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Monitoring-Rückblick 2022, Teil 2 Von „Schizopilling“ bis „Ye“

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Jahresrückblick zum Monitoring des Online-Rechtsextremismus 2022 von de:hate (Quelle: Amadeu Antonio Stiftung)

 

Juli: Biologinnen-Beef und „Jewrassic lies“

Queerfeindlichkeit bleibt auch im zweiten Teil des Jahres ein absolutes Trend-Thema in rechtsoffenen Online-Milieus. Seit Anfang 2022 erleben queerfeindliche Narrative einen rasanten Zuwachs im Internet. Eine Vielzahl an Chiffren, Memes und Hassbotschaften kursieren unkommentiert im Netz. Nicht verwunderlich also, dass ein im Juli abgesagter Vortrag der Humboldt-Uni eine transfeindliche Online-Debatte entfacht. Im Rahmen der langen Nacht der Wissenschaften hätte der Vortrag mit dem Titel „Geschlecht ist nicht gleich Geschlecht. Sex, Gender und warum es in der Biologie nur zwei Geschlechter gibt“ der Biologiedoktorandin Marie-Luise Vollbrecht stattfinden sollen. Als ein Arbeitskreis kritischer Jurist*innen zum Gegenprotest einlud, entschied sich die Universität, die Veranstaltung „aus Sicherheitsgründen” abzusagen. Kurz darauf wird die Biologiedoktorandin als jüngstes Opfer „linker Cancel Culture” und des vermeintlichen „Gender-Gaga-Mobs“ auf Twitter inszeniert. Angeheizt wird die Debatte von rechtsoffenen Kommentator*innen, die den Moment für sich kapitalisieren, um offensiv transfeindlich zu argumentieren. Der Vorfall zeigt, dass Queer- und vor allem Transfeindlichkeit ein wesentliches Mobilisierungselement rechtsextremer und religiös fundamentalistischer Milieus ist und bereits seit einiger Zeit eine Scharnierfunktion in antidemokratischen Bewegungen einnimmt.

Am 6. Juli 2022 durchsucht die Polizei bei Mitgliedern eines antisemitischen Telegram-Kanals mehrere Objekte. Die Admins des “Jewrassic lies”-Telegram-Kanals sollen rechtsextremen, antisemitischen Hass auf der Plattform verbreitet haben. Auch im Juli sorgt ein Terroranschlag in Chicago, Highland Park, für internationales Aufsehen. Das Tatmotiv wirkt dabei besonders verstörend. Der Attentäter hatte sich nämlich über Jahre hinweg online rechtsextrem radikalisiert. Auffallend war seine Affinität für eine morbide Internet-Ästhetik, die als “schizopilling” bekannt ist. Hierbei handelt es sich um das Kokettieren mit psychischen Krankheiten und Nihilismus in Memes und Musik. Die Rechtsextremismusforscherin Emmi Conley beschreibt das Schizopilling-Phänomen mit den Worten: „Es ist Nihilismus. Es ist Depression. Es ist eine extrem digitale Kultur. Aber es ist die Ästhetik, und nicht die Ideologie, die die gewalttätigen Akteure zusammenbringt.“

August: Von „Achtung Reichelt“ bis Andrew Tate

Im August wird Julian Reichelts neuer Youtube-Channel “Achtung, Reichelt!” immer beliebter in rechtsoffenen Kreisen. Etliche verschwörungsideologische und rechtspopulistische Telegram-Größen teilen Reichelts Einlassungen und verhelfen so dem ehemaligen BILD-Chef zu starken Reichweiten. Auch im August wird Donald Trumps Mar-a-Lago Anwesen von FBI-Agent*innen durchsucht. Es werden streng geheime Dokumente aus dem Weißen Haus gesichert. Fast gelassen reagiert seine QAnon-Anhängerschaft, die in Trump einen brillanten Strategen sehen, der ungeachtet der offiziellen Berichterstattung eigentlich 5D-Schach mit seinen Gegner*innen spielen würde. Während QAnon noch mit Trump beschäftigt ist, wird am anderen Ende der Welt einer ihrer deutschen Sprachrohre von der Polizei festgenommen. Oliver Janich, der QAnon-Verschwörungsideologe und Telegram-Influencer wird auf  den Phillipinnen verhaftet, nachdem er online Hinrichtungsphantasien gegen Politiker*innen äußert. Ähnlich schlecht läuft es für den misogynen Online-Hetzer und ehemaligen Kickboxer, Andrew Tate. Der wird im August von sämtlichen Social Media Plattformen gestoßen, da seine Inhalte eine sehr brutale Form der Frauenfeindlichkeit kommunizieren.

September: Von Queerfeindlichkeit bis Meloni

Der Tod eines CSD-Teilnehmers aus Münster, Malte C. wird im September für eine vielstimmige Online-Hasskampagne instrumentalisiert. Twitter und Telegram werden nach dem brutalen Angriff auf Malte C. mit transfeindlichen, queerfeindlichen oder rassistischen Hetzkampagnen geflutet. Ihr gemeinsames Ziel: den öffentlichen Diskurs durch menschenfeindliche Rhetorik zu lenken.

Angesichts der Energiekrise, die Deutschland einen ungemütlichen Winter zu bescheren droht, verlagert sich der Online-Diskussionsschwerpunkt. Die Rechtsaußen-Szene scheint sich dessen sicher zu sein, dass mit Emotionalisierungen über Gasknappheit, Energiekosten und Kältediktaturen deutschlandweit mobilisiert werden kann. Auch die AfD wittert ihre Chance, durch eine neue Krisen-Erzählung politisches Kapital zu schlagen. Andere, wie der rechtsextreme Blogger Miro Wolfsfeld, versuchen wiederum, mit der Angst vor dem vermeintlichen Blackout Geld zu machen. Immer wieder ruft er zur Krisenvorsorge auf und animiert seine Followerschaft endlich für den Untergang zu preppen. Währenddessen jubeln Rechtsextreme und Rechtspopulist*innen überall und zelebrieren gemeinsam den Wahlsieg Giorgia Melonis in Italien.

Oktober: Desinformationen von Auf1 bis Elon Musk

Im Oktober berichtet Belltower.News über den Ausbau der extrem rechten Medienlandschaft durch Stefan Magnets Online-Sender AUF1. Magnet verfügt über enge Kontakte nach Russland, verbreitet auf seinen Plattformen regelmäßig Desinformation und kommt aus einem NPD-nahen Umfeld. Darüber hinaus dokumentiert das Projekt Aktionswochen gegen Antisemitismus die Versuche der extremen Rechten im Netz, mit antisemitischer Verschwörungsideologie Stimmung zu machen. So ist das Einspeisen antisemitischer Erzählungen gerade in Krisensituationen ein erfolgversprechendes Modell mit starkem Mobilisierungspotential.

Ein digitaler Paradigmenwechsel vollzieht sich im Oktober mit dem Kauf von Twitter durch Elon Musk. Der Tesla-Inhaber und Milliardär schafft es Mitte des Monats, die Social Media-Plattform zu akquirieren. Sein explizites Ziel: Twitter in eine Plattform für vermeintlich ungefilterte Meinungsfreiheit zu verwandeln. In den darauffolgenden Tagen und Wochen wird die Hälfte der Belegschaft des Unternehmens entlassen und verbannte Rechtsradikale und Antidemokrat*innen zurück auf die Plattform geholt – eine komplette Notlage für die Online-Debattenkultur.

November: Von QAnon-Wahlbetrachtung bis WM

Im November finden in den Vereinigten Staaten die Zwischenwahlen statt, die online in rechtsoffenen Kreisen als heiß erwartetes Ereignis kommentiert werden. Was jedoch vor den Wahlen besonders besticht, ist, dass mehr als die Hälfte aller kandidierenden Republikaner*innen glauben, dass die Wahl in 2020 gestohlen wurde, und sich mittlerweile etliche von ihnen offen zu QAnon bekennen.

Im Vorwege der Fußball-WM in Katar eröffnen sich für die rechtsextreme bis rechtspopulistische Szene ungeahnte Möglichkeiten der Menschenfeindlichkeit. Es ist nicht notwendig, sich nicht auf ein einziges Hassobjekt einigen zu müssen. Folgerichtig ergießt er sich rassistisch, islam- und LGBTIQ*-feindlich ins Netz. Parallel dazu erfährt auf Twitter Hass auch seinen Peak, da etliche Antidemokrat*innen wieder zu der Plattform strömen, nachdem der frischgebackene Besitzer, Elon Musk, beschließt, seine Sperren zu lockern. Selbst der gesperrte Account des ehemaligen Präsidenten der Vereinigten Staaten, Donald Trump, wird von Musk nach einer medienwirksamen Twitter-Umfrage wieder zurückgeholt. International scharen auch andere Figuren, wie IB-Chef Martin Sellner, bereits mit den Hufen, wieder auf Twitter Zugriff zu erhalten.

Dezember: Von „Ye“ bis zum „Prinzen“-Netzwerk

Im Dezember wird es dann skurril. Der prominente Rapper, Kanye West, hatte sich in 2022 zunehmend antisemitisch radikalisiert. Den Höhepunkt seiner antisemitischen Rhetorik erfahren wir jedoch am 01. Dezember, als Ye in der „Info Wars“-Show von Amerikas bekanntestem Verschwörungspublizisten Alex Jones zu Gast ist. Dort hält er Lobreden auf Adolf Hitler, die selbst für Jones zu extrem sind.

Nicht viel später wird in Deutschland ein bundesweites Reichsbürger-Netzwerk aufgedeckt, das einen Umsturz plant. Schockierend ist dabei die Zusammensetzung  der Organisator*innen dieser Gruppierung. Zu ihnen gehören ein „Prinz“, eine ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete, ein ehemaliger Kriminalhauptkommissar und ein ehemaliger Bundeswehr-Oberst, die einen rechtsextremen Staatsstreich, noch vor Weihnachten umsetzen wollen. Einige der vermeintlichen Putschist*innen sind  auf Telegram aktiv und bekannt. So etwa  Alexander Q. aus Wetzlar, einer der Unterstützer des Netzwerks, der auf Telegram einen QAnon-Kanal mit 131.000 Abonnent*innen betreibt. Eine wesentliche Rolle im Netzwerk spielte auch der ehemalige Kriminalpolizist, Michael F., der als dieBasis-Mitglied und Covid-Skeptiker seit 2020 bekannt ist. Auch er pflegte einen Telegram-Kanal mit knapp 14.000 Abonnent*innen.

Rückblickend betrachtet war 2022 – nicht überraschend – erneut ein Jahr für Desinformation, generalisierte Menschenfeindlichkeit und für die Zementierung antidemokratischer Netzwerke. Es wird vor allem sichtbar, dass Telegram-Kollaboration und Offline-Vernetzung unter unterschiedlichsten Demokratiefeind*innen das “new normal” ist. Darüber hinaus wird deutlich, dass große Krisennarrative wie etwa Pandemie, Krieg oder Energieknappheit als Brandbeschleuniger und Radikalisierer instrumentalisiert werden sollen. Für 2023 ist zu erwarten, dass sich diese Entwicklungen fortsetzen. Aufklärerische und wehrhafte Arbeit wird daher weiter notwendig sein.

 

Teil 1 des Monitoring-Jahresrückblicks von de:hate finden Sie hier:

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