Seit 2006 gibt die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) alle zwei Jahre eine Studie über rechtsextreme Einstellungen in der Mitte der Gesellschaft heraus. Sie sind damit so etwas wie ein Barometer über die Zustimmung zum Rechtsextremismus im Land – und zeigen schon seit geraumen eines: Rechtsextreme Überzeugungen finden sich in Deutschland beileibe nicht nur an den Rändern, sie sind auch ein Problem der Mitte. Auch die aktuelle Studie „Die Mitte im Umbruch“, die am Montag in Berlin vorgestellt wurde, macht das wieder deutlich.
Ergebnisse im Überblick
Für die Studie wurden im Sommer dieses Jahres 2.415 deutsche Staatsangehörige sowie 95 Personen ohne deutsche Staatsbürgerschaft befragt. Die Ergebnisse zusammengefasst lauten:
Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland verharren auf hohem Niveau. Dabei ist die Ausländerfeindlichkeit mit 25,1% in Gesamtdeutschland die am weitesten verbreitete rechtsextreme Einstellung. Fast jeder zweite Ostdeutsche (43,6%) sieht die „Bundesrepublik in einem gefährlichen Maß überfremdet“ (im Westen 35,6%).Erschreckend sind die Werte derer, die über ein geschlossen rechtsextremes Weltbild verfügen, also allen abgefragten demokratiefeindlichen Positionen zustimmten: In Ostdeutschland stieg der Anteil jener auf einen Rekordwert von 25,8% (2010: 10,5%), in Westdeutschland fiel er auf 7,3%. Der Mittelwert für ganz Deutschland erhöhte sich zusammen genommen von 8,2 auf 9%.Anders als in früheren Befragungen weisen Ostdeutsche in der jungen Altersgruppe (14-30 Jahre) bei der Befürwortung einer rechtsautoritären Diktatur, Chauvinismus, Sozialdarwinismus und der Verharmlosung des Nationalsozialismus höhere Werte auf als in der Altersgruppe über 60.Nach wie vor weit verbreitet in ganz Deutschland ist Antisemitismus: Fast jeder Fünfte (19,5%) glaubt, „der Einfluss der Juden ist auch heute noch zu groß“. Und fast jeder Zehnte meint, „Hitler würde ohne die Judenvernichtung heute als großer Staatsmann angesehen“. Insgesamt ist Antisemitismus bei jedem elften Deutschen manifest, zum ersten Mal findet er sich bei Ostdeutschen häufiger als bei Westdeutschen.Noch weiter verbreitet ist Islamfeindlichkeit: 36,2% der Deutschen vertreten laut der Studie islamfeindliche Ansichten. Zur Aussage „Die islamische Welt ist rückständig und verweigert sich den Realitäten“ gibt es etwa eine volle bis teilweise Zustimmung von 57,5%.Zum ersten Mal wurde bei der Studie auch abgefragt, ob die Befragten einen so genannten Migrationshintergrund haben. Aufgeschlüsselt danach ergab sich, dass Deutsche mit Migrationshintergrund zwar weniger klassisch-rechtsextrem eingestellt sind, dafür aber stärker antisemitische Ansichten vertreten.Generell gilt, dass Bildung wie ein Schutzfaktor wirkt: So neigen der Studie zufolge Personen mit Abitur deutlich weniger zu Rechtsextremismus als Personen ohne Abitur.
Die Ergebnisse der FES-Studie sind erschreckend. Dennoch gibt es zumindest kleinere erfreuliche Meldungen: So sei die Zufriedenheit mit der Demokratie im Vergleich zu anderen Staatsformen mit 94,4% sehr hoch. Schaut man sich allerdings an, wie viele Menschen mit der „Demokratie in der Bundesrepublik zufrieden sind, wie sie tatsächlich funktioniert“, dann relativiert sich das Bild. So stimmen dieser Aussage in Westdeutschland nur 54,8% zu, in Ostdeutschland sind es gar nur 34%.
Die komplette Studie gibt es hier als PDF zum Download.
Die Wichtigkeit der Zivilgesellschaft
So erschreckend diese Zahlen sind, so dürfen sie doch nicht dazu verleiten, Rechtsextremismus als spezifisch ostdeutsches Problem zu deklarieren. So betonen die Autoren der Studie selbst, dass immer auch strukturelle und wirtschaftliche Faktoren miteinbezogen werden müssen. Dazu heißt es: „Abwärtsdriftende Regionen gibt es zwar vor allem in Ostdeutschland, aber nicht nur dort. Stadtstaaten (Hamburg, Berlin) schneiden grundsätzlich besser ab als ländlich geprägte, weniger industrialisierte Flächenstaaten. Die Ausländerfeindlichkeit ist zudem nicht etwa da besonders hoch, wo sich unterschiedliche Bevölkerungsgruppen täglich begegnen, sondern dort, wo kaum Migranten wohnen.“ Und dennoch lässt sich der starke Anstieg der Werte in Ostdeutschland nicht ausschließlich mit immer noch währenden Strukturproblemen erklären. Auch die Autoren warnen: „Hier wächst eine Generation heran, die alle bisherigen Gruppen in ihrer rechten Einstellung zu überbieten droht.“
Doch wenn nicht nur Strukturprobleme in Ostdeutschland dafür verantwortlich sind, was sind dann die Gründe? Dazu stellt etwa Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD), der auch Schirmherr der Amadeu Antonio Stiftung ist, fest, dass in Ostdeutschland eine Schwäche der Zivilgesellschaft und der Familien zu beobachten sei. Thierse fordert im Deutschlandfunk eine „bildungspolitische Offensive in Sachen Demokratieerziehung„. Allerdings müsste eine solche Bildungsoffensive gekoppelt werden mit einer konkreten Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus und Demokratiefeindlichkeit – sonst verbleibt sie im luftleeren Raum. Dazu erklärt etwa Timo Reinfrank, Stiftungskoordinator der Amadeu Antonio Stiftung: “ Das bedeutet auch, dass wir uns stärker mit der Genese des Rechtsextremismus in der DDR auseinandersetzen müssen. Dieser wurde geleugnet und verharmlost – gleiches gilt für den Antisemitismus und Rassismus.“ Der Umgang mit Vertragsarbeitern in der DDR habe vor allem dazu geführt, dass rassistische Ressentiments geschürt und tradiert wurden. Reinfrank ergänzt: „Ebenso wächst in Ostdeutschland eine neue Generation von Nazis heran, die durch die Ausschreitungen und Anschläge von Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen sozialisiert worden sind. Die viel zu oberflächliche Auseinandersetzung mit diesen Vorfällen ist ein Grund dafür, warum die rechte Szene ausgerechnet in diesen beiden Bundesländern so gut verankert ist.“
Lebendige Demokratie als Basis
Dazu passt, dass die Studie auch als Appell verstanden werden kann: So wichtig die derzeitigen Diskussionen um das Ausmaß und das Potenzial rechtsterroristischer Gewalt sind, Stichwort NSU, dürfen doch Auseinandersetzungen über Rassismus und alle Formen von Demokratiefeindlichkeit in unserer Gesellschaft nicht an den Rand gedrängt werden. Auch das macht die FES-Untersuchung deutlich: Es geht um die Überzeugungen der Menschen. Sich in diesem Punkt mit ihnen auseinanderzusetzen, ganz im Sinne einer lebendigen Demokratie, ist eine Aufgabe, die viele Projekte und Initiativen Tag für Tag und gerade in den betroffenen Regionen leisten. Umso wichtiger ist es, sie nachhaltig und kontinuierlich zu fördern, denn diese Arbeit ist der beste Verfassungsschutz, den wir uns wünschen können. Dazu passen auch die Ergebnisse der Studie zum Punkt Demokratie: Hier zeigt sich wieder, dass Demokratie kein Selbstzweck ist, sondern gelebt werden muss.
Der Rechtsextremismus der Mitte
Wenn nun wieder vor allem über den Rechtsextremismus in Ostdeutschland gesprochen wird, hatte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) dann Recht, als er vor ein paar Wochen von der Unterwanderung einiger ostdeutscher Landstriche durch Nazis sprach? Teils teils: Zum einen war der Protest gegen Friedrichs Aussage gerechtfertigt, verschleierte sie doch, dass Rechtsextremismus ein gesamtdeutsches Problem ist – eine Tatsache, auf die auch die Studie jetzt hinweist. Zum anderen aber gibt es tatsächlich regionale Unterschiede in der rechtsextremen Szene, die diskutiert werden müssen. Vor allem aber ist das Schlagwort von der „Unterwanderung“ fehl am Platz, gerade in Anbetracht der nun veröffentlichten Studie: Sie zeigt schließlich, dass der Rechtsextremismus eben nicht auf verschlungenen Pfaden in unsere Gesellschaft dringt – er ist vielmehr längst in ihrer Mitte angekommen.