Nach der Besetzung des Instituts für Sozialwissenschaften haben sich Studierende der Humboldt-Universität zusammengeschlossen, um Antisemitismus entgegenzutreten und eine solidarische Struktur für Betroffene an der Hochschule zu schaffen. Die neue Gruppe heißt „Tacheles“, kritisiert die zunehmende Akzeptanz von Antisemitismus im universitären Alltag und fordert eine respektvolle und diskriminierungssensible Hochschuldebatte. „Ich erlebe immer wieder, dass Dozierende in den Seminaren das Thema der Proteste aufgreifen, ohne dabei den Antisemitismus deutlich zu benennen. Wir sind wütend, dass die Betroffenenperspektive von einigen Lehrenden und Kommiliton*innen dabei außer Acht gelassen wird“ sagt Jakob, einer der Studierenden aus der neuen Gruppe – sein Name, wie auch die der anderen Personen, die in diesem Text zu Wort kommen, wurde geändert, da sich die Aktivist*innen Anfeindungen und Gewalt ausgesetzt sehen. „Wir sind genervt davon, wenn in vielen Diskussionen Rassismus und Antisemitismus immer wieder gegeneinander ausgespielt werden. Wir wollen zeigen: Es gibt Studierende, die all das nicht hinnehmen! Es braucht Safe Spaces auch für Jüd*innen_Juden!“, so Jakob weiter.
Die Besetzung des Instituts für Sozialwissenschaften habe deutlich gemacht, dass Antisemitismus im Uni-Alltag angekommen sei und kaum thematisiert werde, heißt es in einem Statement der Gruppe. Neben erheblicher Sachbeschädigung hinterließen die Protestierenden im Gebäude und selektiv an Türen einzelner Wissenschaftler*innen rote Dreiecke, die von der Hamas zur Markierung militärischer Ziele verwendet werden. Auch ein Herz in Verbindung mit den „al-Qassam“-Brigaden, dem militärischen Arm der Hamas, befand sich an einer Wand. Spätestens seitdem seien insbesondere jüdische und israelische Studierende bedroht, so „Tacheles“. Ihr Sicherheitsgefühl und Vertrauen in die Universität als geschützter Raum seien massiv gestört. Die neue Gruppe sieht deshalb dringenden Handlungsbedarf, Antisemitismus sichtbar zu machen und diesem entgegenzutreten.
Die Gruppe, bestehend aus jüdischen und nicht-jüdischen Studierenden, will antisemitische Vorfälle an der HU nicht unwidersprochen stehen lassen und die Aufarbeitungsprozesse kritisch begleiten. Sie richtet sich an alle Studierenden, die sich ebenfalls gegen Antisemitismus engagieren wollen oder sich bei antisemitischen Vorfällen Unterstützung wünschen.
„Die Bilder der Besetzung haben sich in unser Gedächtnis gebrannt und werden auch nach den Renovierungsarbeiten bleiben“, sagt Ionna, die am Sozialwissenschaftlichen Institut studiert, „Menschen haben sich Teile unseres Raums genommen und darin offensichtliche Sympathien für antisemitische Gewalt geäußert. Wir wollen uns unsere Räume zurückholen und uns an unserem Institut auch in Zukunft wieder wohlfühlen.“