Es gibt für die rechts-alternativen Szene nicht die „eine“ Plattform, sondern eine Vielzahl Sozialer Medien für verschiedene Zwecke und Zielgruppen: Dezentralisierung lautet die Devise. Auffällig ist allerdings, dass auf den meisten Plattformen viele verschiedene rechts-alternative und rechtsextreme Strömungen aktiv sind. Das heißt: Ob ich als Pegida-Rassist*in oder IB-Fan, Anhänger der Idee einer jüdischen Weltverschwörung oder Antifeminist*in auf eine neue Plattform komme, ich finde über die Suchfunktion der Seite mit nur wenigen Schlagworten oder „prominenten“ Namen in der Regel schnell andere Aktivist*innen aus der jeweiligen Szene – und über deren Profile lassen sich Gruppen, Netzwerke, Memes und Videos erschließen. Für Menschen, die anfangen, sich für rechtsextreme und demokratiefeindliche Narrative zu interessieren, wird so schnell eine ganze Landschaft digitalen anti-demokratischen Engagements bereitgestellt.
Diesen Effekt nutzen rechts-alternative Akteur*innen sehr gezielt: Viele haben mehrere Accounts auf verschiedenen Netzwerken und weisen stets selbst auf die anderen Wege hin, ihnen zu folgen und ihre Inhalte zu teilen. Dies dient dem Sicherstellen des Kontakts, falls Kanäle gelöscht werden, aber auch, um verschiedene Formen von Kommunikation zu ermöglichen. Der umtriebigste Akteur derzeit ist IB-Frontmann Martin Sellner, der in fast jedem Netzwerke zumindest einen Account eröffnet und damit experimentiert, wie er dort Menschen erreichen kann und welche Menschen das sind. Als Söldner im von ihm selbst ausgerufenen „Infokrieg“ ist der Online-Aktivismus offensichtlich seine bevorzugte Engagement-Form. Deshalb kommt Sellner in fast allen Plattform-Übersichten vor: Er ist praktisch ein niedrigschwelliger Indikator dafür, wie groß und lebhaft die deutschsprachige rechts-alternative Szene auf dem jeweiligen Netzwerk ist. Die Zukunft von rechtsterroristischen Strukturen im Internet könnte noch deutlich dezentraler aussehen. Im Namen vom Privatsphäre und Datenschutz entwickeln Programmierer*innen alternativ zu den heutigen, zentralisierten Server-Client-Systemen zur Informationsverarbeitung ein dezentralisiertes Web (DW), das über dezentralisierte Apps (DApps) erreicht werden kann. Von der Organisationslogik erinnert dies an Neonazi-Kameradschaftsstrukturen der 1990er Jahre: Um zu verhindern, dass Inhalte eingesehen oder aus dem Internet genommen werden können, organisiert sich das dezentralisierte Web nicht über wenige große Knotenpunkten in der Hand von Firmen, sondern über viele kleine Knotenpunkte, die autark agieren. Falls einer dieser Knotenpunkte vom Netz genommen werden sollte, funktioniert der Rest des Netzes weiterhin. Die Kommunikation im dezentralisierten Netz wird so privat wie möglich geführt, mit Ende-zu-Ende-Verschlüsselungen zwischen Beteiligten – und ohne dass Inhalte auf Servern gespeichert werden. Für Datenschützer*innen eine positive Vorstellung – für Terrorist*innen allerdings auch. Denn dann wird ihre Online-Kommunikation praktisch kaum mehr zu beobachten und noch weniger zu unterbinden sein.
Die Übersicht der Social Media-Plattformen
Der Artikel ist Teil einer Übersicht der Social Media-Plattformen, die für das Monitoring von Aktivitäten der rechtspopulistischen bis rechtsextremen Online-Szene für das Projekt de:hate der Amadeu Antonio Stiftung relevant sind. Allgemein ist festzuhalten, dass unterschiedliche Plattformen für unterschiedliche Zwecke und Interessen genutzt werden. Auch wird je nach Plattform ein anderes Publikum angezogen. So nutzen die über 30-Jährigen mit Abstand am meisten Facebook, während bei Jugendlichen Instagram die meistgenutzte Plattform ist.
Grob lässt sich unterscheiden zwischen den großen, öffentlichen Plattformen und dem sogenannten Dark Social, also Messenger-Diensten mit geschlossener Kommunikation. Auf letzteres wird zunehmend ausgewichen, da plattformeigene Richtlinien seit 2018 konsequenter durchgesetzt werden und neue Richtlinien ergänzt wurden, wie das Verbot von Inhalten zu „White Nationalism“ oder das Bannen von „Identitären“-Accounts als Hassorganisation auf Facebook und Instagram. Dadurch werden extreme Inhalte weniger offen beziehungsweise nur mit an die Regeln angepasster Sprache auf den großen Plattformen besprochen.
Für das Monitoring werden sämtliche Phänomene vom rechtspopulistischen bis zum rechtsextremen Spektrum einbezogen. Dafür werden ausgewählte Kanäle regelmäßig überprüft und auf algorithmische Unterstützung gesetzt. Nach bedeutsamen Ereignissen werden Kanäle zielgerichtet auf relevante Informationen hin untersucht.
Dieser Text ist ein Auszug aus der Broschüre
Amadeu Antonio Stiftung (Hrsg.):
Alternative Wirklichkeiten. Monitoring rechts-alternativer Medienstrategien
Erscheinungsjahr: 2020
PDF zum Download: Monitoring_2020_web
Print-Exemplar bestellen: https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/publikationen/alternative-wirklichkeiten/
Alle Artikel aus der Broschüre auf Belltower.News:
https://www.belltower.news/lexikon/alternative-wirklichkeiten/