Ein „Trauermarsch“ für den verstorbenen Neonazi Siegfried Borchardt, auch „SS-Siggi“ genannt, zog am Samstag rund 500 Neonazis nach Dortmund. Borchardt war vergangene Woche überraschend verstorben. Er galt lange Zeit als Führungsfigur der rechten Hooligangruppierung „Borussenfront“ und der Dortmunder Neonaziszene und galt als gut vernetzt (siehe Belltower.News). Borchardt baute die „Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei“ (FAP) auf, gründete den verbotenen „Nationalen Widerstand Dortmund“ (NWDO) und war zuletzt das Aushängeschild der rechtsextremen Kleinstpartei „Die Rechte“, für die er 2014 einen Sitz im Stadtrat gewann. Mit seinem Tod verlor die rechtsextreme Szene eine „Ikone“.
Die trauernden Rechtsextremen versammelten sich am Mittag in der Nähe des Hauptbahnhofes der Ruhrmetropole. Darunter auch Neonazi-Szeneprominenz wie Thomas Wulff, Christian Worch und Thorsten Heise. Die Polizei sicherte die Demonstration mit einem Großaufgebot ab. Die Neonazis hatten ursprünglich nur 250 Teilnehmer angemeldet. „Diese Zahl erschien uns von Anfang an als unrealistisch. Wir haben uns daher auf wesentlich mehr vorbereitet“, ließ Dortmunds Polizeipräsident Gregor Lange später verlauten.
Mit Quarzsandhandschuhen zum Trauermarsch
Während die Organisatoren der Demonstration versuchten, eine Art „Heldengedenken“ zu inszenieren, interessierte sich ein Teil der Neonazis zu Beginn eher für den Alkoholkonsum. Einzelne Teilnehmende wurden im Vorfeld von der Polizei durchsucht. Dabei wurden Quarzsandhandschuhe und eine Sturmhaube gefunden. Insgesamt blieb es aber friedlich.
Alexander Deptolla, einer der Köpfe der Dortmunder Neonazis, „ehrte“ Borchardt in seiner Eröffnungsrede mit viel Pathos und bezeichnete ihn als seinen Mentor. „Viel Pathos“ war offenbar auch das Motto des anschließenden Demonstrationszuges durch die Innenstadt in Richtung Dortmund-Dorstfeld, eine Hochburg der Neonazi-Szene, wo Borchardt bis zu seinem Tod lebte. An der Demo-Spitze lief ein junger Mann, der ein Foto von Borchardt vor sich her trug. Ihm folgten zwei Fackelträger, mehrere Gedenkkränze und abschließend ein schwarzes Banner mit dem Portrait des Toten und der Aufschrift „Siggi – Legenden sterben nie“. Passend dazu erklang aus den Boxen des Lautsprecherwagens „Siegfrieds Trauermarsch“ von Richard Wagner.
Blood&Honour gedenkt Borchardt
In den Reihen des Demonstrationszuges marschierten nicht nur etliche Mitglieder der „Borussenfront“ mit, sondern auch Teile von verbotenen neonazistischen Netzwerken, wie „Combat18“ (C18) oder „Blood&Honour“ (B&H) – unter anderem Stanley Röske, William Browning und Marco Gottschalk, Sänger der Rechtsrockband „Oidoxie“. Röske gilt laut der Rechercheplattform Exif als Chef der deutschen C18-Sektion und Browning als Europa-Chef. Auch Thorsten Heise, der am Ende des Zuges lief, soll laut Exif gute Verbindungen zu C18 und „Blood&Honour“ haben.
Das Auftreten von Führungskadern dieser Organisationen ist kein Zufall. Borchardt hatte in der Vergangenheit an Treffen von B&H teilgenommen. An einem Gedenkschrein für den Dortmunder Neonazi wurde zudem ein Kranz mit der Aufschrift „Ein letzter Gruß – 28 Schweiz“ abgelegt. „28“ ist der Zahlencode für Blood&Honour. Mögliche Verstrickungen Borchardts in die Morde des Neonazi-Netzwerks „NSU“ werden durch seinen Tod auch weiterhin nicht aufgeklärt werden können. Im letzten Unterschlupf des untergetauchten NSU-Kerntrios fanden Ermittler:innen eine Patronenpackung mit der Aufschrift „Siggi“.
Thorsten Heise hielt auch die abschließende „Gedenkrede“ für Siegfried Borchardt vor dessen Wohnhaus in der Thusneldastraße. Heise leitete seine Rede mit dem Lied der Hitlerjugend von Heinrich Anacker ein – in einer leicht abgewandelten Version, ehe er alte „Heldengeschichten“ aus Borchardts Vergangenheit verbreitete. Kurze Zeit später wurde die Versammlung beendet. Man wollte anschließend den Abend bei alkoholischen Getränken ausklingen lassen. Eine Einladung, die viele der Anwesenden dankend annahmen und sich an einem nahegelegenen Kiosk mit Bier eindeckten.
Lautstarker Gegenprotest
In Dortmund waren nicht alle mit dem geplanten „stillen Gedenken“ der Neonazis einverstanden: Die „Autonome Antifa 170“ hatte im Vorfeld dazu aufgerufen, „den Nazis keine Ruhe zu lassen.“ Immer wieder mussten diese Gegendemonstrant:innen passieren, die mit „Nazis raus“-Rufen das inszenierte Gedenken „störten“. Kim Schmidt, Pressesprecherin der Gruppe, zeigte sich am Ende des Tages zufrieden: „Antifaschist:innen haben den Nazis nicht die Möglichkeit gegeben, einen Heldenmythos zu zelebrieren und einen rechten Gewalttäter zu feiern.“
Der „Trauermarsch“ war die größte westdeutsche Neonazidemonstration in den letzten Jahren. Gerade die Dortmunder Szene hatte zuletzt enorm an Mobilisierungspotenzial eingebüßt. Kim Schmidt ist von der Größe des Aufmarschs wenig überrascht: „Auch wenn Borchardt schon längst keine führende Figur mehr war, hatte er noch immer eine herausragende Bedeutung als Galionsfigur“. Dass Neonazis aus dem gesamten Bundesgebiet anreisen würden, sei zu erwarten gewesen.