Zusammengestellt von Simone Rafael
1. Warum ein jüdisches Lokal in München dichtmacht
Unter dem Deckmantel der Israel-Kritik steckt oft knallharter Antisemitismus. Ein jüdischer Gastronom aus München zieht Konsequenzen. Der Gastronom Florian Gleibs hat „die Schnauze voll“, wie er sagt, und damit in der Stadt für einen Donnerhall gesorgt. Nach 16 Jahren schließt sein jüdisches Szenelokal „Schmock“ in der Maxvorstadt. Der Grund: „Ich habe keinen Bock mehr auf diese ganze Juden- und Israel-Klugscheißerei.“ Natürlich schließen tagtäglich irgendwo in Bayern Gasthäuser und Restaurants, ohne dass dies weiter interessiert. Gleibs’ Entschluss hat jedoch einen üblen Beigeschmack – und der spricht nicht für das gern beworbene Image der Landeshauptstadt als weltoffen und liberal. „Ich sehe, dass Antisemitismus gefühlter ist als vorher.“ Früher, so Gleibs, sei sein Jüdischsein nie Thema gewesen, plötzlich war es das aber. Der Gastronom, der mit Ende 20 das „Schmock“ eröffnete, weil was Israelisches halt näher lag als Italienisches, wurde zur Rechenschaft gezogen. Natürlich sei er nicht mit allem einverstanden, was die Regierung in Jerusalem mache, doch sei plötzlich er es gewesen, der sich vor seinen Gästen habe rechtfertigen müssen (Welt). Interessant auch dieser Text, den Florian Gleibs selbst geschrieben hat: „Da kam die ganze Judenfeindlichkeit wieder hoch, die es wohl immer gab. Nur glaubten die Leute, sie könnten sie jetzt als Israel-Kritik verpackt laut aussprechen. In einem meiner anderen Restaurants in München, im „Helene“, verkaufen wir teils die gleichen Speisen wie im „Schmock“, nur unter der arabischen Bezeichnung. Da fängt niemand an, mit mir über die Kriege in arabischen Ländern zu diskutieren.“ (Huffington Post).
2. Antisemitismus bei DITIB
Eine der vornehmsten Aufgaben von Organisationen, die sich im gesellschaftspolitischen Raum bewegen, ist das Bemühen um das friedliche Zusammenleben der Menschen in einer Gemeinschaft trotz unterschiedlichster Identitäten und Überzeugungen. Eine dieser Organisationen, die sich (auch aufgrund ihrer Größe) zum Integrationspartner des Staates, auf Bundes- und Landesebene, und im Besonderen auf der kommunalen Ebene entwickelt haben, ist die unter der Aufsicht des türkischen Staates stehende „Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V.“ (kurz: DITIB). Die „Jüdische Rundschau“ hat Beispiele von Antisemitimus in DITIB-Gemeinden recherchiert. Der Verband spricht von „Einzelfällen.
3. Wie sich der Antisemitismus gewandelt hat
Dem Judenhass auf den Grund gehen: Antisemitismusforscher Werner Bergmann verlässt die TU Berlin – seine Forschungen bleiben weiterhin relevant. Im vergangenen Jahr wurden in Deutschland 1366 antisemitische Straftaten registriert. Dahinter stehen antisemitische Einstellungen, die weit über den Kreis der Täter hinausreichen. Wie weit sie in der Gesellschaft tatsächlich verankert sind, versucht die empirische Sozialforschung in repräsentativen Bevölkerungsumfragen zu ermitteln. Langzeitbeobachtungen stellten die Abnahme des Antisemitismus nach etwa 2004, dann aber seine Konstanz bis heute im Bereich zwischen acht und zehn Prozent fest. Viele dieser Studien konzipiert und geleitet hat seit Jahrzehnten der Sozialwissenschaftler Werner Bergmann. Zum Abschied des 66-jährigen Professors am Zentrum für Antisemitismusforschung (ZfA) der TU Berlin in den Ruhestand vergewisserten sich Kolleginnen und Kollegen jetzt bei einem Symposium der gemeinsamen Forschungsmethoden und Theorien (Tagesspiegel).
4. Antisemitismus in der Universität
Leipzig: Stura debattiert monatelang über Antisemitismus-Vorwürfe gegen Referenten
Tarek Abdel Al Mohamed Hassan setzte sich bis vor Kurzem als Antirassismus-Referent beim Stura für Minderheiten und gegen deren Ausgrenzung ein. Zuletzt ging er in seinem Kampf um soziale Gerechtigkeit jedoch zu weit – sein Rücktritt markiert das Ende einer langen Debatte (lvz).
Hochschulchefin über Antisemitismus an der „HAWK Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst“ : „Offensichtliche Qualitätsmängel“
Ihre Hochschule hat Fehler im Umgang mit einem pro-palästinensischen Seminar gemacht, sagt Präsidentin Christiane Dienel. Was sie aus der Kritik lernt (taz).
5. „Juden-Sau“ in Wittenberg und Antisemitismus bei Luther
Streit um „Juden-Sau“ an Luther-Kirche in Wittenberg
Soll ein mittelalterliches antisemitisches Relief in Wittenberg entfernt werden? Das Kirchenmotiv – so beschämend und fatal es ist – hat keinen Seltenheitswert: Rund 30 Darstellungen der sogenannten Judensau sind in Europa bekannt, also obszöne Abbildungen von Juden, die einem Schwein unter den Schwanz schauen oder an den Zitzen einer Sau trinken. Eins dieser Reliefs hängt in Wittenberg, an Luthers Predigtkirche – seit 1305. Jetzt wird erneut zur Frage gestellt, ob es weiter gezeigt werden soll. Aus Antisemitismus bei Martin Luther ist in diesem Zusammenhang ein Thema.
http://www.rp-online.de/kultur/streit-um-juden-sau-an-luther-kirche-aid-1.6305409https://www.domradio.de/themen/%C3%B6kumene/2016-10-04/antijuedisches-relief-luthers-kirche-loest-diskussionen-aushttp://www.rnz.de/kultur-tipps/kultur-regional_artikel,-Antisemitismus-Das-schwierige-Erbe-Martin-Luthers-_arid,227594.htmlhttp://www.deutschlandfunk.de/der-doppelte-reformator-luthers-judenfeindlichkeit-ist-die.886.de.html?dram:article_id=368943http://www.deutschlandfunk.de/evangelischer-kirchentag-seine-judenfeindlichkeit-haette.886.de.html?dram:article_id=369376
6. Antisemitismus in der AfD
Der Fall des Abgeordneten Wolfgang Gedeon zeigt, wie die AfD mit Antisemitismus umgeht. Man wägt ab, was im Rahmen des Sagbaren ist. Der Fall Wolfgang Gedeon ist eigentlich schnell erzählt: Der AfD-Politiker, Mitglied des Landtags von Baden-Württemberg, hat sich in seinen Schriften umfangreich, unmissverständlich und eindeutig antisemitisch geäußert. Das ist, für ein Mitglied eines deutschen Parlaments, für sich genommen bereits ein Skandal. Der noch größere Skandal ist aber das Verhalten der AfD, mit dem Fall Gedeon umzugehen – und an diesem Verhalten der Partei kann man mehr über den Antisemitismus in der AfD erfahren als schon aus dem, was Gedeon von sich gibt. Denn der Umgang zeigt, wie tief verwurzelt antisemitisches Denken in der AfD ist und warum die AfD zwar programmatisch betrachtet bisher keine explizit antisemitische Partei ist, aber fraglos eine Partei für Antisemitinnen und Antisemiten (taz)
7. Queers for Israel
Am vergangenen Wochenende fand in Berlin die Tagung »Queers and feminists against antisemitism« statt, die sich gegen Antisemitismus in der queer-feministischen Szene richtete. Allein in diesem Jahr gab es in Berlin antiisraelische und antisemitische Vorfälle auf Queer-Veranstaltungen: beim CSD, dem Transgenialen X*CSD, dem lesbisch-schwulen Stadtfest und der Israeli Queer Movie Night. Welche sind die Gründe für Israelhass in Teilen der queeren Szene und wie kann man dagegen vorgehen? Darüber wurde am vergangenen Wochenende in der Werkstatt der Kulturen in Berlin diskutiert. Dass man Antisemitismus nicht nur in dieser Szene, sondern seit Jahren in der gesamten deutschen Linken verstärkt wahrnehmen kann, machten die Veranstalter_innen im Anfangsstatement klar. Ihnen ging es auch darum, sich Angstklima und Spaltungstendenzen entgegen zu stellen. Der Zusammenhalt in der Linken solle gestärkt werden (JW).
8. Jüdischer Rapper Ben Salomo; Teile der Hip-Hop-Szene sind antisemitisch
Als jüdischer Rapper hat Ben Salomo schon viel Ablehnung erfahren müssen. Antisemitismus in der Szene ist ihm vertraut. Nun bringt der Gründer der Duells „Rap am Mittwoch“ sein erstes Soloalbum raus. Die ersten Reaktionen sind positiv (Tagesspiegel).
9. Menschrechtsbeauftragter: Antisemitismus in Europa nimmt zu – zwei Fälle im Oktober in Berlin
In Europa breitet sich nach Ansicht des Menschenrechtsbeauftragten des Europarats Judenfeindlichkeit aus. Es gebe „zunehmende antisemitische Hetze, Gewalt und Leugnung des Holocausts“, so Niels Muiznieks. Bei seinen Reisen in den vergangenen Jahren habe er den Eindruck bekommen, dass die Europäer diese Gefahr übersehen, sagte der Menschrechtsbeauftragte des Europarats, Nils Muiznieks. Es gebe Menschen, die „den Holocaust auf die Juden schieben oder nahelegen, dass die Juden sich mit dieser Tragödie beschäftigen, um daraus Nutzen zu ziehen.“ Es gebe Fälle, in denen der NS-Völkermord an den Juden kleingeredet und trivialisiert werde (DW, Spiegel).
Berlin: S-Bahn-Kontrolleure beleidigen israelischen Touristen antisemitisch
Zwei Kontrolleure der Berliner S-Bahn sollen einen israelischen Touristen am Dienstagvormittag antisemitisch beleidigt haben. Weil der 35-jährige Tourist auf dem S-Bahnhof Treptower Park nur eine abgelaufene Fahrkarte hatte, verlangten die beiden Männer seinen Ausweis, wie die Polizei am Mittwoch mitteilte. Nach Aufnahme der Personalien hätten die beiden Kontrolleure, die als südländisch beschrieben wurden, den Besucher aus Israel antijüdisch beleidigt. Die Identitäten der Kontrolleure waren zunächst nicht bekannt. Neben der Polizei geht auch die S-Bahn dem Vorfall nach (Berlinonline, Tagesspiegel).
Berlin II: Israelischer Tourist in Burger-Restaurant Bedienung verweigert :“Ich bediene keine Juden“
Ein anderer israelischer Tourist wurde am Dienstag in einem Burger-Restaurant am Alexanderplatz antisemitisch beleidigt. Der 51-Jährige bestellte am Abend einen Kaffee, woraufhin der 29 Jahre alte Angestellte sich weigerte und sagte: „I don’t serve Jews“. („Ich bediene keine Juden.“) Noch bevor die Polizei eintraf, hatte der Verdächtige jedoch seine Schicht beendet (MAZ).
10. Antisemitismus bei „Reichsbürgern“
Ein „Reichsbürger“ schoss auf vier Polizisten, einer von ihnen ist seinen Verletzungen erlegen. Auch Antisemitismus spielt als Feindbild in dieser Szene eine Rolle. Dies macht der Blick auf einige Statements deutlich (hagalil.com)
11. Antisemitismus und Bots
Der Wahlkampf um die US-Präsidentschaft, der 2015 angelaufen ist, stellt eine Zäsur in der amerikanischen Politgeschichte dar. Viele Bürger und Beobachter beklagen einen Verfall des Diskurses und das weitere Aufbrechen gesellschaftlicher Gräben. Und in der Tat lässt sich das zunehmen extremer Phänomene beobachten. So feiert etwa in sozialen Medien der Antisemitismus eine Renaissance, berichtet die New York Times. Als plakatives Beispiel wird etwa Bethany Mandel angeführt. Als Folge von ein paar kritischen Twitter-Kommentaren, die auf judenfeindliche Trump-Unterstützer hinwiesen, erhielt die freie Autorin zahlreiche Beleidigungen und Drohungen. Ein Nutzer schickte ihr 19 Stunden in Folge entsprechende Botschaften. Ein anderer teilte ihr mit, sie verdiene „den Ofen“. Ein New York Times-Reporter wiederum hatte schon Auschwitz-Bilder in seinem Posteingang gefunden. Ben Shapiro, einst Schreiber für das rechte Breitbart-Blog, erhielt nach der Bekanntgabe der Geburt seines zweiten Kindes auf Twitter die Nachricht „in die Gaskammer mit allen Vier von euch“. Der Independent berichtet derweil über den Einfluss von automatisierten Twitter-Konten (Bots) im Laufe des Wahlkampfes. Diese scheinen laut einer Untersuchung von der University of Oxford unter anderem dazu eingesetzt zu werden, die Wahrnehmung des Ausgangs der TV-Duelle zu verzerren. (Standard).
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