Belltower.News: Vor zwei Wochen fanden Ihre Kolleg:innen in der Bezirkszentralbibliothek in Berlin-Tempelhof zu Dienstbeginn einen Medienkorb voller mutwillig zerstörter Bücher. Sie gehen von einem rechtsextremen Motiv aus. Warum?
Boryano Rickum: Aus zwei Gründen. Zum einen, weil die betroffenen Medien alle gemein haben, dass sie sich entweder kritisch mit rechten Tendenzen in der Gesellschaft auseinandersetzen oder sich mit historischen Persönlichkeiten aus der Geschichte des Sozialismus befassen, wie Karl Marx oder Clara Zetkin. Zum anderen, weil es insbesondere in unserer Zentralbibliothek in Tempelhof in den letzten Jahren immer wieder zu rechten Übergriffen gekommen ist, etwa in Form von Schmierereien oder unbefugtes Auslegen von Propaganda-Materialien. Dass Bücher zerstört werden, ist aber neu.
Wie wurden sie zerstört?
Ich gehe stark davon aus, dass sie mit einer Schere oder einem Messer zerschnitten worden sind. Wir nehmen an, dass eine Person durch die Bibliothek gegangen ist, gezielt Medien aus den Regalen genommen, die in einer ruhigen Ecke oder vielleicht in der WC-Kabine entsprechend zerschnitten und die insgesamt sieben Exemplare dann so in einem Medienkorb gestellt hat, damit wir sie auf jeden Fall auch finden.
Welche Titel sind genau betroffen?
Neben den Biografien zu Marx und Zetkin waren unter anderem auch „Denken statt Denkmalen: gegen den Denkmalwahn der Deutschen“ von Wolfgang Wippermann, „Die rechte Mobilmachung: wie radikale Netzaktivisten die Demokratie angreifen“ von Patrick Stegemann und Sören Musyal, „Völkische Landnahme“ von Andreas Speit und „Hass. Macht. Gewalt“ von dem Nazi-Aussteiger Philip Schlaffer zerschnitten.
Haben Sie die Bücher schon gelesen?
Noch nicht, ich nehme den Vorfall aber auf jeden Fall zum Anlass, mich näher mit diesen Titeln zu beschäftigen. Und ich hoffe, dass das andere Leute auch tun.
Auf Twitter schreiben Sie, der Vorfall bewege sich sehr deutlich auf der gleichen Ebene mit mutwillig zerstörten oder beschmierten Stolpersteinen. Ginge Ihnen ein Vergleich mit den Bücherverbrennungen der Nazis zu weit?
Der Vergleich liegt natürlich nahe, ich persönlich wäre da allerdings vorsichtig und würde es differenzierter sehen. Denn was damals auf dem Bebelplatz passiert ist, war ja nicht ein rechter Übergriff aus der Gesellschaft, sondern es war der Staat, der unliebsame Bücher verbrannt hat – übrigens mit fleißiger Unterstützung von damaligen Kolleg:innen von uns. Das waren Bibliothekar:innen, die den Schergen des NS-Regimes Literaturlisten zur Verfügung gestellt haben. Was ich aber schon sehe, und daher möchte ich darauf aufmerksam machen: Bücher werden hier zwar nicht verbrannt, sie werden aber zerstört – und das ist für mich ganz klar ein Angriff auf die Meinungsfreiheit und damit auf unsere Demokratie.
Wie Sie bereits erwähnt haben, wurde die Bezirkszentralbibliothek in Berlin-Tempelhof in den letzten Jahren immer wieder Ziel von rechtsextremen Aktionen: Es gab Schmierereien in und am Gebäude, rechtsextreme Flyer und Broschüren wurden immer wieder ohne Erlaubnis ausgelegt. Welche Gruppen vermuten Sie dahinter?
Es gibt bestimmte Hinweise, ich möchte diesen Gruppierungen allerdings keine Aufmerksamkeit und Publicity geben. Die Broschüren, die homo- und islamfeindliche Positionen vertreten, sind aber sehr professionell und aufwendig gemacht.
Wie will die Bibliothek gegen diese Vorfälle und die zerstörten Bücher vorgehen?
Wir haben in allen Fällen Strafanzeige gegen Unbekannt erstattet. Meistens haben wir derlei Vorfälle auch dem Register zur Erfassung rechtsextremer und diskriminierender Vorfälle gemeldet. Die Schmierereien haben wir natürlich entfernen lassen. Und dann sind wir bisher zurück zum Tagesgeschäft gegangen. Mit den zerschnittenen Medien waren wir intern aber geschockt und empört. So etwas hat es noch nie gegeben. Uns war klar, dass wir es dieses Mal nicht bei einer Anzeige belassen können. Ein Schritt war, den Vorfall publik zu machen. Die zerstörten Medien werden wir selbstverständlich ersetzen. Erfreulicherweise haben die allermeisten betroffenen Autor:innen, von denen Bücher zerschnitten worden sind, bzw. deren Verlage sofort angeboten, uns neue zu schicken.
Und was wird mit den zerstörten Exemplaren passieren?
Wir überlegen, ob wir die in irgendeiner Form ausstellen. In der betroffenen Bibliothek bildet sich aktuell eine Gruppe, die darüber nachdenkt, wie wir bibliotheksfachlich damit umgehen – zum Beispiel durch Veranstaltungen oder Sonderpräsentationen.
Können Bibliotheken jemals politisch neutrale Orte sein oder müssen sie eine klare Kante gegen gesellschaftliche Phänomenen wie Rechtsextremismus zeigen?
Das ist eine spannende Frage, die in den letzten Jahren in der Bibliotheksfachwelt unter dem Stichwort „politische Neutralität“ immer wieder diskutiert wird – zum Teil auch kontrovers und erregt. Ich persönlich denke, dass Bibliotheken auf keinen Fall politisch neutral sein können. Sie müssen überparteilich sein, aber sie müssen in jedem Fall Position beziehen, wenn es um grundsätzliche Fragen der Demokratie und der demokratischen Grundordnung geht. Manchmal heißt das, ganz klar gegen antidemokratische Tendenzen, Strömungen und Entwicklungen vorzugehen. Es gibt dazu auch eine Stellungnahme vom Deutschen Bibliotheksverband, die das in diese Richtung auch ganz deutlich formuliert. Bibliotheken sind Orte der Demokratie.