Wer kennt das nicht: Ein wichtiges Treffen steht bevor, und das lässt man einen Mann organisieren, den man ein Jahr zuvor aus der Partei ausgeschlossen hat, der sich nichts mehr wünscht, als die AfD zu radikalisieren, und plötzlich steht man auf der Bühne und singt alle drei Strophen des Deutschlandliedes. Passiert Ihnen nicht? Hier die wilde Geschichte des AfD-„Flügels“ und von Wolfgang Freiherr von Krauss.
Als sich Vertreter*innen des völkischen AfD-Flügels am 04. Mai 2019 im bayerischen Greding bei München trafen, sangen sie auch gemeinsam auf der Bühne – und für einige der Prominenten offenbar überraschend – das „Lied der Deutschen“ ab der ersten Strophe („Deutschland, Deutschland über alles…). Das kommt nicht gut an. Inzwischen scheint ein Schuldiger dafür ausgemacht: Wolfgang Freiherr von Krauss. Ein Akteur dieses Namens ist uns im Monitoring bereits begegnet – in rechtsextremen Telegram-Gruppen.
Die AfD Bayern ist empört. So empört, dass sie einer Person Hausverbot erteilt, wie die Welt berichtet: „Der Landesvorstand hat für die Person, die sich als Wolfgang von Krauss oder Wolfgang Freiherr von Krauss bezeichnet und deren Identität wir bis heute nicht kennen, einstimmig ein Hausverbot für alle Veranstaltungen der AfD in Bayern ausgesprochen. Dies umfasst sämtliche Veranstaltungen und Treffen der Partei, egal ob diese vom Orts-, Kreis- Bezirks- oder Landesverband ausgerichtet werden.“
Das klingt interessant. Hausverbot für eine unbekannte Person?! Und wie kann diese Person zu den Organisatoren des „Flügel“-Treffens gehören, sogar mit Zugang zu Musikauswahl und Rechner, und dort das „Lied der Deutschen“ einlegen in allen drei Strophen, wie es der bayerische AfD-Bundestagsabgeordnete Peter Felser in einem Pressegespräch berichtet? „Der Organisator ist jemand, der eindeutig letztes Jahr aus der Partei geworfen wurde, weil seine Identität falsch war.“ Er könne, so Felser weiter, „noch nichts behaupten, aber ich kann sagen, da sind wir dran“. Zwei Tage später folgt das Hausverbot. Inzwischen gilt es für AfD-Veranstaltungen bundesweit.
Wolfgang Freiherr von wer?
Einer der Organisatoren der Gredinger Veranstaltung war also ein etwa 60-jähriger Mann (davon gibt es Fotos), der in der Partei als Wolfgang Freiherr von Krauss bekannt ist und vor einem Jahr aus der AfD ausgeschlossen wurde, weil er keine gültigen Papiere vorlegen wollte oder konnte. Trotzdem hat er die „Flügel“-Veranstaltung organisiert. Kein Wunder, er mag die AfD offenkundig sehr: Er trat wenige Tage zuvor mit der baden-württembergischen AfD-Abgeordneten Christina Baum bei der AfD-1. Mai-Demonstration 2019 in Erfurt auf. Es gab auch Zeiten, da war Wolfgang Freiherr von Krauss sogar Funktionär: Der „Flügel“- und Höcke-Fan wird 2017 als Vorstandsmitglied im bayerischen AfD-Bezirksverband Schwaben geführt, organisiert auch eine Schifffahrt mit Björn Höcke als Stargast und Katrin Ebner-Steiner, Vorsitzende der AfD-Fraktion im bayerischen Landtag (Details in der guten Recherche der Welt). Allerdings ist die Beziehung kompliziert: 2017 schreibt laut Merkur der damalige AfD-Landesvorsitzende Petr Bystron – dem gerade Beobachtung durch den Verfassungsschutz angedroht worden war – in einer Chat-Gruppe bayerischer Parteifunktionäre: „Meiner Meinung nach wäre es das Beste für die Partei, wenn uns einige Parasiten verlassen würden“ – und benennt u.a. den damaligen Schwabens Interims-Bezirkschef Wolfgang von Krauss.
Das sagt die rechtspopulistisch-rechtsextreme Szene
Was ist also los mit Wolfgang (Freiherr) von Krauss? Das interessiert auch die rechtsextreme Szene. Der bestens vernetzte neurechte Autor Götz Kubitschek schreibt auf „Sezession.de“ über den Krauss: „Es gibt in Bayern einen flügelnahen Mann, der nicht Parteimitglied werden konnte, weil er nicht willens war, seine Identität mittels gängiger Dokumente eindeutig nachzuweisen. Er gilt als Hochstapler und zugleich als Organisationstalent, ist eine imposante Erscheinung und ein Schnurrenerzähler, und er verfügt über Geld und eine stets willkommene Großzügigkeit.“ Kubitschek hat auch eine Theorie, warum Freiherr von Krauss das alles tut: „Er unterstützt dort, wo sich im Flügel selbst Risse zeigen.“ Ihm ginge es darum, die radikalen Kräfte im „Flügel“ zu unterstützen, die nicht auf politische Taktieren geben, sondern offen rechtsextrem sein wollen: „Solche Leute wollen immer alles sofort sagen dürfen, was ihnen durch den Kopf geht – gegen das sofort einleuchtende und politisch unverzichtbare Mindestmaß an Parteiraison.“ AfD-Anhänger*innen und Funktionäre, wie etwa der bayerische AfD-Funktionär Andreas Haas, suchen ihr Heil in der Verschwörung: Ein Mann ohne Identität, der müsse ja wohl vom Geheimdienst sein, vom Verfassungsschutz vielleicht?
In Telegram-Gruppen ist er NS-Verehrer, Reichsbürger, Prepper
Die Wahrheit hat wohl eher mit Engagement getrieben durch Ideologie zu tun – und was Ideologie heißt, ist auch im Rechtsaußen-Spektrum vielfältig. Dass manche AfD-Funktionäre Wolfgang Freiherr von Krauss heute nicht (mehr) so gut kennen (wollen), liegt aber vielleicht auch daran, dass sie etwas andere Interessen haben als er. Im Internet begegnet Wolfgang Freiherr von Krauss – unter diesem Namen – dem Monitoring von „De:Hate“ in verschiedenen Telegram-Gruppen. Telegram ist ein Messenger-Dienst, in dem sich Menschen nicht nur persönlich schreiben, sondern in denen es auch Gruppen und Kanäle gibt. „Dark Social“ eignet sich hervorragend zur Vernetzung, gerade für Vertreter*innen nicht ganz mehrheitsfähiger Meinungen (vgl. BTN).
Von Krauss debattiert intensiv in Gruppen der so genannten „Prepper“-Szene: Hier treffen sich Rechtsextreme, um sich auf Tag X vorzubereiten. Dies ist der Tag, an dem sie wieder die Macht ergreifen und den Nationalsozialismus wieder einführen wollen. So krass, wie das klingt, sind auch die Diskussionen, die dort geführt werden. Unter den Diskutierenden sind Menschen mit Waffen-Erfahrung, wie Soldat*innen und Jäger*innen. Sie posten gern Fotos mit ihren Waffen und von Schießtrainings im Gelände. Wolfgang Freiherr von Krauss gibt an, in dieses Umfeld gut zu passen. Er will an der Bundeswehr-Universität in München-Neubiberg Staatswissenschaften studiert haben und langjährig als Offizier auf Auslandseinsätzen gewesen sein („in Scheißländern”, sagt er).
In den Gruppen wird nicht nur theoretisch diskutiert, wo man für „Tag X“ Munitionslager erreichten möchte – es werden auch Häuser mit Ebay-Kleinanzeigen-Links für diesen Zweck in der Gruppe geteilt und die Geldbeschaffung für den Kauf debattiert. Dazwischen werden NS-Bilder, SS-Lieder und Gedichte geteilt. Jedes erdenkliche Thema wird mit Bezug zum Nationalsozialismus diskutiert – Islam, Homo- und Transsexualität oder künstliche Intelligenz und Roboter-Technik. Der Jargon der Abwertung ist außergewöhnlich, speziell in einer Gruppe, in der von Krauss besonders aktiv war (bis er hinausgeworfen wurde!). Die Bezeichnungen für Menschen mit Migrationshintergrund, Jüdinnen und Juden, Homosexuelle oder Frauen sind in der Regel Tiere gepaart mit sexuell konnotierter Widerlichkeit. Viele Gruppenmitglieder sind offenkundig Reichsbürger – vielleicht auch ein Grund, warum von Krauss der AfD keine Papiere vorlegen konnte?
In den verrohten Telegram-Gruppen voller NS-Verherrlichung, brutalem Antisemitismus, Frauenverachtung und Gewaltaufrufen ist der Account von Wolfgang Freiherr von Krauss kein Zaungast, sondern ein tonangebender Akteur. In einer Diskussion zur Frage: Was sagt denn der Nationalsozialismus zu Homosexualität“ meint er etwa: „Schwule sind Volksschädlinge.“ Bei Lesben sei das etwas anderes. Warum? „Weil Lesben dem Reich trotzdem Kinder schenkten.“ Als ein Mitdiskutant vorschlägt, „linke” Publizisten wie Stefan Aust (langjähriger Chefredakteur des „Spiegel”, aktuell Herausgeber „Die Welt”) durch ein Attentat auszuschalten, meint von Krauss: „Wäre schon sinnvoll.”
„Könnte der Flügel zum Reich tendieren? Wenn er an die Macht kommt?“
Wolfgang Freiherr von Krauss beklatscht virtuell krasse Statements, Volksverhetzung und Holocaustrelativierung anderer, er kommt auch selbst ins Plaudern. So lässt sich hier auch einiges über von Krauss‘ AfD-Engagement und seine Motivation erkennen. Obwohl die meisten in der Gruppe sich Nationalsozialismus wünschen und zumindest ein Teilnehmer auch der rechtsextremen Partei „Die Rechte“ nahe steht, sehen sie in der AfD die einzig realistische Hoffnung auf politische Machtübernahme. Darüber spricht die Gruppe mit Wolfgang Freiherr von Krauss, den sie bereits als Soldaten aus München kennen – er schreibt gern über seine Erfahrungen als Offizier auf Auslandseinsätzen – und als glühenden „Flügel“ und Björn Höcke-Fan kennengelernt haben, der auch immer wieder betont, dass Höcke und er sich auch persönlich kennen und nahe stehen.
In einem Chat im Dezember berichtet Wolfgang von Krauss in die Gruppe: „In der AfD wird gerade der entscheidende innerparteiliche Machtkampf ausgetragen. (…) Siegt der Flügel, hat Deutschland noch eine Chance“. Nach Geplänkel, ob Deutschland nun die BRD GmbH sei (Krauss: „Von mir aus nenn es Germania.“) oder nicht, geht es weiter. Ein Mitdiskutant fragt: „Könnte der Flügel zum Reich tendieren? Wenn er an die Macht kommt?“ Krauss antwortet: „Drum ist dieser innere Kampf so entscheidend.“ Die AfD als Initiatorin eines neuen Deutschen Reiches? Da sind sich die anderen unsicher. Krauss nicht: „Die Führung [des Flügels]“ sähe das so. Es wird nachgefragt: „Wieviel Prozent macht der Flügel von der Partei aus? Mit seinen Anhängern?“ Krauss: „Das lässt sich schwer sagen. Denke, so die Hälfte. Darum ist es ja gerade so entscheidend.“ Da wird aber noch einmal kritisch nachgefragt: „Wieso schmeißt man dann Leute wie Sie raus?“ Krauss sagt, es gäbe ein großes Ost-West-Gefälle – im Osten laufe es gut, in Bayern aber auch schon – und verweist auch auf den Fall der Amtsenthebung von Doris von Sayn-Wittgenstein, ehemalige Landesvorsitzende von Schleswig-Holstein, der u.a. Kontakte zur Reichsbürger-Szenen nachgesagt werden. Die Gruppe ist sich einig, dann müsse man die Partei „infiltrieren“, „bis man oben ist“. Die Gruppe plaudert dann über verschieden AfD-Politiker. Einer bringt die Rede positiv auf Albrecht Glaser, AfD-Bundestagsabgeordneter und dreimal vom Parlament abgelehnter Bundestags-Vizepräsidenten-Kandidat. Das regt Krauss auf: Glaser „haßt“ [Fehler im Original] Höcke, den „Flügel“ und „deutschnationale Kräfte“ in der AfD. Er schließt mit einer Beschimpfung, die den Stil des Gesprächs illustriert: „Ich verachte diese Ratte.“ In einer anderen Gruppe umreißt Freiherr von Krauss einen genaueren Plan zur Machtübernahme: „Das Nahziel muss lauten: Übernahme der Deutungshoheit des Flügels in der AfD und dann 30 % wie im November 1932”.
Ein anderes Mal wird in der Gruppe offen volksverhetzender Inhalt geteilt, Wolfgang Freiherr von Krauss postet den Link zu einem stern-Artikel über einen Chat-Leak einer Gruppe, die von André Poggenburg administriert wurde, und schreibt: „Ich wäre mit sowas echt vorsichtiger“. Im Artikel ist vor allem von einem Querulanten „Friedrich“ die Rede, der Bomben auf Merkel diskutieren will. Ein Mitdiskutant fragt: „Sie sind aber nicht „Friedrich“, oder?“ Krauss schickt einen zustimmend grinsenden Smiley, worauf der Gesprächspartner meint: „Die meisten der AfDler in diesem „Chat“ sind wohl Bettnässer. (…)“
An anderer Stelle verweist er darauf, dass sein Hang zum Nationalsozialismus Familientradition sei. In einer Diskussion zu den „Lebensborn“-Heimen der Nationalsozialisten schreibt er: „Mein Großvater war Mitbegründer des ersten Heims in Steinhöring.“ Der Lebensborn e. V. war in der Zeit des Nationalsozialismus ein von der SS getragener, staatlich geförderter Verein, dessen Ziel es war, auf der Grundlage der nationalsozialistischen Rassenhygiene und Gesundheitsideologie die Erhöhung der Geburtenziffer „arischer“ Kinder herbeizuführen, etwa durch anonyme Geburten statt Schwangerschaftsabbruch. Am Ende fliegt Wolfgang Freiherr von Krauss übrigens aus dieser rechtsextremsten Gruppe, weil er sich mit anderen Diskutierenden nicht auf den Ursprung der nationalsozialistischen Ideologie einigen kann.
Wer sich also das Chat-Verhalten des Accounts namens Wolfgang Freiherr von Krauss ansieht, der bekommt eine Ahnung, dass die AfD wohl gut daran tut, ihn nicht mehr in ihrer Nähe sehen zu wollen – und erst Recht keine Veranstaltungen organisieren zu lassen. Offen bleibt die Frage, wie viele „Flügel“-Anhänger*innen seine Ideologie zumindest partiell teilen. Es gibt zumindest einen AfD-Politiker, der ebenfalls in den rechtsextermen Telegram-Gruppen aktiv ist und dessen Identität Freiherr von Krauss gern bestätigt: Carsten Härle, AfD Hessen, Parteiausschlussverfahren seit Januar 2019 – mutmaßlich wengen Huldigung des Nationalsozialismus auf Facebook (vgl. op-online.de). Er beschwert sich: „PAV (= Parteiausschlussverfahren), zweiter Versuch gegen mich. (…) So läuft das hier also: Man informiert den Vorstand freiwillig im Vorfeld einer drohenden Hetzkampagne und der benutzt diese Informationen nicht etwa zur Verteidigung sondern als Grundlage eines PAVs. So ist weder die AfD noch Deutschland zu retten.” Wolfgang Freiherr von Krauss stimmt zu: „Diese Ratten wollen einen unserer Besten loswerden”. Das besorgt die Diskutierenden allerdings: Könnte das auch ihrem Idol Björn Höcke passieren? Freiherr von Krauss, der sich immer wieder als enger Freund Höckes darstellt, kann beruhigen: „Björn wird nicht fliegen. Das versucht man seit Jahren. Sonst zerbricht die AfD.” Eine Anfrage der Redaktion an Björn Höcke zu seinem Verhältnis zu Wolfgang Freiherr von Krauss und dem Wunsch nach Wiedereinführung des Nationalsozialismus blieb bislang unbeantwortet.
Derweil droht dem angeblichen Phantom „Wolfgang Freiherr von Krauss” nicht nur der Ärger der AfD – in rechtsextremen Gruppen werden inzwischen „Fahndungsaufrufe” nach seiner “wahren Identität” gepostet. Natürlich kommen die Aufrufe nicht ohne Verschwörungserzählung aus. Die Rechtsextremen vermuten, dies sei eine „Zersetzungsoperation”. Ähnliches suggeriert auch ein Politiker der AfD Allgäu. Er schreibt: “Ich halte den für ein CSU-Boot”.
– Alle Telegram-Gruppen sind der Redaktion bekannt. Zu allen Aussagen im Text liegen der Redaktion Screenshots vor. –
Update 18.06.2019:
AfD in Bayern: Ebner-Steiner und der ominöse „Freiherr“
Ein geheimnisvoller „Freiherr“ sorgt für reichlich Wirbel in der bayerischen AfD. Seine Identität ist unklar, seine Ziele auch. Für die bayerische AfD-Fraktionschefin Ebner-Steiner wurde er nun zum Problem.
https://www.br.de/nachrichten/bayern/afd-in-bayern-ebner-steiner-und-der-ominoese-freiherr,RTdGUOx