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Nach „Querdenken“-Demonstrationen Katzenjammer und Spaltung in der Verschwörungsszene

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Auch auf den "Querdenken"-Demos am Wochenende in Berlin waren nicht alle immer total gut drauf - jetzt verstärken sich die Spaltungen. (Quelle: Belltower.News/SR)

Exemplarisch fassten die „Corona Rebellen“ auf Social Media zusammen, dass das Diffuse in den Protesten auch die Teilnehmenden verwirrt:

Nachricht aus dem „Telegram“-Kanal der „Corona-Rebellen“.

Das sind viele Ansichten und noch nicht alle (es kamen noch: Vergangenheit aufarbeiten oder nicht? Polizei als Gegner oder Komplizen? Beginnt ein neues Zeitalter? Wandelt sich unser Bewusstsein?). Ja, es ist nicht leicht in der „Querdenken“-Welt. Trotzdem wird zur Einigkeit gerufen: „Wir haben im Kopf verschiedene Standpunkte, Ideen und Meinungen. Aber unsere Herzen sprechen eine einzige Sprache. Ein Lächeln ist universell verständlich und ansteckend.“ Aber was sagt das? Die Aussagen klingen nach Durchhalteparolen. Sollte nicht eben noch das ganze Land übernommen werden? Wir wollten von Politikwissenschaftlicher Josef Holnburger wissen, der die Szene derzeit intensiv beobachtet:

Die rechtsalternative Szene hat gerade eine der größten Demonstrationen der letzten Jahre erlebt. Wie geht es ihr jetzt? 

Die Euphorie der ersten Stunden ist schnell verflogen. Aktuell beobachte ich Spaltungsprozesse. Schon nach der Demonstration am 01.08.2020 in Berlin ging es los: Thorsten Schulte, der „Silberjunge“, einer der Stars der Verschwörerszene, weigerte sich, vor dem Reichstagsgebäude mit Holocaustleugner Nikolai Nerling und Ex-NPDler Rüdiger Hoffmann aufzutreten. Das wurde in der Szene als Spaltungsprozess wahrgenommen und abgestraft. Bei der Demonstration am 29.08.2020 hatte Schulte schon keine Rolle mehr, nahm nicht einmal teil. Organisator Michael Ballweg hatte nach dem 01.08. nur seine in allen Reden eingebaute Floskel wiederholt, wonach er sich von „allen Extremisten“ distanziert sehen möchte. Jetzt distanziert er sich deutlicher, aus medialem Druck. Das kommt allerdings nicht gut an in der diffusen Protestmenge, die sich doch bisher einig waren, dass „alle“ dabei sein sollten. Ballweg wird in vielen Gruppen als „Spalter“ gesehen, als „Verräter“. Andere gehen weiter, wie etwa Attila Hildmann: Ballweg sei ein Illuminat, ein Freimaurer. Das geht in verschwörungsgläubigen Kreisen schnell.

Ist das der einzige Krisenherd?

Nein. Gerade in rechtsextremen Teilen der Bewegung gibt es auch viele Diskussionen dazu, dass Gesänge, Meditieren und Demonstrieren ja wohl der falsche Weg wären, um wirklich etwas zu erreichen. Hier findet man, auch nach dem gewaltsamen Besteigen der Treppe des Reichstagsgebäudes, dass diese Richtung des „Sturms“ radikaler hätte umgesetzt werden können und müssen. Denen sind etwa die esoterisch-alternativen Teile der Szene ein Dorn im Auge.

Aber waren die Demo-Teilnehmer*innen nicht am Anfang sehr euphorisch?

Ja, aber die Euphorie ist schnell verflogen. Das hängt damit zusammen, dass die große Demonstration auch große Erwartungen geweckt hat. Darunter waren in der Szene positiv gesehene Erwartungen wie „die Bundesregierung tritt zurück“, „wir rufen eine verfassungsgebende Versammlung ein“, „wir werden mindesten drei Millionen auf der Demo sein“ – nichts davon ist passiert. Aber auch die negativen Befürchtungen sind nicht eingetreten: Am 01. September gibt es einen weltweiten Lockdown, am 01. September beginnen die Massenimpfungen – wieder nichts. Das zerreibt die „Bewegung“ gerade.

Ist das der Beginn neuer Verschwörungserzählungen?

Klar. Im Moment drehen sich viele um die Treppenbesteigung am Reichstagsgebäude, gerade in den Milieus, die diese Aktion als gescheitert ansehen: War es eine gelenkte Aktion? Ist die rechtsalternative Heilpraktikerin mit den Dreadlocks vielleicht von der Antifa und wurde animiert, den „Sturm“ auszurufen – entweder, um die „Bewegung“ zu diskreditieren? Oder um eine stärkere Aktion zu verhindern? Warum waren so wenige Polizisten am Reichstag, um ihn zu schützen? War dies alles inszeniert? Das sind die Hauptnarrative außer den gegenseitigen Vorwürfen, man sei doch gekauft, manipuliert oder Teil des Problems.


Ähnliches beobachtet auch Jan Rathje von der Amadeu Antonio Stiftung: „Teile des ‚Reichsbürger‘-Milieus ging die Aktion nicht weit genug. Andere feiern noch, dass die Treppenbesteigung am Reichstagsgebäude so ‚friedlich‘ gewesen sei, denn sie wollen friedlich die liberale Demokratie der Bundesrepublik Deutschland stürzen. Beide Strömungen blicken misstrauisch auf die ‚Liebe und Frieden‘-Fraktion. So wie es stets der Fall ist bei unterschiedlichen Positionen in verschwörungsideologischen Milieus, werfen sie sich gegenseitig vor, Teil der Verschwörung zu sein, also „False Flag“ Aktionen für den Verfassungsschutz durchzuführen, um ‚die Bewegung‘ zu spalten.“ Interessanterweise sind es aber offenbar mehr die rechtsextremen Kreise, die medial an der Belastbarkeit und am Nationalismus der anderen Demonstrationsteilnehmenden zweifeln, als dass sich die nicht explizit rechten Kreise an der Anwesenheit von Neonazis stören.

Einer, bei dem sich die Entwicklung auch gut nachvollziehen lässt, ist der rechtsesoterische YouTuber Heiko Schrang (vgl. Belltower.News): Am 31.08.2020 veröffentlichte er ein begeistertes Video. Also, natürlich startet es zwar mit Beschimpfungen: „Wir leben schon in einer Diktatur, wir sind mittendrin, in der Coronadiktatur.“ Schrang verunglimpft Polizisten als „Merkel-Schergen in Gestapo-Manier“, außerdem natürlich die „gleichgeschalteten Medien“, die immer nur auf die Nazis gucken würden. Die Hasstirade gipfelt im Statement: „Der Staat, vielmehr die Regierung, hat 29.08. einen Krieg erklärt, einen Krieg an die Bürger. Der wird gestützt durch die Schlägertrupps der Polizei, die Mitläufer in Uniform, aufgehetzt wird die Sache durch die gleichgeschalteten Medien.“ Doch vor allem ruft Schrang in diesem Video noch zur „Einigkeit“ auf und meint, man dürfe sich nicht teilen, lassen, die Spalterei sei doch überwunden, und seine Botschaft an die Demo-Teilnehmenden sei: „Teilt diese Bilder, die ihr in euch tragt, die kann euch keiner wegnehmen.“

Allerdings klingt er nur einen Tag später auf „Telegram“ etwas anders: „Ich werde mich etwas zurückziehen jetzt.“ Er habe „eine schwere Enttäuschung (…) über die sogenannten Erwachten, Freidenker.“ Zu denen gehöre er ja schon lange und habe jetzt gehofft, dass es gemeinsam gegen „das System“ (genannt werden Politik, Medien, Schule) geht. Aber: „Stattdessen fallen wir mit der Mistgabel übereinander her, die sind böse, die sind gekauft, die haben dies, die haben das, das ist so lächerlich, ich zieh mich raus aus der Sache, ich kann es nicht mehr ertragen.“

Freund*innen und Bündnispartner*innen wollen eben gut gewählt sein.

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