Die Kameraden lassen auf sich warten. Etwa 15 Neonazis stehen planlos vor dem Magdeburger Hauptbahnhof herum. Wie sich später herausstellen sollte, gab es Missverständnisse bei der Absprache des Treffpunkts. Während Journalist:innen fotografieren, fühlen sich einige Rechtsextreme beim Pinkeln beobachtet. Ein Neonazi blökt einen Fotografen an: „Bist du pädophil? Bist du schwul?“ – als wäre es dasselbe. Damit ist das Niveau der „Neue Stärke Partei“ (NSP) sehr gut umrissen, das selbst für Neonazi-Verhältnisse gering ist. Später werden es immerhin noch rund 40 Personen, die am Samstag durch Magdeburg marschierten.
Die „Neue Stärke Partei (NSP)“ ist im vergangenen Herbst gegründet worden. Maßgeblich ist sie aus einem gleichnamigen Erfurter Neonazi-Verein entstanden. Dieser hatte schon im Verlauf des Jahres vor der Parteigründung rechte Schläger-Gruppen aus unterschiedlichen Teilen Deutschlands auf Demonstrationen vereint, zum Beispiel aus Magdeburg, Rheinhessen und Dessau-Roßlau. Die meisten dieser Rechtsextremen sind gut bekannt, politisch aber meist wenig erfolgreich. Das gilt auch für Michel Fischer, den sogenannten Bundesvorsitzenden der Miniaturpartei: Fischer ist schon bei der NPD, „Die Rechte“ und dem „Dritten Weg“ aktiv gewesen – und immer in Unfrieden gegangen. Überhaupt hat der Thüringer Neonazi einen schweren Stand in der Szene. Unter Rechtsextremen ist er vor allen Dingen für schlecht organisierte Demonstrationen und Geltungsbedürfnis bekannt.
Die Misserfolge setzen sich trotz Parteigründung fort: Im April hat der Vermieter der „Bundesgeschäftsstelle“ der Partei gekündigt – obwohl sie das Büro am Wochenende gerade erst eingeweiht hatten (vgl. mdr.de). Auch die Demonstration der NSP in Mainz im Juli 2022 war ein Desaster für die Neonazis: Gerade einmal 60 Rechtsextreme standen rund 3000 Gegendemonstranten gegenüber. Zuerst hatte die NSP ihre Kundgebung in einen anderen Stadtteil verlegen müssen, dann musste sie den Aufmarsch ganz abblasen. Parteichef Fischer tobte vor Wut. In Magdeburg ist die Kleinstpartei tendenziell besser aufgestellt: Zahlreiche Parteimitglieder kommen aus dem Umland der Landeshauptstadt, darunter der ehemalige „Magida“-Aktivist Dennis Rosner. Der sogenannte „Trauermarsch“ anlässlich der Bombardierung der Stadt im Zweiten Weltkrieg wurde im Januar gar von einem Block der NSP angeführt. Nichtsdestoweniger sollte die Partei auch in Magdeburg scheitern.
Kaum ein Meter ohne Gegenprotest
Die Neonazis konnten kaum einen Meter ungestört gehen, dank des engagierten Gegenprotests. Kurz nachdem die Neonazis sich mehr schlecht als Recht in Reih und Glied aufgestellt hatten und losmarschierten, versuchte ein einzelner Antifaschist immer wieder, sich mit seinem Fahrrad vor den Aufmarsch zu stellen. Polizist:innen schubsten ihn teils heftig zur Seite, schließlich riss ein Beamter die Kette aus seinem Fahrrad und eine Polizistin sagte: „Ich glaube, es ist besser, wenn du dein Fahrrad liegen lässt.“
Für die NSP brachte diese Aktion trotzdem keine Hilfe: Während des gesamten Aufmarsches sind die Neonazis von Antifaschist:innen gestört worden – mit Trillerpfeifen, Spottrufen und Sprechchören („Hier marschiert die neue Schwäche.“). Sichtlich provoziert fühlte sich NSP-Chef Michel Fischer allerdings erst, als ein nicht-weißer Gegendemonstrant ihn wortreich anging. Fischer beschimpfte ihn rassistisch, seine Kameraden mussten den aufgebrachten Rechtsextremen zurückhalten.
Polizei behindert Pressearbeit
Die Polizei hat den Aufmarsch der Neonazis großzügig begleitet. Nichtsdestoweniger war die Polizei nicht durchweg in der Lage, zu gewährleisten, dass Journalist:innen ihre Arbeit machen konnten: Im Zuge des Aufmarsches versperrten Beamt:innen einer Gruppe Journalist:innen den Durchweg. Auch das Vorzeigen des Presseausweises änderte daran zunächst nichts: Den könne ja heute jeder haben, sagte ein Beamter. Als bei der Abschlusskundgebung Journalist:innen angepöbelt und bedroht worden sind, schritt die Polizei erst gar nicht, dann zögerlich ein.
Auch die Abschlusskundgebung der NSP auf dem Westplatz des Magdeburger Hauptbahnhofes war ein Fiasko: Der Stromgenerator war lauter als die Rednerstimmen aus den Lautsprechern, der nur wenige Meter entfernt stehende Gegenprotest übertönte beides. Für die Neonazis schien das nicht ausschlaggebend zu sein: Während der Reden ihrer Kameraden schauten sie gelangweilt auf den Boden, hielten lustlos ihre Flaggen in die Höh’, andere tratschten. Florian Rassbach aus Erfurt sprach jedenfalls von „Kampfkultur“, einer „Konsumgesellschaft ohne Moral“ und vereinsamten Kindern. Als der „Bundesvorsitzende“ Michel Fischer seine Abschlussrede hält, will Rassbach zwei Journalist:innen davon abhalten, dies aufzuzeichnen. So war es kaum möglich, das Gedicht zu verstehen, mit dem Michel Fischer seine Rede abgeschlossen hat. Ob das schade ist, sei dahingestellt.
Erfolglos, aber brutal
Der Höhepunkt der in jeder Hinsicht traurigen Veranstaltung bildete ein Aufnahmeritus für neue Parteimitglieder: „Ich bin bereit, der Gemeinschaft meine Lebenszeit zu opfern – Heil unseren Vorfahren – Heil Deutschland – Heil der Neuen Stärke“ las Fischer vor und die sechs jungen Menschen sprachen ihm nach. Dann bekam jeder eine grüne Flagge mit Parteilogo. Fünf der sechs Jung-Neonazis stammen aus Mecklenburg-Vorpommern.
Ohne die Neuzugänge wäre der Aufmarsch noch dürftiger ausgefallen als ohnehin: Wesentliche NSP-Mitglieder aus Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen waren gar nicht erst gekommen. Auch die Mitglieder des Kreisverbandes von „Die Rechte“ aus Braunschweig, die eigentlich regelmäßig mit der „Neuen Stärke“ aufmarschieren, waren nicht da – obwohl Braunschweig nur eine Zugstunde entfernt liegt.
Der „Die Rechte“-Kreisverband hatte sich im Juni 2022 aufgelöst (vgl. Endstation rechts). Das Auflesen heimatloser Neonazi-Reste in der ganzen Republik ist im Grunde die einzige Daseinsberechtigung der NSP im neonazistischen Milieu. Offenbar kommt die Partei auch dieser Aufgabe nicht mehr erfolgreich nach. Politisch mag dies die Partei bedeutungslos machen. Die einzelnen Mitglieder sind deshalb nicht weniger gefährlich: Zahlreiche NSP-Mitglieder sind vorbestrafte Gewalttäter, teils wegen brutaler Vergehen.
So wurde etwa der Bundesvorsitzende Michel Fischer 2014 verurteilt, weil er 2012 einen 13-Jährigen in den Bauch getreten hat. Sein Vater Paul, ebenfalls Neonazi, soll das minderjährige Opfer festgehalten haben. Was dem feigen Überfall die Krone aufsetzt: Der Jugendliche soll Aufkleber mit der Aufschrift „Todesstrafe für Kinderschänder“ abgerissen haben, was das rechtsextreme Vater-Sohn-Gespann offenbar provoziert hatte (vgl. Thüringen rechtsaußen).
Patrick Schmidt, einer der stellvertretenden Vorsitzenden der Partei und Leiter des „Stützpunkts“ in Magdeburg zum Beispiel hat 2010 eine Gruppe Jugendlicher erst mit dem Auto, dann zu Fuß und bewaffnet mit Holzlatten gejagt. 2011 wurde Schmidt vom Amtsgericht Oschersleben wegen dieses und anderer Delikte zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die Staatsanwaltschaft sagte, Schmidt führe in seinem Heimatort einen „Kleinkrieg gegen Andersdenkende“ (vgl. Miteinander e.V., S. 2).
Francesco Lenz ist laut antifaschistischen Recherchen ebenfalls Mitglied der „Neuen Stärke“ (vgl. Werpieptdennda): Im Januar 2006 folterte er mit zwei weiteren Neonazis einen 12-jährigen (vgl. taz). 2014 saß er erneut vor Gericht, weil er gemeinsam mit anderen Neonazis einen türkischstämmigen Mann und seine Freundin angegriffen und rassistisch beschimpft hatte. Der Mann lag zwei Wochen mit Schädelbrüchen im künstlichen Koma. Die Staatsanwaltschaft sah „Ausländerhass“ aber nicht als „tragendes Motiv“ an (vgl. taz).
Der Erfurter Kern der Gruppe hat 2020 drei Männer aus Guinea brutal angegriffen, eines der Opfer hat sich danach in einem kritischen Zustand befunden. Unter den Angreifern waren auch der stellvertretende Bundesvorsitzende Enrico Biczysko und seine Ehefrau Stefanie (vgl. Rechercheportal Erfurt).
In Erfurt, der unfreiwilligen Hauptstadt der NSP, häufen sich seit einigen Wochen Bedrohungen und Angriffe durch Neonazis der NSP, berichten Akteure vor Ort (vgl. Junge Welt). Mit derlei Übergriffen ist wohl nach wie vor zu rechnen – allein schon deshalb, weil die NSP vor allem dazu in der Lage zu sein scheint.