 %Ich hätte Probleme damit, wenn sich Sinti und Roma in meiner Gegend aufhalten – 55,4 %Sinti und Roma sollten aus den Innenstädten verbannt werden. – 47,1 %Sinti und Roma neigen zur Kriminalität – 55,9 %Bei der Prüfung von Asylanträgen sollte der Staat großzügig sein. (hier: Prozentsatz der Ablehnung) – 76 %Die meisten Asylbewerber befürchten nicht wirklich, in ihrem Heimatland verfolgt zu werden – 55,9 %
So kommentiert die Zivilgesellschaft
Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung, kommentiert die Zahlen so: „Die Ergebnisse der Leipziger Untersuchung „Die stabilisierte Mitte. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2014″ von Brähler/Decker sind erfreulich, weil sich die Zahl der manifest rechtsextrem Eingestellten in ganz Deutschland mit 5,6% fast halbiert hat. Dies macht deutlich, wie erfolgreich ein politischer Konsens gegen Rechtsextremismus und die dauerhafte Präventionsarbeit dagegen ist. Allerdings machen die Ergebnisse der Einstellungsuntersuchung auch deutlich, wie stark sich rechtsextremes Gedankengut durch politische Stimmungsmache im Vorfeld des Europawahlkampfes entwickelt und ausdifferenziert hat.“ Weiter stellt Reinfrank fest bezüglich möglicher Gegenstrategien fest: „Im besorgniserregenden Maße gestiegen sind die Vorteile gegenüber Sinti & Roma, Muslimen und Flüchtlingen. Die Präventionsarbeit gegen Rechtsextremismus muss diese stärker bearbeiten. Dies gilt vor allem hinsichtlich der Weiterentwicklung der Bundesprogramme gegen Rechtsextremismus unter Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig.“
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