Eines der großen Ziele von NEBA ist es, jüdische Perspektiven auf das Thema Antisemitismus sichtbar zu machen. Der Zeitpunkt der Konferenz hätte dafür aktueller nicht sein können: Gerade erst wurden Israelfahnen vor dem Brandenburger Tor verbrannt und Juden und Jüdinnen offen mit dem Tod gedroht. Mark Dainow, Vizepräsident des Zentralrats der Juden fasst zusammen: „70 Prozent der Juden in Deutschland vermeiden das Tragen jüdischer Symbole in der Öffentlichkeit. Das ist skandalös und schmerzhaft. Aber es sollte nicht nur für die jüdische Gemeinde schmerzhaft sein, sondern für die gesamte Gesellschaft.“
Allein diese Vorgänge und die Hilflosigkeit mit denen Politik und Gesellschaft ihnen gegenüberstehen, machen bereits klar, wie wichtig der Kampf gegen Antisemitismus auch in den kommenden Jahren sein wird. Immer wieder sprechen Referent_innen und Gäste das aus: Antisemitismus ist ein Angriff auf die Demokratie und auf die Werte der Aufklärung. Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, bezeichnet in ihrer Begrüßung Judenhass als den „Kampf zwischen Moderne und Antimoderne“ und betont erneut die Wichtigkeit der Betroffenenperspektive: „Wir sitzen hier als Juden und sagen, was Antisemitismus mit uns macht“.
Wichtig ist den Teilnehmer_innen der Konferenz aber auch: betroffen, ja; Opfer, nein. Gerade deswegen, so betont Kahane, sei es so wichtig, dass sich Juden und Jüdinnen vor Vereinnahmungsversuchen durch rechtspopulistische Parteien wie der AfD schützen: „Ich will mich nicht von Rechten instrumentalisieren lassen. Ich will nicht, dass Juden und Israel von Rechten verteidigt werden. Das will ich selber tun.“ Dass angeblicher Widerstand gegen Antisemitismus aus dieser Richtung nicht mehr als billiger Wahlkampf ist, betont auch Julius Schoeps, Direktor des Moses Mendelssohn Zentrums gleich zu Beginn. Mit Blick auf Alexander Gaulands Forderung, dass „wir“ doch endlich wieder stolz auf die Leistungen der Wehrmacht sein sollen dürfen, sagt er: „Eine verfälschte Erinnerungspolitik wäre ein neues Einfallstor für Antisemitismus und Rassismus.“
Jüdinnen und Juden wird oft eine Art Alibi-Funktion in gesellschaftlichen Diskursen zugeschrieben. Die „Betroffenen“ müssen sich immer und immer wieder zu angeblich jüdischen Themen äußern und die Mehrheitsgesellschaft fühlt sich so schließlich davon freigesprochen tatsächlich aktiv zu werden. Sandra Kreisler, Schauspielerin und Sängerin: „Es ist nicht unsere Aufgabe. Es ist die Aufgabe der Hassenden, ihren Hass loszuwerden.“ Und dabei ist es richtig und wichtig klare Worte zu finden: „Antisemiten darf man nicht sagen ‚Bitte sag sowas nicht‘. Man muss ihnen sagen: ‚Du bist ein Trottel!'“
Gerade die Diskussion zu Antisemitismus in der Kulturlandschaft macht deutlich, wie viel immer noch oder wieder zu tun ist. So zeigt Nicole Galliner, Festivaldirekorin des Jüdischen Filmfestivals eine offizielle Broschüre über Kunst und Kultur in Berlin. Jüdische Künstler_innen, Festivals, Museen oder Ausstellungen tauchen nicht auf. Nur eine Doppelseite zum Holocaust-Mahnmal.
Immer wieder wird klar: Antisemitismus ist einerseits tief verwurzelt und wird andererseits kleingeredet oder ignoriert. Auch in den Wissenschaften und an den Universitäten. In der Podiumsdiskussion zu diesem Thema wartet Dalia Grinfeld, Präsidentin der Jüdischen Studierendenunion mit interessanten Zahlen auf: acht von zehn jüdischen Studierenden fühlen sich betroffen von Antisemitismus, aber lediglich zwei von zehn nicht-jüdischen Studierenden sehen Antisemitismus als Problem. Und doch gibt es nur wenige Studien und Zahlen zu diesem Thema. Auch die anderen Diskussionsteilnehmer, unter anderem Antisemitismusforscher Samuel Salzborn und Sascha Spoun, Präsident der Leuphana Universität Lüneburg, kritisieren offensichtlich antisemitische Vorgänge im akademischen Betrieb, die es nur in den seltensten Fällen ans Licht der Öffentlichkeit schaffen. Der unter anderem an den Universitäten weit verbreitete israelbezogene Antisemitismus hat dabei, so Journalist Alan Posener, einen perfekten Nährboden in den Auswüchsen der postkolonialen Theorie und der daraus entstandenen „Critical Whiteness“-Bewegung gefunden. Die Terrororganisation Hamas scheint plötzlich wieder als antiimperialistische Befreiungsbewegung: „Juden werden den imperialistischen Weißen zugeschlagen und so zu den angeblichen Unterdrückern“.
Teilnehmer des Diskussionsrunde „Antisemitismus im Kontext von Flucht und Migration“. V. l. n. r.: Holger Michel (Freiwillige Helfen), Tahera Ameer (Aktion Schutzschild), Aron Schuster (Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland), Shelly Kupferberg (Moderation), Düzen Tekkal (Hawar.Help)
Im Rahmen der Konferenz stellte das AJC auch seine Studie zum „Antisemitismus unter Geflüchteten“ vor, durchgeführt von Historiker und Antisemitismusforscher Günther Jikeli von der Indiana University in den USA und der Universität Potsdam. Die Ergebnisse zeigen, Antisemitismus ist zum Teil tief verwurzelt. Gerade bei Menschen aus Syrien, wo Hass auf Israel und jüdische Menschen zur Staatsräson gehört, zeigen sich drei spezifische Säulen, die so oder in ähnlicher Form auch im westlichen Antisemitismus immer wieder sichtbar werden:
Juden und Jüdinnen sind demzufolge immer reich und einflussreich und stehen hinter Verschwörungen, die das Weltgeschehen dominieren. Sie sind Verursacher von Kriegen und „Strippenzieher“ hinter 9/11 oder dem sogenannten „Islamischen Staat“.
Israel wird dämonisiert und nicht anerkannt. „Zionisten“ gelten nicht als Menschen, die von der Notwendigkeit eines jüdischen Staates überzeugt sind, sondern vielmehr als weltweite Verschwörer. Das führt zu einer „Überidentifizierung“ mit Palästinenser_innen, bei der es nicht um Grenzziehungen oder Diskriminierungen geht, denen die Menschen vor allem auch im arabischen Raum ausgesetzt sind, sondern ausschließlich um eine Grundsatzopposition zum Staat Israel.
Es werden Bezüge zum Koran gezogen, die einer aktuellen und nicht-fundamentalistischen Interpretation nicht standhalten würden. So hätten jüdische Autor_innen versucht, den Koran zu verfälschen. Juden hätten versucht Mohammed zu töten und es wird eine grundsätzliche Feindschaft zwischen Juden und Jüdinnen und Muslimen hineingelesen.
Eine Antwort darauf kann nur in einer besseren Integration liegen. Holger Michel von „Freiwillige Helfen“ und Aron Schuster von der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland berichteten eindringlich von ihren Erfahrungen. Menschen zusammenzubringen und immer wieder Aufklärung zu betreiben, kann nach den Erfahrungen der Helfer_innen mit Vorurteilen aufräumen und antisemitische Klischees aufbrechen. Gegen Antisemitismus vorzugehen, muss deswegen Teil der Arbeit mit Geflüchteten sein.
Das alles kann aber nur gelingen, wenn klar wird, dass Antisemitismus in Deutschland sich bei weitem nicht nur auf Geflüchtete beschränkt. Der angeblich „importierte Antisemitismus“ trifft schnell auf die einheimische und schon lange gut integrierte Variante. Darauf wies Tahera Ameer hin, Projektleiterin von „Aktion Schutzschild“, der Amadeu Antonio Stiftung. Sie berichtete über ihre Erfahrungen besonders im ländlichen Raum, wo gerade bei der Mehrheitsgesellschaft keinerlei Sensibilisierung in Sachen Antisemitismus existiere. Wird das Thema hier aufgebracht, gelten Initiativen, die sich für eine antisemitismuskritische Arbeit mit Geflüchteten stark machen, schnell als Unruhestifter_innen.
Es gibt also noch eine Menge zu tun. Gäbe es eine abschließende Forderungsliste der Konferenz würde an erster, zweiter und dritter Stelle sicherlich Bildung stehen. Sei es in der Arbeit mit Geflüchteten, im Kulturbereich, in den Medien oder der Wissenschaft. AJC-Direktorin Deidre Berger fasst zusammen: „Es herrscht ein eklatanter Mangel an Sensibilisierung und Bewusstsein für Antisemitismus.“